Shanghai – Tag 2

Jet Lag war zwar einigermaßen überwunden, aber irgendwo steckte er doch in den Knochen. Die Aussicht aus dem Hotel Appartement, in dem K. seit zwei Jahren lebt, ist phänomenal. Tagsüber nicht so, weil über Stadt eine Dunstglocke hängt, dafür ist aber nachts wunderschön. Den Tag ruhig angehen lassen und erst gegen 9 das Hotel verlassen. Eigentlich hätte ich gerne ein chinesisches Frühstück probiert, aber in der Nähe war nichts zu finden, also doch einen Starbucks Ableger aufgesucht. Danach einfach ein paar Stunden los gelaufen und mir die Gegend angeschaut. Es gibt in Shanghai kaum noch „alte“ Viertel. Die hat man in den letzten 20 Jahre fast alle abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt. Die meisten Bewohner verlassen ihre alten Häuser gerne. Es gibt eine Abfindung, ein neues Appartement in einer der riesigen Wohnhaussilos, die über die Stadt verteilt sind und von oben aussehen, wie ein Tetrisspiel.

Die meisten, sehr engen Viertel haben zwar Charme, aber sind eine Welt für sich. Die engen Gassen laden nicht gerade ein, dass man einfach mal so rein geht, dafür findet das Leben draußen auf der Straße statt, wo gegessen, gearbeitet, geredet und geraucht wird. Überhaupt, das Rauchen. Angeblich rauchen über 70% der männlichen Bevölkerung. Zigaretten sind billig (80 Cent) und geraucht werden darf fast überall. Neulich hat man wohl verboten, dass man in Kaufhäusern nicht mehr rauchen darf, was zu kleinen Verstimmungen geführt hat. Ansonsten kann man überall rauchen und das wird auch gemacht.

Doch das ist nicht mal das gefährliche in China. Das wirklich lebensgefährliche ist der Verkehr. Die Themen „Verkehrssicherheit“ und „Rücksichtsnahme im Straßenverkehr“ sind nicht existent. Auf den Fußgänger warten hier verschiedene Herausforderungen.

1. Die Straße an einer Ampel überqueren.
Das ist gar nicht so leicht, wie es sich anhört, weil eine rote Ampel für viele nur eine grobe Empfehlung darstellt. Vor allem Taxen und Motorroller empfinden rote Ampeln grundsätzlich als lästig und fahren gerne weiter. Also auch wenn „grün“ angezeigt wird, heißt das noch lange nicht, dass auch keiner mehr kommt. Wenn einer ankommt muss man zur Seite springen. Die meisten Motorroller umkurven einen irgendwie, Autofahrer gehen aber davon dass man klug genug ist einzusehen, dass man als Fußgänger die schlechteren Karten hat.

2. Die Straße ohne Ampel überqueren.
Quasi der heilige Gral, der Grand Slam des Fußgängertums. Ein wenig hilft es, wenn man in Paris gelernt hat über die Straße zu gehen. Aus den Augenwinkel möglichst im 360 Grad Blick scannen, was der Verkehr macht und dann einfach los gehen. 95% aller Motorroller kann man so umgehen, beim Rest muss man halt springen. Autos muss man einfach umlaufen, oder hoffen, dass sie rechtzeitig hupen. Gehupt wird grundsätzlich immer und sehr viel. Der Lärmpegel in der Stadt ist extrem hoch. Das hat aber den Vorteil, dass man von einem heranrasenden Taxi darüber informiert wird, dass man gleich überfahren wird. Sehr vorsichtig sollte man wohl auch sein, wenn der Fahrer mittels Lichthupe freundlich Signale sendet. Es bedeutet nicht, dass er einem in einem Anfall ungewöhnlicher menschlicher Zuneigung die Vorfahrt gewährt. Es bedeutet natürlich das Gegenteil und das man unter gar keinen Umständen weiter gehen sollte, wenn man an der Unversehrtheit seiner Knochen interessiert ist.

3. Autobahnen haben noch andere Regeln.
Es gibt wohl kein Rechtsfahrgebot, und wenn, dann hat es wohl einen ähnlichen intensiven Empfehlungscharakter, wie die rote Ampel. Überholt wird dementsprechend überall und ohne Blinker. Man zieht einfach rüber und hofft darauf, dass der andere schon aufpassen wird. Dabei entstehen, zumindest wie ich gesehen und von anderen gehört habe, erstaunlich wenig Unfälle. Vermutlich, weil man weiß, dass sich alle anderen genauso bescheuert verhalten wie man selber. Ansonsten einfach mit allem rechnen, vor allem mit Dingen, mit denen man nie im Leben gerechnet hat, weil so bescheuert kann man ja nicht sein usw.

