Eigentlich sollte man sich ja nicht mehr wundern, aber das teilweise abstruse Selbstverständnis mancher Journalisten und Verlage gibt einem dann doch immer wieder Anlass, den Kopf in Richtung Tischplatte zu bewegen. Es gab in den letzten Wochen einige Artikel zum Thema Wikileaks. Man kann die Art und Weise der Veröffentlichungsstrategie kritisieren, man kann sich darüber mokieren, dass Wikileaks offenbar (und vermutlich nicht ganz billige) Exklusiv-Verträge mit einigen Verlagen geschlossen hat. Ja selbst über die Frage, ob der Krempel überhaupt veröffentlicht gehört, kann man lange diskutieren.
Erstaunlicherweise haben sich viele Kollegen, sei es in der „Welt“ in der „SZ“ oder der „FAZ“, gar nicht erst mit diesen Fragen aufgehalten, sondern sind lieber gleich zum absurden Schluss gekommen, dass Wikileaks eine Gefahr für die Demokratie sei. Das Wort „Nestbeschmutzer“ machte die Runde, gleichzeitig versuchten einige in den Texten eine moderne Dolchstoß-Legende zu fabrizieren. Wikileaks würde den Journalismus zerstören, weil ein paar „Hacker“ eben keine Journalisten seien, aber wegen ihrer Quellen dafür gehalten werden. Mit ordentlichem Journalismus habe Wikileaks nichts zu tun. Womit sie vermutlich immerhin Recht haben, denn Wikileaks war ja immer nur eine Plattform für Veröffentlichungen, nicht für Wertungen, auch wenn Assange sich mit der eindeutigen Bezeichnung des „Collateral Murder“ Videos selbst ein Bein gestellt hat. Wenn Wikileaks nur ein Datenlieferant sein möchte, dann darf man auch keine Wertung vornehmen.
Völlig verzweifelt sind selbst so geschätzte Journalisten wie Hans Leyendecker, wenn es um die Offenlegung der Daten geht. Das könne nicht sein, sagte er in einem Gespräch mit Philip Banse, das ginge nicht. Man müsse die Depeschen erst in Ruhe lesen um dann entscheiden zu können, was man veröffentlicht und was nicht. Leyendecker schneidet da unbewusst ein Problem an, dass vermutlich zu den größten des modernen Journalismus gehört: Die Veröffentlichung der Quellen.
Bisher war es so, dass Rechercheergebnise nur teilweise veröffentlicht wurden. Bei Großskandalen wie in den 80er Jahren, als die Flickaffäre aufgedeckt wurde, gelangten viele Details an die Öffentlichkeit, aber der Rest der Akten verschwand im Archiv der Verlage und in denen der Staatsanwaltschaft. Heute sollten solche Akten online stehen, entweder auf einer Webseite, als Torrent oder sonst wie, die Analyse würde tiefer- und weitergehen, als es manche Redaktion leisten könnte.
Das bedeutet nicht mehr und nicht weniger, dass die Art und Weise, wie der Journalismus mit Quellen umgeht, sich verändert. In Blogs ist es üblich, sofern vorhanden, auf eine Quelle zu verlinken, dies gilt für Texte, Videos und Audiobeiträge. Wer, was, wann gesagt oder geschrieben hat, ist so für alle Leser nachvollziehbar. Blogs haben aus der Not, prinzipiell als Unglaubwürdig zu gelten, eine Tugend gemacht, indem sie oft ihre Quellen offen gelegt haben. So können Skeptiker sich selbst überzeugen oder sich tiefergehend mit der Sache beschäftigen, als es in einem Blogposting möglich wäre. Auf der anderen Seite stehen viele Verlagshäuser, die ihren Redaktionen nicht mal einen Link im Onlineportal erlauben, aus Angst, der Leser könne nicht mehr zurückfinden. Dem ist offenbar tatsächlich so, denn viele Leser lesen mittlerweile lieber dort, wo sie weiterführende Links finden. Der Spiegel hat, meines Wissens, jedenfalls keine Probleme mit seiner Linkpolitik.
Stattdessen führen sich viele Journalisten und ihre Verleger wie religiöse Potentaten auf, die auf ihrer Deutungshoheit beharren. „Das haben wir immer so gemacht, das hat sich bewährt“ oder „Alles andere ist kein Qualitätsjournalismus“ sind Standpunkte, die sich überholt haben. Journalismus funktioniert in vielen Bereichen mittlerweile auch deswegen auf anderen Ebenen, weil sich die Leserschaft emanzipiert und eine durchaus breite Medienkompetenz angeeignet hat. Journalistische Texte sind vor allem für Online-affine Menschen oft nur der Anfang, nicht der Schlusspunkt einer Information. Viele Verlage glauben aber weiterhin, dass mit dem Abdruck eines Artikels, die Sache erledigt sei. Vielleicht liegt es auch an der verlorenen Deutungshohheit des Journalismus, dass einige Verlagshäuser so ungern Links setzen und andere völlig überrascht sind, dass man die bei einer Recherche erlangten Dokumente auch an die Allgemeinheit weiter geben kann.
