Der Film war eine Qual. In der abgedunkelten Ex-Fabrikhalle in Altona drängten sich die Kollegen. Aber „Die Schreckensfahrt der Orion Star“ war genau das: Eine filmische Katastrophe, eine lieblose Action-Schmonzette, produziert für die ARD. Und während da Horst Buchholz, Martin Sheen, Brain Dennehy und Michael Ironside über die Leinwand torkelten, war einem das als Betrachter unglaublich peinlich. Man sitzt da, kann das alles nicht fassen und rutscht unruhig auf dem Plastikgestühl rum. Fremdschämen galore. Waren die Letztgenannten immerhin noch gut bei Futter, sah Buchholz schon auf der Leinwand ungesund aus. Und wenn er sich in einer Szene irgendwo festhielt, dann dachte man sich schon, dass das keine Regie- sondern eine Lebensanweisung war, damit er nicht umfällt.
Na gut, dachte man. Bei dem Film würd ich als Schauspieler auch so schauen, aber man kann das ja auch verstehen, wenn Schauspieler älter werden, und die Rollen knapp, dann dreht man auch mal so was. Curd Jürgens hat das ja auch gemacht, Anfang der 70er, als keiner mehr was von ihm wissen wollte. Da drehte er merkwürdige Filme, die auf der Reeperbahn spielten, und deren Inhalt daraus bestand, dass ab und an mal ein ein paar Brüste über die Leinwand wippten.
Aber ich freute mich auch mit einer echten Legende sprechen zu können. Jemand der mit Romy Schneider, Gustav Knuth, Gert Fröbe, Mario Adorf, Yul Brynner, Steve McQueen, Charles Bronson, James Coburn, James Cagney, Bette Davis, Anthony Quinn, Orson Welles, Ed Harris und Roberto Benigni gedreht hat, ist eine Legende, auch wenn seine großen Erfolge ein wenig her waren und er Filme mit Titeln drehte, die einen schon Schlimmes ahnen ließen.
Eine nicht leichte Situation für ein Interview. Man weiß ja, dass so Leute nicht blöd sind, und dass sie mal in den „Glorreichen Sieben“ eine Hauptrolle hatten, und das sie deswegen sehr genau wissen, was ein guter, und was ein schlechter Film ist. Aber versucht man den Film zu umgehen, kann es sein, dass sie beleidigt sind. Das gleiche Problem gilt für frühere Erfolge. Weglassen oder ansprechen? Erinnerung an die gute, alte Zeit, oder lieber Fröhliches nach vorne schauen?
Ich war mit meinen Überlegungen nicht wirklich weiter, als ich reingebeten wurde. Ein karger, heller, weißer Raum, in dessen Mitte ein riesiges Zahnrad lag. Kunst, dachte ich. Dahinter hatte man einen einfachen weißen Tisch gestellt, zwei Stühle, und ein großer Aschenbecher, der schon gut gefüllt war. Horst Buchholz stand augenblicklich auf, umrundete den Tisch und ging ein, zwei Schritte auf mich zu, um mich zu begrüßen. Eine Geste, die mich hätte freuen sollen, wäre ich in dem Moment nicht so erschrocken. Der Mann bestand nur noch aus Knochen. Die Hosen waren mal gut geschnitten und teuer, aber sie hatten einfach keine Chancen an diesen winzigen, spindeldürren Beinen, und so sehr das Sakko auch an den Schultern gepolstert war, es konnte nicht verbergen, dass die Schultern scharf in den Stoff stachen. Es war ein klapperdünnes Männchen, und die eingefallenen Wangen machten da auch nichts mehr aus. Das Einzige, was an ihm lebendig schien, waren seine Haare. Grau zwar, aber immer noch voll und stark, schienen sie immer noch genauso frisiert wie damals in „Halbstark“.
Ich sah einen Kopf, der auf einen winzigen, fragilen Körper geschraubt war, und fast schien es während des Interviews, als fehle dem Körper hier und da die Kraft, den Kopf oben zu behalten. Manchmal pendelte er leicht, manchmal schien er nach hinten zu fallen. Eine Bewegung, die Buchholz dann ruckartig korrigierte, so das seine Haare ein wenig in Unordnung gerieten, was er aber sogleich mit einer geübten Handbewegung wieder in Ordnung brachte. Ich hatte einen Weltstar erwartet, einer der in Anbetracht seiner Lebensleistungen stolz war. Aber er erschein mir als schwacher, leiser Mensch, der mit gedämpfter Stimme und fast ängstlich sprach, bei dem man das Gefühl hatte, einem geprügelten, alten Mann gegenüberzusitzen. Erst später wurde mir klar, dass er einfach keine Lust mehr hatte. Keine Lust solche Filme zu drehen, keine Lust deswegen auch noch Interviews geben zu müssen, keine Lust in einem dämlichen Raum zu sitzen. Alles an ihm schien Verzweiflung und die Zigaretten waren sein Trost.