4. Neben den Autos sind die Motorroller offenbar Killer Nummer 1.
Das liegt nicht an der schieren Zahl (auch) sondern vor allem daran, dass die meisten Roller einen Elektro-Antrieb haben und nachts komplett unbeleuchtet sind. Man hört und sieht sie normalerweise nicht, es sei denn, der Fahrer nutzt die Hupe (gern) oder telefoniert (auch gern). Oder raucht (noch gerner), aber das hilft nur, wenn er einem entgegen kommt. Man muss also nicht nur nach rechts und links schauen, sondern auch nach hinten. Und nur weil man nichts hört, heißt das noch lange nicht, dass da auch nichts kommt. Auf der Diebstahlliste stehen im übrigen nicht Roller selber ganz weit oben, sondern laut Aussage der dort lebenden Menschen die Akkus, vor allem jene mit einer langen Reichweite.

Auf meiner Shanghai-Wunschliste ganz oben standen von Anfang an die Märkte, vor allem die Lebensmittel verkaufen. Dass das in China eine Sache für sich ist, hat sich herum gesprochen. Aber man will es sich ja mit eigenen Augen anschauen und vor allem riechen. So als verwöhnter Supermarktkunde und engagierter Tierschützer sollte man sich seelisch und moralisch vorbereiten. Auch wenn man etwas penibel in Sachen Hygiene ist, sollte man sich geistig abhärten. Was man sieht, ist dann auch eine Mischung aus faszinierenden, teilweise völlig unbekannte Gemüsesorten und Szenarien, die jeden Beamten eines deutschen Gesundheitsamtes augenblicklich in den Wahnsinn treiben.

Zum Beispiel Fleisch. Das wird auf offenen Holztheken ausgelegt und dem geneigtem Käufer präsentiert. Und das den ganzen Tag. Evtl. auch mit Fleisch, das vom Vortag stammt. Im Winter ist das eher unproblematisch, im Sommer, wo es in Shanghai gerne mal 40 Grad werden, packt man Eisblöcke drauf. Zumindest am Vormittag. Auf einem Bild von mir sieht man ein paar Enten an diversen Haken hängen, davor zwei Ventiltoren. Auf Nachfrage versicherten mir mehrere hier lebende Deutsche, dass das auch im Sommer genauso aussieht.

Ein weiteres schönes Beispiel ist Fisch. Der wird hier meist lebend auf der Straße verkauft. In Styroporkästen oder Plastikbadewannen hält man die zu verkaufenden Fisch. Manche haben eine Sauerstoffversorgung, manche halt auch nicht. Die Fische, die man kaufen will, klaubt man aus dem Wasser, oder sagt dem Verkäufer Bescheid. Mittels eines kurzen Schlag auf den Kopf wird der Fisch betäubt, geübte Hände entschuppen den Fisch, nehmen ihn aus und trennen den Kopf ab. Das geht so schnell, dass man fast zweimal hinschauen muss.

Lebende Tiere findet man selten. Die Chinesen haben zumindest in den touristischen Gebieten dafür gesorgt, dass die Tiere von den Märkten verschwinden. Man sieht zwar noch Kanninchen und Hühner in Käfigen, aber das ist wohl zumindest auf den Märkten in der Innenstadt extrem selten geworden. Eine Verkäuferin hat mich auch wüst beschimpft, als ich ihre Hühner fotografiert habe. Aber – keine Regel ohne Ausnahme. Direkt neben dem Hotel Hochhaus liegt noch ein winziges altes Viertel. Geht man dort rein, sieht man sehr viele Tierhändler, die zum einem fotografierende Touristen gewöhnt sind, zum anderen aber auch jede Menge Tiere anbieten. Von der Heuschrecke über Mäuse bin hin zu vermutlich seltenen Schildkröten gibt es alles. Darunter auch die klassischen Haustiere. In einem Laden sah ich mehrere, sehr junge Welpen in kleine Käfige eingesperrt, auch kaum wenige Wochen alte Katzen sieht in Glaskästen oder Käfigen. Das ist für Tierliebhaber nicht gerade schön anzusehen und man sollte die Märkte meiden, bzw. sich vor dem Besuch seelisch mal kurz abkoppeln.

Wer aber jetzt über „Diese Chinesen!“ echauffiert, sollte vorsichtig sein. In Los Angeles gibt es einen „Pet Shop“ im Beverly Hills Einkaufszentrum, in dem es genauso aussieht, nur dass er etwas sauberer und besser beleuchtet ist.

Ich bin ja nicht zum Spaß hier. Eine sehr großes deutsches Unternehmen hat sein internationales Redaktionsteam nach Shanghai geflogen und ich darf erklären, wie man eine dezentrale Redaktion führt und welche Grundlagen des Online-Journalismus es sonst noch so gibt. Dafür muss ich von Shanghai nach Wuxi, was 120 km weiter im Landesinneren liegt. Die Fahrt ist wegen des Verkehrs (siehe oben) spannend, aber auch weil es eigentlich eine Grenze mehr zwischen den Städten gibt. Wuxi selber ist schwer zu beschreiben. Zum einen, weil ich nur in Konferenzräumen gesessen habe, zum andern weil der Smog so dicht ist, dass man die Stadt nicht sieht (Siehe Fotos). Wuxi wird mir allerdings aus einem ganz anderen Grund länger in Erinnerung bleiben und daran ist die Postbank schuld.

