Obwohl ich ausnahmsweise mal knapp sieben Stunde geschlafen habe merke ich schon auf der Rückfahrt Richtung Shanghai, dass ich nach 5 Tagen China inkl. mörderischen Jet Lag und zwei sehr intensiven Schulungstagen dann doch etwas platt bin. Eigentlich, sage ich mir, sind heute die Technikmärkte dran, uneigentlich versinke ich nach der Ankunft um 13.00 Uhr auf dem Hotel-Sofa um dann beim Durchzappen vom Erdbeben in Japan zu erfahren, das live über sämtliche News-Kanäle läuft. Ich gehe kurz runter um mich mit etwas zu Essen zu versorgen und sehe dort, dass in dem alten Viertel vor dem Hotel nach und nach Fernseher raus gestellt oder lauter gestellt werden. Die Menschen versammeln sich und unterhalten sich aufgebracht über das, was da zu sehen ist.
Gegen Abend kommt K., in dessen Hotel-Appartement ich wohne, und mein Körper sagt auch nach einem halben Tag auf dem Sofa: „Ich will zu Hause bleiben, ich will schlafen.“ K. sieht das für sich und seinen Körper ähnlich und er meinte „Nur ein Bier, was Essen und spätestens um 23.00 Uhr sind wir wieder im Hotel.“ In der Nachschau kann ich sagen, dass wir um 23.00 Uhr überall waren, aber nicht im Hotel. Kann sein, dass wir im „Manhattan“ waren, kann sein, dass wir schon in einem der drei oder vier anderen Dingse waren, die danach folgten. Jedenfalls lagen wir nicht im Bett sondern zerstörten die restliche Kondition mit Tsing-Tao. Das wäre am Ende vielleicht auch nicht so schlimm gewesen, weil das Tsing-Tao schwer an Heineken erinnert: Ganz ok, und sehr dünn. Dummerweise kamen aber noch andere Dinge dazwischen, darunter die Jägermeister (!) aus dem „Manhattan“, die uns die Besitzerin namens „Lucy“ mit auf den Weg gegeben hat.
Der Laden gehört, wie viele, viele, viele andere in Shanghai zu einer Gattung Kneipe, die ich mal „Animier-Club“ nennen möchte. Man geht rein, ca. 3447 Chinesinnen, Filipina, Mongolinnen, Vietnamesinnen usw. stürzen sich auf den Gast und belabern ihn. Evtl. wird man auch betascht, wer möchte darf auch im geringen Umfang zurücktatschen, aber mehr ist nicht. Sex gibt es nicht, die Damen sind nur dazu da, dass man ihnen Getränke ausgibt und sie einen mit sinnlosen Fragen bombardieren. Ich kann das Geschäftsmodell nicht so ganz verstehen, aber offenbar läuft es gut, denn in der Nacht merkt man, dass die ganze Stadt voll mit diesen Clubs ist. Los wird man die Damen nur schwer, immerhin gelang K. und mir das Kunststück uns lange genug und intensiv zu unterhalten, so dass die Damen sich woanders umschauten. Thema der Unterhaltung: Das deutsche Steuersystem. Hätte ich auch nicht gedacht, dass das mal für etwas gut sein würde.
Nun sind Asiatinnen auch nicht mein Fall. Liebe, nette Menschen, aber nicht wirklich meine Liga, was die Sache mit den Animierdamen auch nicht leichter macht. Lustig ist allenfalls die Besitzerin, die ganz und gar nicht chinesisch aussieht und die mit einem Ami verheiratet ist. Ein blasser, stiller Mensch um die 60, der in einer Ecke sitzt und die Playlist mittels Computer steuert.
Wir ziehen dann weiter und verlieren auf dem Weg E. mit dem wir essen waren und der jetzt in irgendeinem Club hängen bleibt um am nächsten Tag, laut Auskunft eines anderen Bekannten, einen langsamen Tod auf dem Sofa zu sterben. Wir ziehen weiter, noch so ein Animierschuppen, dann eine Art Irish-Pub, in dem ich tanze, was alleine schon ein deutliches Anzeichen dafür ist, dass ich SOFORT nach Hause gehen sollte. Wir treffen aber weitere Menschen, mir werden in ziemlich hektischer Reihenfolge Biere in die Hand gedrückt und ich höre mich reden. Sort of. Der krönenden Abschluss liefert dann eine irrsinnig lauter Club namens „Mao“, in der ich einer Prostituierte von den Philippinen ausfrage, was sie so verdient (1000 RMB für die Nacht, 50% gehen an den „Manager“).
Im Grunde ist das nämlich so, erklärt mir K. am nächsten Tag: Während man in den Bars kaum Prostitierte trifft, sieht das in den Clubs anders aus. Hier sei die käufliche Damen-Dichte derartig hoch, dass auf 40 Männer 60 Frauen kommen und an manchen Abend könnten die Frauen mehr Geld verdienen, wenn sie sich gegenseitig abschleppen würden. Oder anders ausgedrückt: ein nicht unbeträchtlicher Teil der weiblichen Jugend verdient sein Geld damit, Expats je nach Laune ins Bett und das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dabei ist die Prostitution angeblich größtenteils unorganisiert. Ich stelle es mir schwer vor, wie man bei all den Frauen in den Clubs feststellen kann, wer Geld will und wer nur zum Spaß da ist. Die Antwort ist aber einfach: Die kein Geld haben wollen, sprechen einen höchstens einmal an.
Kurz gesagt: Das Nachtleben in Shanghai erinnert schwer an eine einzige, riesige Party. Ein bisschen wie Berlin in den 90ern, abzüglich der Prostituierten.
Wie dem auch sei – laut allgemeiner Schätzung müssen wir so gegen halb sieben im Hotel gewesen sein. In einem letzten, kurzen Moment der Klarheit nehme ich noch zwei Aspirin bevor ich einschlafe.
2 Antworten zu „Shanghai – Tag 5“
Oh, das Mao – schon umgezogen, oder noch in diesem Hinterhof, an dem vorne zwei Schrankenwärter unglaublich geduldig jedem einzelnen verwirrt Aussehendem den Weg nach hinten zeigen?
Soweit ich mich erinnern kann, musste man nicht über einen Hinterhof. Aber ich würde mich da nicht festlegen wollen ;)