Wikileaks und die Postdemokratie

Amazon, der DNS Hoster, Paypal – die Liste der Firmen, die Wikileaks ihre Unterstützung entziehen dürfte immer länger werden. Dass das kein Versehen ist, dass die Firmen gerade zufällig entdeckt haben, dass Wikileaks gegen irgendwelche AGBs verstößt, dürfte klar sein. Und auch deutlich machen, dass man sich bei merkwürdigen AGBs oder absurd klingenden Gesetzen nie darauf verlassen sollte, dass diese sowieso nie zur Anwendung kommen. Wenn man es nötig ist, wird man kreativ.

Ich bin weiter skeptisch, was Wikileaks und deren Veröffentlichungspolitk angeht. Die momentane Politik, die Depeschen nur kleckerweise an die Öffentlichkeit zu lassen, ist vielleicht mit dem Argument noch erklärbar, dass man alle Inhalte weiterhin prüfen muss und das eben nicht so schnell geht. Nicht so klar ist mir, ob die Medien, die von Wikileaks die Inhalte vorab zur Prüfung bekommen haben, schon alle Daten haben, oder auf weitere warten. Sollte Spiegel, Guardian und Co schon alle Daten haben, scheint man sich an einen streng reglementierten Veröffentlichungsplan zu halten, der von Wikileaks vorgegeben wird. Zwar ist verständlich, dass man sein Pulver nicht auf einmal verschießen möchte, aber es erinnert an eine Theaterinszenierung und der Regisseur heißt Julian Assange.

Die Regierungen, die Druck auf Unternehmen ausüben, so dass diese die Erreichbarkeit von Wikileaks behindern, wissen wohl, dass da noch mehr kommt, obwohl ich mir kaum vorstellen kann, dass echte Regierungsgeheimnisse nur unter „Confidential“ ablegt werden. Aber wegen ein paar Indiskretionen aus dem „Yellow Press“ Bereich und ein paar offensichtlicher Aussagen, wird man wohl kaum so einen Aufwand betreiben. Es dürfte den meisten Ländern auch klar sein, dass man die Verbreitung des Materials nicht mehr verhindern kann. Man wird vermutlich auch versuchen, die Redaktionen unter Druck zu setzen, aber der Krempel kursiert ja mittlerweile über p2p Netze. [Ich freu mich allerdings schon auf Webseiten mit so Titeln wie „Was uns Wikileaks vorenthält – Die wirklichen Geheimnisse des Cabelgate.] Die momentanen Gegenreaktionen sind also eher aus Frust motivierte Nadelstiche. Tatsächlich bewirken sie bei großen Teilen der Netzbevölkerung auch den „Streisand“ Effekt. Wer sich bisher nicht für Wikileaks interessiert hat, der wird vermutlich angesichts der Empörung im Netz erst recht aufmerksam.

Man bekommt das alles nicht mehr aus der Welt und die Reaktionen einiger Regierungen zeigen auch, dass ihnen die Möglichkeit fehlt, die Sache einzuordnen. Der hier und da heranschwappende Vergleich zum Terrorismus zeigt, wie hilflos auf vielen Positionen agiert wird, wie wenig man vom sehr fundamentalen Freiheitsbegriff (und dessen Umsetzung) des Netzes versteht. Wie sehr er gegen die Regeln der Postdemokratie verstösst. Die Reaktion darauf ist vorsehbar. Wenn man etwas unkontrollierbar scheint, versucht man es entweder zu verbieten (geht nicht) oder zu regulieren. Die Copyright-Mafia wird mit all ihren Forderungen in Sachen Deep-Paket Inspektion, 3 Strikes, Ausweispflicht bei Netzbesuch und Aufhebung der Netzneutralität vermutlich in den nächsten Monaten offene Türen bei den Regierungen einrennen.

Die interessante Frage ist auch, ab wann Regierungen feststellen, dass man solche Leaks auch als Waffe benutzen kann. Gezielte Indiskretionen sind keine große Neuigkeit, erforderten aber bisher eine sorgfältige Planung. Man musste das richtige Medium suchen, eine Vertrauensperson in der Redaktion finden usw. Jetzt loggt man sich per VPN oder von einem öffentlichen Terminal auf der Leak-Seite ein und lädt den ganzen Krempel einfach hoch. Dann schickt man eine anonyme Mail an die Betreiber, in der man eine kurze Zusammenfassung der Inhalte angibt und lässt den Rest das Netz per p2p erledigen. Die Medien sorgen dann für die Schlagzeilen. Es ist also nicht auszuschließen, dass wir in den nächsten Jahren einige solcher Leaks sehen werden, die Frage muss dann aber immer lauten „Cui bono?“. Der Informations/Desinformationskrieg im Netz beginnt für die Länder gerade erst.

8 Antworten zu „Wikileaks und die Postdemokratie“

  1. Was hat jetzt Wikileaks oder das Internet mit den Regeln der Postdemokratie zu tun? Was sind das für Regeln und wie verstößt wer dagegen?
    Der Gedanke, dass Wikileaks für gezielte Falschmeldungen genutzt werden könnte ist einer der spannendsten an diesem Artikel, finde ich. Die Verknüpfung mit Postdemokratie aber (die ja nun ein Phänomen ist, was sich auf ehemals demokratische Staaten bezieht, kein Globalisierungsphänomen, das z.B. auch China tangierte) erschließt sich mir noch nicht.

