Meine Zeit mit Mal Sondock

malIch lebte Mitte der 90er in Köln, unsicher, was ich eigentlich machen sollte. Mein Studium weitermachen? Oder doch mehr in den Journalismus? Oder ganz was anderes? Aber was wäre denn ganz was anderes? Irgendjemand brachte mich auf die Idee, es doch mal im Radio versuchen. Damals boomte das Privatradio noch, meine Stimme ist nicht die schlechteste, also warum nicht auch mal Radio ausprobieren? Nur wo? Wie wird man eigentlich Radio-Moderator? Kann man das lernen?

Wie üblich diesen Medien, kann man das natürlich nicht. Man rutscht halt irgendwie rein, hat dann Erfolg oder eben nicht. Aber wie rutscht man rein? Ich probierte es beim WDR und den privaten Sendern, machte Tapes, schickte die rum, aber es half nichts. Bis ich in einer Anzeige im Kölner Stadtanzeiger von einer Firma namens „Sondock Media Network“ entdeckte, die einen Praktikanten suchten.

Sondock war mittlerweile schon so lange aus den Medien verschwunden, dass ich den Firmenname überhaupt nicht mit dem Radiomoderator von früher in Verbindung brachte. Erst als ich seinen donnerenden Bass hörte, wurde mir klar, wo ich mich da gerade bewerben wollte. Und ich wurde dann doch etwas nervös. Was aber gar nicht nötig war. Denn Mal war die Liebenswürdigkeit in Person. Eine mächtige Gestalt und in unserem ersten Gespräch freundlich, interessiert und warmherzig.

Sein Büro lag damals im Severinsviertel, unweit der Kirche, die ein paar Jahre später fast mal umgefallen wäre. Die Belegschaft der bestand aus Mal und zwei Angestellten: Eine unfassbar nette Sekretärin und ein Toningenieur, nennen wir ihn mal David, der mit Mal die Aufnahmen machte. Viel zu tun gab es allerdings nicht. Die Firma lebte mehr oder weniger davon, dass man die Tapes für das Inflight-Entertainment der LTU herstellte. Mal machte natürlich seine „Diskothek“ und dafür musste ich regelmäßig die Texte schreiben. Und Mal redete viel vor, während und nach jedem Lied.

An meinen ersten Texten saß ich fast zwei Tage. Nachdem die Playlist fertig war, musste ich zu jedem Künstler und zu jedem Stück möglichst viele Infos bekommen. Was damals, so ohne Internet, gar nicht so leicht war. Als ich endlich alles zusammen hatte, ging ich zu Mal, der las alles durch und gab mir Tipps, wie ich besser schreiben formulieren sollte. Kürzer, prägnanter, noch mehr persönliche Infos, nicht einfach den „Waschzettel“ (diese PR-Zettel der Musikindustrie, die es zu jeder CD gab) abschreiben.

Mal wollte nicht einfach ein wenig PR ablesen, sondern eigene Infos haben, Kleinigkeiten, bei denen die Hörer das Gefühl hatten, Mal Sondock selber habe mit den Künstlern gesprochen und habe mit ihnen Kontakt. Das war aber gar nicht so leicht, also telefonierte ich mit den Labels, rief deren Manager an und versuchte irgendwas rauszubekommen. Immerhin musste man das nur für Musiker machen, die Mal nicht kannte. Also für alles, was nach seiner aktiven Zeit als Radio DJ so auf den Markt gekommen war. Alles vor den 80er Jahren hatte er selber im Kopf.

Bis ich den ersten Text fertig hatte, habe ich Blut und Wasser geschwitzt. Ich stand in seinem Büro, er las sich die Sachen durch und war endlich zufrieden. „Hast meinen Ton gut getroffen“ sagte er. Ich war sehr glücklich. Zumindest bis zu dem Moment, in dem ich merkte, wozu genau er die Texte eigentlich benötigte: nämlich gar nicht. Von den sechs Seiten Text, die ich Mal geschrieben hatte, nutze er genau einen Satz – die Begrüßung. Als ich neben David stand und merkte, dass Mal nicht einen verdammten Satz von den sechs Seiten ablas, war ich wirklich enttäuscht. David wiederum grinste, und meinte nur, dass Mal das immer so machen würde. Er würde die Texte nur als Gedankenstütze benötigen, mehr nicht. Ich solle einfach zuhören und lernen.