Die stattet ihre neuen EC-Karten mit eimem Chip aus, der die Karten auch im Ausland gegen Skimming und andere Dinge sicherer machen soll. VPay heißt das neue Ding und dafür verzichtet man komplett auf Maestro. Letzteres ist das bisher bekannte Debit-System, mit dem man weltweit Geld abheben kann. VPay ist das Konkurrenz Debitsystem von Visa. Normalerweise sollte man jedem ATM auf dem „Visa“ steht, also Geld abheben können. Dass System ist allerdings aus Sicherheitsgründen auf den Chip angewiesen und nicht mehr auf den Magnetstreifen.

Als ich die Karte bekam, habe ich, auch gerade wegen meiner häufigen Reisen in die USA, bei der Postbank angerufen, wo man man versicherte, dass das neue System von allen Banken nach und nach übernommen wird, und Bargeld an ATMs weltweit überhaupt kein Problem sei. Dass das nicht stimmt, dass die Hotline mich angelogen hat, habe ich dann in Wuxi festgestellt. Das neue System arbeitet bisher nur in Europa, und das auch nur eingeschränkt. Ich hatte relativ viel Bargeld mit, was sich im nach hinein dann als Segen herausgestellt hat. Zum einen, weil ich dummerweise meine Kreditkarte vergessen hatte (deren PIN ich eh schon lange verlegt habe), zum anderen weil die ATMs in China auf das neue System überhaupt nicht eingestellt sind. Wenn man bei Google „Vpay“ und ein beliebiges Land eingibt, findet man dann tonnenweise Einträge von ebenso überraschten wie verärgerten Kunden, die irgendwo in der Walachei ohne Bargeld stehen. Ich kann nicht nachvollziehen, warum eine Bank nicht in der Lage ist, zumindest übergangsweise beide Systeme anzubieten. Immerhin verdient man ja auch an jeder Transaktion im Ausland.

8 Antworten zu „Shanghai – Tag 2“

  1. Sehr gerne gelesen. Wann immer ich Beiträge von Chinas Märkten bzw. Garküchen sehe, muss ich immer fröhlich an unsere Sagrotan-Muttis hierzulande denken. ,-)

  2. Haha, die würden in China durchdrehen. Aber selbst, wenn man mit einem eher sonnigen Gemüt ausgestattet ist, sind die hygienischen Zustände auf den Märkten eher schwierig.

  3. Was den Verkehr angeht: so ist es halt, wenn man vom Fahrrad oder Eselskarren direkt auf ein motorisiertes Pendant umsteigt.

    Die Märkte in Taipei sehen ähnlich aus, wobei die wenigsten dort was gegen das Fotografieren haben. War zumindest bei mir so. Und als Langnase bekommt man auch sehr schnell Probierhäppchen angeboten. Kam meiner Neugierde sehr entgegen. Keine Ahnung was ich da alles gegessen habe, aber im Großen und Ganzen war es lecker und ich habe es auch vertragen.

    Und über den V-Pay-Unsinn hab ich mich auch schon reichlich geärgert. Die Postbank spielt einem heile Welt vor, und auf Reisen ist man der Mops.
    Bleibt einem eigentlich nur der Umstieg auf eine andere Bank.

  4. Wäre ja ok, wenn die Postbank einem sagen würde, dass man mit Vpay außerhalb von Europa dumm da steht. Aber so? Dass es nicht mal in den USA funktioniert, ist ein Witz.

  5. Flo aus N

    Sehr schön zu lesende Berichte über deine Reise nach China. Vor allem der Bericht über den Chinesischen Verkehr ist sehr amüsant. ;-)

  6. Einer von vielen Gründen, NICHT bei der PestPostbank zu sein. Gut, dass ich von dem Idiotenverein schon seit über 7 Jahren verschont werde ;)

    cu, w0lf.

  7. Kommentator

    Mit VPay hatte ich auch schon Spaß, und das in Deutschland: Der Zugang zum Schließfachraum bei einem anderen Institut (keine Postbank, eine Sparkasse) wird erst nach „Durchziehen“ der EC-Karte gestattet; da ich bei der Sparkasse kein Konto habe, nutze ich für den Zugang zu meinem Schließfach die EC-Karte der Postbank, kein Problem.
    Als Anfang des Jahres eine neue Version der EC-Karte zugestellt wurde, hatte die zwar einen schwarzen Streifen aufgedruckt, aber der ist, wie ein Mitarbeiter der Sparkasse und ich feststellten, nur Fake – so eine Art „Trauerrand“, es fehlt eigentlich nur der Aufdruck „in memoriam Magnetstreifen“.
    Um trotzdem wieder an das Schließfach zu kommen, trage ich meine längst abgelaufene EC-Karte weiter bei mir. Ich find’s lustig, das trifft meinen schrägen Sinn für Humor.

  8. Eben in England bei Harrods versucht was mit der tollen Vpay Karte an einem Terminal zu zahlen. Antwort „Leider wird diese Karte nicht unterstützt“. Die Peinlichkeit konnte abgemildert werden, weil ich genug Bargeld mit hatte. Offenbar sind die Karten der Postbank im Ausland völlig unbrauchbar.