Aber vor allem sollten die Quellen, die Informationsbits, die Videos, die Webseiten, die einem zu einem Artikel inspiriert haben, müssen verlinkt sein. Denn im Grunde kommt der Leser immer zu der Seite zurück, die ihn am besten mit Informationen versorgt hat. Dazu gehören auch Links. Der nächste Schritt ist, dass man nicht nur für Wikileaks Datensammlungen anlegt, sondern das bei allen Artikeln macht, bei denen Akten und sonstige Dinge dem Leser weitere Informationen liefern können. Und das gilt nicht nur für neue Berichte, sondern auch für jene, deren Ereignisse ein paar Jahre oder Jahrzehnte zurückliegen. Die „Flick Affäre“, der „Neue Heimat“ oder „Coop“ Skandal – es gibt viele Beispiele bei denen man sich vorstellen kann, dass eine nachträgliche Veröffentlichung von Akten interessante Dinge hervorbringen würde.
Journalismus sollte eigentlich per Definition offen sein. Er hat sich in Zeiten, in denen weniger demokratische Verhältnisse geherrscht haben, die Begriffe „Unabhängig“ und „Überparteilich“ erkämpft. Bei den meisten Druckerzeugnissen sind nicht nur die Worte aus dem Kopf der Zeitung verschwunden. Die Offenlegung von Quellen, das stärkere Vernetzen mittels Links, Datenbanken, Mashups usw. werden in Zukunft guten Journalismus ausmachen und ihm vielleicht wieder die Durchschlagskraft geben, die er mal hatte
7 Antworten zu „Die Sache mit den Quellen“
Das klingt alles gut nachvollziehbar und ich würde eigentlich alles direkt unterschreiben. Nur leider habe ich schon mehrfach gelesen, dass auch die Blogger immer weniger verlinken. Ich kann das nicht prüfen und vielleicht – hoffentlich – ist das auch falsch. Aber es wäre sehr schade. Die alte „Regel“ nach der es keinen Post ohne Link geben dürfe, stimmt so jedenfalls auch nicht mehr.
Stimmt das, oder nehme ich das falsch wahr?
[…] Womit wir beim Anlass meines Postings sind, nämlich dem Artikel von Don Dahlmann, der diese Wikileakssache auf einer Metaebene bespricht die meiner verschwurmelten Gefühlslage recht nahe kommt, nämlich der Notwendigkeit der Offenlegung von Quellen. […]
Der traditionelle Journalismus reagiert so empfindlich, weil er wegen des Internets dabei ist, sein Quasimonopol auf die Vierte Gewalt zu verlieren. Die Bürger werden sozusagen ihre eigenen Journalisten. WikiLeaks markiert in diesem Prozess, bei allen Schwächen des Unternehmens, einen wichtigen Punkt.
Selbst Wochen nach der Veröffentlichung ist mir immer noch nicht klar, warum die etablierten Medien derart negativ mit der Thematik umgehen. Nur die Tatsache, dass man nicht mehr das alleinige Monopol auf investigativen Journalismus hat kann es ja nicht sein.
Dass die Bürger Ihre eigenen Journalisten werden darf bezweifelt werden, dazu ist, auch wenn es schön wäre, der Mensch viel zu träge und auf sein eigenes Ego konzentriert. Wenn man so durch die Blogs streift erklärt der Blogger oft seine Ansicht und unterstreicht diese mit Verlinkungen, aber die andere Position wird nur allzu gerne ausgeklammert. Nach dem Motto es gibt nur eine Wahrheit – und das ist zufällig meine.
Die leichteste Erklärung wäre die Verschwörungstheorie, dass Medien aktiv an der Verschleierung der Wirklichkeit teilnehmen und nur noch veröffentlichen was das Volk bei Laune hält. Träfe dies zu, würde jedoch auch Wikileaks nicht mehr helfen können.
Das Verhalten der Medien bleibt mir schleierhaft, aber es ist gut, dass jemand nun Dinge ungefiltert veröffentlicht. Aus diesen Grundlagen eine komplette Geschichte zu bauen bleibt anderen überlassen.
Ich vermisse vor allem, dass man diesen Fundus ausschöpft. Was Wikileaks bedeutet, wie es Herrn Assange gerade ergeht ist ja alles gut und schön, ein gezieltes Quellenstudium sollte aber die Hauptaufgabe sein. Vielleicht findet der ein oder andere ja die Zeit über die Feiertage, die Quellen zu Geschichten zu machen.
Allein die ohnehin immer uneitlen und fleissigen Radiojournalisten kann man hier als Gruppe lobend herausnehmen. Dort wird auch die Quelle Wikileaks genutzt, ohne sich mit den kleinen Diplomatengemeinheiten unnötig aufzuhalten. Selbstverständlich wird naturgemäß – zumindest über den Äther – nicht verlinkt, wenn aber ein Bericht über den diplomatischen Druck Deutschlands auf Amerika bezüglich der Siedlungspolitik Israels mit damaligen Zitaten von z.B. Netanjahu unterlegt wird, erlebt man Journalismus in Vollendung.