Wir sprachen ein wenig über den schrecklichen Film, verließen das Thema aber schnell, und als er sich nach 15 Minuten die dritte Zigarette anzündete, konnte ich nicht mehr warten. Ob er denn immer so viel rauchen würde, frug ich ungelenkt und sofort war mir die Frage und die Formulierung peinlich. So was Profanes. Er aber wurde ein wenig munter, nickte fröhlich und sagte listig: „Ja, ich bin jetzt 66. ich rauche, seitdem ich 15 bin. Mein Arzt hat mir gesagt, wenn ich aufhören würde, würde das mein Körper nicht überleben. Klasse, was“. Er grinste einmal dieses Buchholz Grinsen um dann wieder mit seinem pendelten Kopf zu kämpfen. Während des Gespräches fiel mir auf, das er zyklisch munter wurde. Kaum war die Zigarette an, und die ersten zwei Züge in der Lunge, lebte er ein wenig mehr. Der Kopf pendelte weniger, die Stimme wurde fester und schneller und Bewegungen energischer. Gegen Ende der Zigarette war dann alles wieder normal, bis er ca. zwei Minuten später die Nächste anzündete. Auch seinen Augen machten den gleichen, wenn auch abgeschwächt, Zyklus mit. Ohne Zigarette fast tot und leer, mit einem leichten Blitzen und so was wie Freude. Seine einzige Wonne schien nur noch daraus zu bestehen, sich mit Marlboro Lights Leben in seinen Körper zu bringen.
Er sprach dann selbst ein paar Worte über sein Leben und seine Vergangenheit. Dass er immer mit der gleichen Frau zusammen war. Dass er sie nie betrogen hatte, und dass dies wohl daran liegen würde, dass sie sich auch nach der Hochzeit noch siezen würden und keine gemeinsame Wohnung hätten. Dabei wedelte er mit den dünnen Ärmchen in der Luft herum, was ein wenig traurig aussah. Die gestärkten Hemdsärmel schlackerten wild und gaben den Blick fast bis zu Ellenbogen frei und ich erhaschte einen Eindruck davon, wie das ist, wenn man sagen kann, dass die Haut wie Pergament aussieht und man jeden Moment Angst haben muss, dass sie reißt und wie eine alte Schlangenhaut abfällt.
Am Ende des Interviews begleitete er mich zur Tür. Ein Gentleman eben, und der Händedruck war für einen kurzen Moment fest, bevor er seine Hand fast leblos zurückzog. Ich ging ein paar Schritte aus der Tür, die offenblieb, und drehte mich aber noch einmal um. Da stand er dann, wieder in Rauchschwaden gehüllt, die Schultern weit nach vorne gezogen und starrte aus dem Fenster.
6 Antworten zu „Horst Buchholz“
Danke für den Artikel, er macht einem ein wenig das Herz schwer. „Hotte“ neben Yul Brynner, was habe ich diesen Filme geliebt und kann ihn auch heute noch schauen.
Horst Buchholz ist mir weniger für seine Rolle in den Glorreichen Sieben in Erinnerung, als für seine wunderbare Darstellung als Felix Krull oder Otto Piffl (in Billy Wilders Eins, Zwei, Drei). Alternde Stars in unterirdischen Filmen gab und gibt es ja zuhauf, ich werfe nur mal Poseidon Inferno ins Rennen… Naja, die Miete muss reinkommen, da hilft alles nichts. Man weiss nicht, wann man sich mehr fremdschämen soll, wenn man solche schlechten Filme mit Weltklasseschauspielern sehen muss, oder wenn Stars einfach nicht wissen, wann sie würdevoll abtreten sollten und tatsächlich noch mit Spaß an der Sache durchs Land tingeln. (Peter Kraus, anyone?)
Danke für diese schön geschriebene, traurige Geschichte. Es klingt, als sei der „Halbstarke“ (was für ein schrecklicher Begriff!) ein Gentleman gewesen.
Zum Glück lässt heute nahezu zu jedem Film, Musik- oder Theaterstück eine Meinung finden. Man muss nur noch abschätzen, ob man dieser Vertrauen schenken kann. Ich habe auch überlegt ob ich mit meinem Mann mal wieder ins Kino gehe, werde mir das aber wohl verkneifen. Zumindest diesen Film. Insofern Danke an den Autor der Rezension für die mir ersparte zeitverschwendung.
Viele Grüße
Sonja B.
Selten so einen Schrott gelesen, absolutes No Go.
Sonja, Tomas: Ich verstehe nicht, was Sie sagen wollen. Rezension? Schrott? Sie sprechen wirr.
Und, Herr Dahlmann: Danke schön für diesen Text, wollte ich nicht vergessen haben.
Danke für diesen Text. Bin natürlich stutzig geworden bei dem Satz „sie sich nach der Hochzeit noch siezen würden“, aber ja, seine Gattin war Französin – da passt das.
Horst Buchholz, meine Mum hat ja immer glänzende Augen bei seinem Anblick bekommen … und nun liegt er auf dem gleichen Friedhof wie mein Vater, wie ich gerade feststellen durfte.