Mal war ein begnadeter Radio-Mann. Ich habe einige Radioleute danach noch getroffen und mit ihnen im Studio gestanden, aber keiner hatte das, was Mal hatte. Da war natürlich sein schwerer US-Akzent, aber auch seine sonore Stimme, die Art, wie er betonte und seine einzigartige Fähigkeit, ein Lied zu „rampen“, also so lange über das Intro zu sprechen, bis der Text anfängt. Ich habe in meinem Leben niemanden mehr gehört, der das so gut konnte. Noch bemerkenswerter war, dass Mal das auch bei Titeln konnte, die er gar nicht kannte. Er musste ein Lied ein oder zweimal hören, brauchte dazu vielleicht eine kurze Angabe, wie lang das Intro war, und schon konnte er loslegen. Mehr als zwei Takes brauchte er selten. Dabei interessierte ihn die Musik, die da gespielt wurde, nicht wirklich. „Ich mache Radio für die Leute, nicht für mich.“ Auch so einer seiner Klassiker. Seine Musik, dass waren die 60er, vielleicht noch Sachen aus den 70ern. Und für diese Epoche war er ein wandelndes Lexikon.

Mir machte die Arbeit bei ihm Spaß, zu mal ich nach einer Zeit auch selber mal für Proben ans Mikrofon durfte. Was nicht so einfach war für mich, denn sobald ich davor saß, verkrampfte ich mit den üblichen Gründen: Angst, mich zu versprechen, wenn Millionen (*hüstel*) Menschen zu hören, das Falsche zu sagen, langweilig zu sein usw. Mal gab mir dann (in einer langen Rede) einen Tipp, den ich nicht vergessen habe. Er meinte „Rede mit dem Mikro, wie mit einem Freund“. Man muss einfach ausblenden, dass einem so viele Leute zu hören und so tun, als würde man einem Freund etwas über dieses neue Stück von Künstler XY erzählen. Und da begriff ich dann auch, warum Mal so scharf auf die ungewöhnlichen Infos über die Musiker war. Denn zu sagen „XY, der 19xx mal mit AB in BC eine kleine Studiosession…“ usw. gibt nicht nur das Gefühl einer Intimität für den Hörer, sondern einem auch selber die Möglichkeit Dinge anders zu erzählen und zu berichten. Am Mirko war Mal ein Gott.

Außerhalb des Studios schon mal nicht. Er war durchaus bekannt für seine kurzen, aber heftigen cholerischen Anfälle, besonders dann, wenn die Technik hakte. Das landete dann meist bei David. Fand er was nicht, oder wollte der Rechner nicht so, wie Mal wollte, war die Sekretärin dran. Den Rest bekam ich ab. Aber die Gewitter waren meist von kurzer Dauer. Nach einer halben Stunde hatte er meist schon wieder vergessen, warum er eigentlich sauer war und er war wieder die Liebenswürdigkeit in Person.

Was er überhaupt nicht leiden konnte: wenn ihn einer als „Radiomoderator“ bezeichnete. Das war für ihn Schimpfwort. Wenn man ihn ärgern wollte, sagte man „Aber der Moderator XY macht das immer so….“. Das reichte aus um ihn in eine minutenlange Tirade über den Begriff „Moderator“, das moderne Radio und die Welt zu bringen. Mal Sondock war Radio DJ, einer der alten Schule, einer der beim US-Rundfunk gelernt hatte. Tatsächlich war er es, der die Lockerheit einer US-Moderation überhaupt nach Deutschland gebracht hatte. Das rechnet man zwar auch Chris Howland an, aber der ist Brite, wie Sondock immer witzelte, der kann gar kein DJ sein. Mal war stolz auf das, was er erreicht hatte. Und auch als ich ihn kennen lernte, gute 10 Jahre nach seinem Rauswurf beim WDR, war er immer noch der beste Radio DJ, den ich kannte. Das wurde mir jedes Mal klar, wenn ich einen Tag bei ihm gearbeitet hatte und dann auf dem nach Hauseweg den WDR anschaltete.

Aber ansonsten war Mal ein netter Kerl, der wundervolle Anekdoten auf Lager hatte. Er kannte ja auch wirklich Gott und die Welt in der deutschen Musikbranche und konnte über jeden etwas erzählen, was er gerne tat, denn so viel zu tun hatten wir ja nicht. Dazu kam sein riesiges Tonarchiv, in dem er fast jede seiner Sendungen lagerte und in dem es echte Schätze zu finden gab. Und er hatte ein großes Herz. Ich verdiente beim ihm gerade so viel, dass es reichte, aber irgendwann hatte ich mal einen großen Engpass und musste sparen. Also verzichtete aufs Mittagessen, irgendwann auch aufs Frühstück. Gemeinerweise musste ich Mittags immer das Essen für Mal holen und irgendwann quittierte mein Körper im Sommer die Hungerkur mit einem Schwindelanfall. Als Mal davon hörte, warum ich mittags nicht mit den anderen essen würde, bezahlte er ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren für den Rest meiner Zeit bei ihm mein Mittagessen.

