Wenn jetzt irgendwo bedauernswerterweise ein Flugzeug runterfällt, werden Nachrichtenredaktionen hordenweise über Twitter herfallen, um zu sehen, ob es irgendwo ein Bild gibt. Das ist schon mal ganz interessant, weil es zeigt, was sich bei der Nachrichtenübermittlung verändert. Aber offenbar stürzen sich manche Journalisten auf Twitter, in der Hoffnung, dass der Dienst die (teuren) Agenturen ersetzen kann. Um dann total enttäuscht fest zu stellen, dass man nach der ersten Meldung nur wenig bekommt und die Meldungen zusätzlich widersprüchlich sind.
Anders kann ich mir die leicht enttäuschten Berichte heute in der taz und, etwas abgemildert, in der FAZ nicht erklären. Benjamin Webber schreibt in der taz:
So spannend es ist, unmittelbar nach dem Absturz auf Twitter zu verfolgen, was in Amsterdam passiert (oder zu passieren scheint), so wenig befriedigend ist die Twitter-Berichterstattung auf Dauer. Wer zwei Stunden nach dem Unglück eine Meldung einer großen Nachrichtenagentur liest, ist umfassend informiert über das, was in Amsterdam passiert ist.
In der FAZ schreibt Marco Dettweiler:
Doch was haben die Twitterer geschrieben? Sie teilten mit, dass in der Nähe des Flughafens Schiphol ein Flugzeug von Turkish Airlines abgestürzt sei und verlinkten per Kurz-URL auf eine Homepage. Was sind das für Seiten? Es sind Nachrichtenseiten: CNN Turkey, RTL Niederlande, BBC und so weiter.
Ich frage mich da schon, was man von einem Dienst wie Twitter erwarten soll. Hier spielen meist Augenzeugen (keine Journalisten) erste Meldungen ein, für die sie exakt 140 Zeichen haben. Was soll man in 140 Zeichen schreiben? Auch Agenturen bringen in den ersten „Blitz“ und „Eil“ Meldungen meist nicht mehr als eine kurze Info. Und natürlich ist es so, dass die Agenturen, ist die Maschinerie erst einmal angelaufen, Meldungen und Berichte besser zusammenfassen können, weil sie über mehr Ressourcen verfügen.
Twitter ist keine organisierte Agentur, da koordiniert niemand die User und sagt: „Du gehtst dahin, du dorthin, ich rufe den an.“ Twitter liefert „rohes Fleisch“, also die reine Meldung. Mehr nicht. Für alles andere sind die Agenturen und die Journalisten vor Ort zuständig, die dafür im übrigen auch bezahlt werden. Es ist ein großes Missverständnis zu glauben, dass Twitter den Journalismus, egal ob Online oder Print, auch nur ansatzweise ersetzen könnte.
Twitter ist ein Nachrichtenkanal, er liefert Meldungen schneller, weil sie von Leuten gemacht werden, die vor Ort etwas gesehen haben und eben da waren, bevor die Horde der Journalisten einläuft. Und ob die Meldungen wirklich stimmen, ist dann noch eine andere Frage. Nur weil irgendjemand irgendwas schreibt, muss es noch nicht wahr sein. Man muss eben selber sehen, wie und in welchen Kontext man Nachrichten einordnet. Das gilt sowieso immer und grundsätzlich für alle Nachrichten.
Journalisten sollten sich über Twitter freuen, denn hier bekommen sie Nachrichten schneller übermittelt, als es bisher der Fall war. Das gilt allerdings nur für die Länder, die über eine vernünftige technische Infrastruktur verfügen. Aus Afrika wird man derartige Meldungen und Bilder in den nächsten Jahren wohl nicht sehen. Interessant fand ich gestern allerdings noch, wie weit Twitter mittlerweile verbreitet ist. Es dauerte ja wieder einmal nur wenige Minuten, bis die ersten Bilder bei twitpic auftauchten.
16 Antworten zu „Twitter und Journalismus“
Treffender Beitrag. Twitter ist eher ein vom Zufall abhängiger Contentlieferant, als ein strukturierter Nachrichtendienst.
„Aus Afrika wird man derartige Meldungen und Bilder in den nächsten Jahren wohl nicht sehen.“ – Hmmm. Wäre ich mir nicht so sicher, denn immerhin sind mobile Internetzugänge, vulgo: das Handy, in Afrika recht verbreitet im Vergleich zu anderen Zugängen. Der große Prozentsatz an mobilem Internet weltweit kommt ja wesentlich durch Asien und Afrika zustande. Insofern ist Twitter fast ideal für die Art der Web-Infrastruktur beispielsweise in Afrika.