    (Der letzte Absatz ist übrigens doppelt)

  2. Klingt alles wie eine unterhaltende Geschichte aus Hollywood. Und vermutlich wird es viele inspirieren.

  3. in der abfolge von dingen, die da „nur“ passieren müssen fehlt die kleinigkeit, dass der krempel gelesen, bearbeitet und freigegeben werden muss. keine kleinigkeit eigentlich.

    gerade im aktuellen fall von wikileaks wird ja immer wieder auch bestätigt, dass es unverhältnismäßig viel mehr material/krempel gibt/gäbe, dem sich die wikileaks organisation nicht widmet, widmen kann oder widmen mag.

    umgekehrt, gehen wir von mehreren leakseiten und einigen leakorganisationen und einer inflation von leaks aus, wird „der leak“ inflationär und geht in der masse anderer unter und die medien widmen sich dem einzelnen leak genauso wenig wie heutzutage das mediensystem das nach nüchternen ermessen relevante bringt sondern das kulturindustriell opportune.

  4. […] Wikileaks und die Postdemokratie «Amazon, der DNS Hoster, Paypal – die Liste der Firmen, die Wikileaks ihre Unterstützung entziehen dürfte immer länger werden. Dass das kein Versehen ist, dass die Firmen gerade zufällig entdeckt haben, dass Wikileaks gegen irgendwelche AGBs verstößt, dürfte klar sein.[…]» […]

  5. […] Wikileaks und die Postdemokratie "Die interessante Frage ist auch, ab wann Regierungen feststellen, dass man solche Leaks auch als Waffe benutzen kann. Gezielte Indiskretionen sind keine große Neuigkeit, erforderten aber bisher eine sorgfältige Planung. Man musste das richtige Medium suchen, eine Vertrauensperson in der Redaktion finden usw. Jetzt loggt man sich per VPN oder von einem öffentlichen Terminal auf der Leak-Seite ein und lädt den ganzen Krempel einfach hoch. Dann schickt man eine anonyme Mail an die Betreiber, in der man eine kurze Zusammenfassung der Inhalte angibt und lässt den Rest das Netz per p2p erledigen. Die Medien sorgen dann für die Schlagzeilen. Es ist also nicht auszuschließen, dass wir in den nächsten Jahren einige solcher Leaks sehen werden, die Frage muss dann aber immer lauten “Cui bono?”. Der Informations/Desinformationskrieg im Netz beginnt für die Länder gerade erst." […]

  6. Zum Thema wikileaks: Assange ist eben verhaftet worden, schon gehört?

  7. Zuerst einmal schließe ich mich den „Vorschreibern“ an. Der Gedanke „Wikileads“ zu instrumentalisieren, um gezielt politische, wirtschaftliche usw. Attacken gegen Einzelne oder Gruppen zu initiieren, ist mir noch nicht gekommen, ist aber unbedingt nicht von der Hand zu weisen und bietet viel Material für Phantasien und Spekulationen, fiktiver Art (Roman usw.) oder ganz real. (Hat Wikileads diesbezüglich schon Verfahren entwickelt, mit derartigen Versuchen einigermaßen „sauber“ um zu gehen?)

    Dann: Interessant ist ja, wie hier Journalismus aktiv „aufklärerisch“ etwas angreift (im weiten Sinn) und gleichzeitig selbst zum Spielball von Angriffen, Verteidigunskampagnen usw. wird. Diese Art von Journalsimus- und Medienprozessen hat ja etwas von „losgelöstem Um-Sich-Selbst-Kreisen“ – bei aller gesellschaftlichen, konkreten Relevanz.

    Dann weiterhin: Es wird viel zu dem Thema „Wikileads usw.“ in den Medien informiert, aber dennoch habe ich den Eindruck, nur „Fetzen“ mit zu bekommen. Wobei ich zugebe, nur nebenher die Informationen auf zu nehmen und nicht gezielt recherchiere.
    Was genau wird Wikileads vorgeworfen? Falscher Umgang mit Finanzen… In welcher Form, welche Firmen sind involviert, welche Personen…? Was noch? Gibt es überhaupt noch etwas?
    Warum wird bei der Anschuldigung gegen den Wikilaedsgründer von Vergewaltigung gesprochen, aber – zumindest in den von mir „en passant“ gelesenen Onlineartikeln und Tageszeitungen – nicht präzisiert, warum man überhaupt von Vergewaltigung spricht (sprechen darf). Wenn man die Hintergründe der Anschuldigungen hört, würde ich normalerweise nicht an eine Vergewaltigung denken.

    Insgesamt macht die ganze Angelegenheit deutlich, wie komplex Journalismus sich entwickelt, welche Macht Medienproduzenten haben, wie sehr auch die Prozesse nicht kontrollierbar sind (- das finde ich besonders spannend, aber auch beängstigend -) und wie undurschaubar vieles bleibt, trotz aller Aufklärungsversuche.

    Ja, und am Ende meiner Überlegungen bleibt mir die Erkenntnis, das (mir) das auch Angst macht.

  8. […] Dahlmann ruft wg. Wikileaks, PayPal & Co. die Postdemokratie aus. Der 777. Beitrag in seinem Blog. […]