Warum Mal nie zu einem Privatsender gegangen ist? Weil man dort kein Radio machte, sondern, wie er es sagte, nur simulierte. Die Musik wurde nicht mehr vom Sprecher ausgesucht, dazu die Werbung und man durfte nicht mehr sagen, was man wollte. Dazu hatte er keine Lust, also ließ er es konsequenterweise auch sein.

Es ist wirklich bedauerlich, dass niemand mehr einen Mann wie Mal Sondock wieder ins Radio und vor ein großes Publikum gelassen hat. Der Niedergang des Radios – an Mals Karriere konnte man ihn schön ablesen.

Ich hab dann nach meinem Weggang (ich ging zu einem kleinen kleinen Studiolabel, wo nur Irre arbeiteten, aber das ist eine andere Geschichte), nur noch selten Kontakt mit Mal Sondock gehabt. Das letzte Mal habe ich ihn auf einer Popkomm in Köln getroffen, also schon ein paar Jahre her. Er machte mittlerweile ein gutes Geschäft mit Oldies. Vor ein paar Monaten sah ich dann, dass Sony Music ihn als Werbeträger für zwei Compilation wieder entdeckt, und dass jemand tatsächlich seine alte Platte aus den 60er noch mal als CD veröffentlicht hat. Aber das ist auch typisch Mal Sondock, denn zwei Dinge konnte er wohl nie: sich zu Ruhe setzen und aufgeben.

Am Dienstag ist Mal Sondock im Alter von 74 Jahren verstorben.

Wer ihn noch mal hören möchte, es gibt eine schöne Fanpage über Mal Sondock inklusive vieler Moderationen. Einen schönen Nachruf gibt es auch hier.

Danke, Mal. Habe viel von Dir gelernt.

15 Antworten zu „Meine Zeit mit Mal Sondock“

  1. Gute Geschichte, lebendig erzählt. Gummipunkt.

  2. Danke für diese Geschichte. Ich habe Mal Sondock einmal live erlebt, Anfang der 80er, in einer Aula in einer Schule in Porz-Zündorf. Das war auch schon nach seinem Rauswurf beim WDR, aber er machte damals noch Veranstaltungen, bei denen er dann als DJ auftrat. Im Radio fand ich ihn aber besser, und so einen wie ihn gab es danach nicht mehr. Möge er in Frieden ruhen.

  3. Wow! Kannte Mal Sondock vorher gar nicht und habe nach’m Lesen des Postings das Gefühl das das nicht sein kann! RIP Mal
    :)

  4. Michael Schmidt

    Ich habe Mal ebenfalls Anfang der 90er kennengelernt… Allerdings wollten wir was in Sachen Comedy zusammen machen. Das ist war naemlich sein anderes Steckenpferd. US-Comedy und Stand Up.
    Seine Geschichten ueber Otto Waalkes und wie er sich seine erste Nummern aus Mals Archiv zusammenklaute sind mir noch im Ohr.
    Er hat mir damals einige Schaetzchen aus seinem Archiv geschenkt.
    Wieviele deutsche Komiker und Comedians sich an altem US-Material vergreifen, immer wieder aufs neue erstaunlich.
    Seinen Sega-Automaten im Buero habe ich auf dem Gewissen. Sonic war schuld.
    Mein liebste Mal-Geschichte? Wie er das erste Mal ins Sauerland reiste und dachte, sie wollten in „ve’r’a’r’schen“…
    Machs gut Mal!

  5. Danke für die schöne Geschichte und danke für die Erinnerung an ein Radio-Urgestein. Ich bin als Hörerin mit Mal Sondock groß geworden – mir wird gerade ganz wehmütig.

  6. @Michael: Stimmt, hatte ich ganz vergessen. Er hatte eine rieeeesige Sammlung von Stand Up Sachen.

    Und ohne Mal, wäre das Radio in Deutschland deutlich langweiliger gewesen. So wie heute halt. Wie er selbst in einem Interview mal sagte: Es ist schon erstaunlich, dass 20 Jahre nach seinem Abgang beim WDR die Leute immer noch an ihn denken. Es hat eben kein Ersatz mehr gegeben.

  7. „in liebevoller Erinnerung“ werde ich dem großen Mal Sondock meinen Song „Instinkt“ widmen, der im Juli rauskommt, pünktlich zu Mals 75. Geburtstag.