Es bietet sich die Chance zur öffentlichen Beweisführung ohne Spesenkosten – ist doch eigentlich ein Traum.
Ich kann Don Dahlmann in seiner Analyse nur zustimmen.
Es ist erschreckend zu sehen, wie wenig die gestandene Journaille dem Revolutionär Julian Assange beiseite springt. Egal, wie man zu Assange steht: Er bedient sich moderner Mittel, um die Welt in eine positive, weil offenere Richtung zu drehen. Totale Transparenz heißt die Losung von Assange. Bemerkenswert: Einzig Rolf Kleine, der Bild-Bundesbüro-Chef, hat soeben in einem Artikel in „Das Parlament“ die Gegenposition zur von Assange angestrebten totalen Transparenz benannt – wer will, fragt Kleine rhetorisch, wer kann alles wissen, wer will noch politisch gestalten in einer Zeit totaler Transparenz, in der alles zerredet und zerdiskutiert wird? Aber auch diese Argumentation wirkt letztendlich altbacken, kommt ein wenig wie der zwanzigste Aufguss der Warnung vor dem Untergang des Abendlandes daher.
Die Wahrheit ist doch die: Assange arbeitet wie ein Historiker, der eine riesige Quellensammlung herausgibt. In Fast-Echtzeit, ohne 30jährige Veröffentlichungssperre. Es ist nicht die Aufgabe des Herausgebers, die Quellen zu interpretieren und in einen (wertenden) Zusammenhang zu stellen. Das war, ist und bleibt die Aufgabe von Historikern/Fachleuten, die sich dafür mehrere Jahre, mitunter sogar ein Leben lang Zeit nahmen. Heute scheint diese Aufgabe allerdings auf gefügige, unter Druck stehende Lohnschreiber übergegangen zu sein. Auch wenn diese Lohnschreiber überfordert sind, ändert dies doch nichts an der Berechtigung der Quellenedition….
Im Zusammenhang mit dem hier diskutierten Thema „Umgang des Journalismus mit Quellen“ möchte ich gerne auf den Beitrag bei http://journalistik-journal.lookingintomedia.com/?p=397 hinweisen.
Thomas Schnedler listet dort in seinem lesenswerten Artikel über den Umgang mit Quellen im gegenwärtigen Journalismus drei Aspekte auf, denen zufolge die Quellenrecherche (inklusive -angabe) heutzutage zunehmend vernachlässigt wird.
1: Einer Studie zufolge meint jeder fünfte deutsche Journalist, dass die „Zulieferungen der PR-Profis zunehmend Beiträge ersetzen, die früher von Journalisten recherchiert wurden.“ (siehe dort)
2: Der journalistische zeitliche Rechercheaufwand sinkt (1973: 140 Minuten/Tag; 2005: 117 Minuten/Tag) laut einer anderen Studie (s. dort).
3: Laut der Forscher Machill, Beiler & Zenker verwenden Journalisten im Schnitt nur rund elf Minuten pro Tag, um die Quellenglaubwürdigkeit und Informationenrichtigkeit zu überprüfen. Nur eine Minute (!) werde dem Quellencheck gewidmet.
Im letzten Teil schreibt Schnedler über „schlimme“ Beispiele, wo Quellen nicht recherchiert wurden bzw. angegeben wurden. (Auch lesenwert.)
Es wird in diesem differenzierten Beitrag (übrigens mit Quellenangaben) also bestätigt, wie wenig Platz eine gute Quellenangabe und -recherche zunehmend im Journalismus hat.
Es lässt sich natürlich nicht sagen, dass Wikileaks hier folgerichtig dem allgemeinen Journalismus-Trend zu Ende denkt und ausführt, weil es einfach alle Dokumente (usw.) ohne Überprüfung ins Netz stellt. Wikileaks betreibt ja eigentlich keinen Journalismus, zumindest nicht im gewöhnlichen Sinn. Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Wikileaks ja gerade den Anspruch, Dokumente jenseits von Quellenangaben, -bewertungen oder gar Gefahren für die Informanten frei zugänglich zu machen. Gibt es Aussagen, denen zufolge Assange sich als Journalisten (im klassischen Sinn) sieht?
Insofern tragen die Leute von der „Welt“, „SZ“ und „FAZ“ zur Klärung bei, ob Wikileaks Journalismus betreibt.
Es ist interessant, dass Herr Leyendecker ein Portal herauspickt, das gar keinen herkömmlichen Journalismus betreiben möchte oder vielleicht – je nach Definition – gar keinen Journalismus betreibt.
Wahrscheinlich ist ihm das Problem des zunehmend kritisch zu sehenden Umgangs mit Quellen im Journalismus (s.o.) allgemein ein wichtiges Anliegen, welches er dank des Medienrummels um Wikipedia aufgreifen und ins Bewusstsein holen kann/möchte.