Mal sehen.
Schon, aber die Infrastruktur ist ja nur in den Städten und nur Internet, und damit auch Twitter, ist eher teuer. Afrika ist immer noch der große, weiße Fleck auf der Internetkarte.
Yo. Aber ein bisschen erkläre ich mir die oben zitierten Berichte auch als Reaktion auf die Selbstbeweihräucherung, die gestern durch Twitter schwappte: 15 Minuten vor der BBC/Reuters/! Die Nachrichtenagenturen sind am Ende! Und so weiter…
Twitter ist eine ergänzende Informationsquelle – früher haben die Leute halt ihre Zeitung oder ihren Radiosender angerufen, wenn neben ihnen ein Flugzeug runterfiel. Nachprüfen und gegenchecken muss man das als Journalist so oder so.
Diese 10 oder 15 Minuten sind aber auch keine Kunst. Wie sollte eine Agentur so was auch mit bekommen. Aber mittlerweile schreiben sie ja auch bei Twitter ab, da verkürzt sich die Sache ;)
guter Beitrag.
Danke.
Das sollte man nicht überbewerten. Daraus ist nur die Verunsicherung zu erkennen, die Journalisten gegenüber twitter und anderen web-Sachen haben. Wer einmal in einer Nachrichtenredaktion gearbeitet hat, weiss, dass es sehr wohl um das „Erster“ geht.
Blogs haben den Journalisten schon das Privileg zum Kommentar/Leitartikel genommen, twitter nimmt ihnen den Triumph, als erster von etwas zu berichten, mit Live-Streams geben sie den Vorzug der Presseausweise ab, usw.
Ist ein harte Zeit. Solche Artikel wie in der FAZ und taz dienen der Selbstbestätigung und sollen die Moral festigen.
Twitter und Journalismus – Irgendwas ist ja immer – Reloaded (via FriendFeed) http://tinyurl.com/acwusc
wie früher, wenn ein autounfall passiert ist – alle rennen hin, stehen rum und flüstern sich „informationen“ zu über die anzahl der verletzten, ob blut floss, wer aus welcher richtung kam etc. mit twitter ist es noch schlimmer: handycam raus, unfall fotografiert und als ERSTER um die welt geschickt. wow, du bist ein ganz toller journalist, hats als erster ein foto getwittert, tausende klicken es an, am nächsten tag auf jeder titelseite. es ist auch verdammt wichtig erster zu sein darin gerüchte zu verbreiten (siehe last.fm und techcrunch), ob der twit was mit wahrheit zu tun hat, ist sch…egal. das ist eben klatsch auf niedrigem niveau und hat mit journalismus (jedenfalls was ich dafür halte) nix zu tun.
wie es bei solch neuen sachen immer ist, tauchen leute auf, die ideen haben, die die gründer nicht hatten:
da gibt es unter der url: http://geoheartbeat.com/ eine webseite die twitter mit google maps verbindet. d.h. man kann schauen, wer in seiner stadt twitter user ist. bei twitter selbst habe ich diese funktion noch nicht gesehen, es ist allerdings eine frage der zeit, so denke ich, bis twitter das auch anbietet.
Den Beitrag finde ich sehr interessant. Ich denke auch, dass viele Menschen zukünftig Informationen auf Twitter suchen. Mit Twitter kann man kurz und bündig Wichtiges in die Welt kommunizieren.
Bin der gleichen Meinung. Als User versorge ich mich zuerst auf Twitter mit Informationen und werde später eine der entsprechenden Portal aufsuchen um die Meldung durch gut recherchiert und handwerklich geschickt zubereitet lesen. Wenn diese Informationen zu nachlässig recherchiert sind oder sich NUR auf Twitter stützten, ist das wirklich etwas dünn.
[…] >> dondahlmann.de […]
[…] Es ist schon so eine Sache mit dem Mikroblogging-Dienst. Man liest viel bei Twitter, erfährt aber eher wenig. Die meisten Einträge glänzen durch Belanglosigkeit, gepaart mit überflüssiger Selbstdarstellung und sehr eigensinnigen Interpretationen aktueller Entwicklungen. Die Offenheit des Dienstes ist zugleich sein größter Nachteil: es wird zu viel Müll produziert. Irrelevant, teils unsinnig und oft unwahr. Gefährlich wird es für den, der die Einträge bei Twitter für bare Münze nimmt. Twitter kann viel leisten – aber keinen Journalismus. […]
[…] bin ich auf den Herren über seinen absolut lesenswerten Blog über “Twitter und Journalismus“. Kommentare RSS […]
られないことではない