    Vor zwei Monaten wollte ich Mal bitten mir eine Anmoderation einzusprechen die ich vor meinen song schneiden kann, da war er schon im Krankenhaus und leider ist es nicht mehr so weit gekommen. Daher möchte ich ihm diesen song widmen, einem tollen Mann, der sich immer Zeit genommen hat mit Rat und Tat – auch jüngeren Künstlern, wie meiner Wenigkeit – zur Seite zu stehen, einer großen Stimme, die sich in mein Trommelfell eingebrannt hat und die ich niemals vergessen werde.

    bis bald Mal

  8. Mal Sondock war groß! Seine Hitparade im WDR war zunächst die wichtigste Radiosendung für mich. Parallel dazu aber auch schon die Schlagerraly mit Wolfgang Neumann später Wolfgang Roth. In der Zeit von 80 bis 87 (ca.) habe ich einige hundert Tapes aus diesen beiden Sendungen erstellt (und leider nicht erhalten) RIP Mal und Danke!
    (btw. es gibt auch heute noch gute Radiomoderatoren http://www.folge-mag.com/klaus_fiehe.html )

  9. …er hat mich in diese Medien-Welt gezogen und war lange Zeit mein Lehrmeister

    …seinen Spruch “ hier machen nur Bonzen und Beamte Radio“ unterschreibe

    …ich wollte unbedingt Radio-Moderator werden – war einer der besten Life-Moderatoren in den 80igern – doch nach meinem Weggang von RTL-Plus Television 1984 in der Position des Musik-Chefs hat mich kein deutscher öffentlich-rechtlicher Sender mehr gewollt.

    …und dieses deutsche Privat-Radio wollte auch ich nicht – das hatte ich anders gelernt !

    …“Mal“ ich danke Dir für unsere tollen Jahre
    …hast mir populäres Radio gelernt.

    Robert Roßbach

  10. Mal war Pop.
    Pop ist Begeisterung und Liebe.
    Deshalb sind Sven-Regener-Romane und der Rest unserer sogenannten „Pop“-Literatur kein Pop.
    Sie sind bestimmt irgend etwas, aber definitiv kein Pop.
    Mal liebte Musik.
    Bei einer außergewöhnlichen Platte wie „Ballroom Blitz“ oder „Rock Your Baby“, spürte man, wie es ihm durch und durch ging-die reine Freude darüber, der gute Bote sein, die Wunder der Welt darbieten zu dürfen.
    Und er lag richtig.
    Bei einer schwierigen, aber großartigen Aufnahme wie „This Town ain’t big enough“ von den Sparks nahm er sich die Zeit, uns banausige Bauernkinder an den Lautsprechern zuhause einzustimmen.
    „Das ist jetzt etwas ganz Besonderes, in London nennt man es die Wunderplatte, mal sehen, was die Hörerjury dazu sagt…“
    Die Leute da abholen, wo sie sind. Um sie zu erheben und an spezielle Orte zu führen.
    Noch etwas, dass schmerzlich, wirklich schmerzlich vermisst wird.
    Mals Rauswurf beim WDR war bestimmt einer der düstersten Tage, nicht nur der
    der deutschen Mediengeschichte, sondern der hiesigen Nachkriegskultur.
    Denn er hat uns die Leichtigkeit vorgelebt, die wir bis heute nur simulieren können.

  11. Es sind die Menschengeschichten, die ich von Dir mag über die ich Dich lesen liebte. Geschichten wie die hier. Oder 2003 die Story über Hotte Buchholz. Warum machst Du das nicht mehr, Geschichten erzählen?

  12. Ich Schweizer habe Mal nicht gekannt. Nicht gehört. Aber beim Lesen des Textes wurde ich neugierig und ahnte, dass das schade ist. Und genau das ist das grosse Verdienst dieses Textes. Und einiger der Kommentare. Sven K. kann ich mich anschliessen. Bitte mehr davon!
    In der Blogbibliothek veröffentlichen wir diesen Text sehr gern. So lebt Mal noch an einem anderen Ort weiter. Und verhindert, dass die Bibliothek Staub ansetzt. Genau so, wie er Deinen Text lebendig hat werden lassen. Danke für so viel nachspüren mit Seelenwärme.

  13. DAS ist mit Abstand der schoenste Artikel, den ich in letzter Zeit in Bezug auf Mal Sondock gelesen habe! Hut ab!

    Ich „kannte“ Mal aus dem Radio natuerlich seit Ewigkeiten. Persoenlich hatte ich allerdings erst in den letzten beiden Jahren die Gelegenheit dazu, mich mit ihm auszutauschen. Das war eine sehr intensive und auf mentaler Ebene auch sehr fruchtbare Epoche, die ja letztendlich auch in der in diesem Artikel angesprochenen CD-Compilation (dort die jeweils dritte CD) gipfelte. Ich habe die Story dazu auf meiner Webseite aufgeschrieben…

    Es hat viel Spass gemacht und ich werde ihn nie vergessen.

    Vielen Dank, Don, fuer diesen aeusserst niveauvollen Beitrag und Gruss aus Guetersloh!

    Norman

  14. CD Compilations are great when you want to hear long playing music on long trips.‘:‘

  15. Danke für die Geschichte :)