It’s the end of the world as we know it

Google hat ein merkwürdiges Abkommen mit dem US-Provider Verizon getroffen. Zwar will man für das bestehende, kabelgebundene Internet weiter die Netzneutralität beibehalten, aber das gilt a) nicht für neue Dienste, in diesem Netz auftauchen und b) nicht für das mobile Internet, also alle Daten, die nicht kabelgebunden durch den Raum schwirren (UMTS/HSDPA/LTE/WIMAX). Darüber kann man sich zu Recht aufregen, denn es teilt das Internet in zwei Klassen. Zum einen das freie Internet, so wie man es kennt, zum anderen das mobile Internet, das bisher zumindest teilweise frei war.

Dabei muss man allerdings sehen, dass das sogenannte „Peering“ im Mobilnetz schon lange existiert. Fremde Daten, vor allem von Providern, die keine Abkommen miteinander haben, werden langsamer übertragen, als die eigenen. Dazu kommt, dass die Provider das mobile Netz sowieso kastrieren. Dienste wie Skype oder Torrents, werden gesperrt, und sind wenn überhaupt und durch eine Zuzahlung zu bekommen. Man kann für die Provider ein gewisses Verständnis im mobilen Netz aufbringen. Die UMTS-Lizenzen waren teuer, die Netze sind schnell ausgelastet, also muss man schauen, dass alle einen Teil abgekommen und nicht Gigabyte große Downloads das Netz für jene verlangsamen, die nur ihre Mails abrufen wollen. Auch steigen die Innovationskosten. LTE (auch G4 genannt) wird der neue Standard, allerdings muss man dafür auch wieder die Infrastruktur teilweise komplett Neuaufbauen.

Der Sündenfall besteht also nicht in der Regulierung der Datenpakete, sondern darin, dass ein Content-Anbieter wie Google sich erstmals auf die Seite eines Providers stellt, und den Abbau der Netzneutraliät unterstützt. Die Priorisierung der Dienste kann dann zu merkwürdigen Dingen führen. So mag man last.fm auf seinem Rechner zu Hause ohne Einschränkungen hören können, auf dem Handy geht es aber nicht, bzw. nur in schlechter Qualität, weil last.fm die Mittel und die Lust fehlen für die Bevorzugung im Netz zu zahlen. Es geht aber noch weiter, denn es könnte ja sein, das last.fm einen Deal mit Vodafone schließt, mit O2 aber nicht handelseinig wird. Während Vodafone Kunden last.fm in HQ hören können, bekommen O2 Kunden dann nur eine Version, die nicht so gut funktioniert.

Der Deal zwischen Google und Verizon ist auf den ersten Blick nicht schädlich für den Konsumenten, weil die gar nicht finanziell belastet werden. Stattdessen werden die Content-Anbieter und vor allem Startups belastet, die ihre Dienste an den Mann bringen wollen. Wenn last.fm bei meinem Provider nicht verfügbar ist, muss ich entweder den Provider wechseln (was schwierig ist) oder den Dienst. Würde Spotify also einen Deal mit O2 haben, wäre mein Entschluss klar.

Warum Google diesen Schritt gewagt hat? Einerseits haben sie eine Menge Dienste, die das mobile Netz stark belasten. Android mit seinen Hintergrunddatenabgleich, Google Maps & Navigation und natürlich You Tube. Die in den Startlöchern stehenden Plattformen Google TV und Google Games sind zwei weitere wichtige Wachstumsfelder. Gleichzeitig sichert sich Google eine Monopolstellung auf dem Markt. Denn wenn, wie in der Presserklärung nebulös angedeutet, auch im Breitbandnetz neue Dienste oder Webseiten ab einem gewissen Traffic auch unter die Lupe genommen werden können, dann hätte ein YouTube Konkurrent keine Chance mehr. Es sein denn, Endverbraucher zahlt für dieses „Internet Plus“. Faktisch würde mir dem Deal das freie Internet eingefroren, um ein neues, in dem nicht die User, sondern die Content-Anbieter und ISPs das Sagen haben, einzuführen.

Zu dem setzt der Schritt eine weitere nationaliserung der Angebote in Kraft. Wegen der bekannten Probleme beim Urheberrecht ist es zum Beispiel nicht möglich (zumindest nicht ohne Tricks) Dienste wie hulu.com oder den BBC iPlayer aus Deutschland abzurufen. Geo-IP-Blocking lässt sich aber einigermaßen schnell umgehen und die Content-Anbieter kommen mit dem Blocken von VPNs und Proxys nicht hinterher. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen. Werden die Datenpakete, bzw. deren Abruf, vom Provider kontrolliert, sieht das wieder anders aus. Kann ich mich zum Beispiel nicht mit einer Verizon IP ausweisen, könnte mir der komplette Zugang zu Diensten verwehrt bleiben. Noch schlimmer wird es mit dem obengenannten Peering. Theoretisch könnte Verizon einen YouTube Konkurrenten aus Russland oder China blocken, bzw. verlangsamen, weil die keinen Deal mit dem Provider haben. Peering wäre also nicht nur ein Kontrollelement für Inhalte, es wäre auch ein Hebel, um den nationalen Markt zu „schützen“. Quasi moderne Zollabgaben.

Das einzige Zugeständnis, das Google und Verizon machen wollen, ist eine gewisse Transparenz, welche Dienste gedrosselt werden, und welche nicht. Das müssen sie allerdings auch machen, sonst hätte die FCC (US Aufsichtsbehörde) den ganzen Deal vermutlich einkassiert (was sie allerdings immer noch machen können).

Ein weiterer interessanter Punkt, ist die damit möglicherweise verbundene „AOLisierung“ des Internets. Das findet man schon innerhalb der Mobile Apps bei Apple, wo der Hardwarelieferant bestimmt, was für Programme auf meinem Handy laufen dürfen. Apple entscheidet, ob eine Applikation in der App-Store kommt, oder ob man sie zurückweist. Das ist gleichzeitig ein schönes Geschäftsmodell, denn Content-Anbieter (zum Beispiel Verlage) könnte man dafür zur Kasse bitten, wenn sie ihre Applikation online stellen wollen. Bei Android sieht das (noch) anders aus, aber auch hier gibt es erste Bestrebungen aus Qualitätsgründen (Malware, Trojaner etc.) den Markt stärker zu regulieren. Das bestehende Internet, in dem alle Daten gleichbehandelt wurden, ist also gleich von drei Seiten bedroht: den Providern, den Hardwarelieferanten und seit Neuestem auch durch monopolistische Content-Anbieter, die nationale wie internationale Konkurrenz aus dem Feld räumen wollen. Am Ende bleibt das uns bekannte Internet in seinen Grundzügen zwar bestehen, das „neue“ Internet Plus sieht allerdings komplett anders aus.

Allerdings hat das Netz eine solche Transformation schon einmal mitgemacht. Das Usenet der 80er Jahre unabhängig, unkontrolliert und frei. Als das „neue“ http-Netz aufkam, übernahmen kurzzeitig Firmen wie AOL und Compuserve das Ruder, die einem nicht das Netz anboten, sondern kasernierte Contentangebote auf den eigene Plattformen. Das hat sich allerdings auf Dauer nicht halten können, wie die Geschichte gezeigt hat. Es waren ausgerechnet Dienste wie die von Google, die dem AOL-Netz den Todesstoß versetzt haben. Der Unterschied zu heute ist allerdings, dass die Provider damals in der ganzen Sache keine Rolle gespielt haben. Ob das Netz, sollte es zu weiteren Übereinkommen wie zwischen Google und Verizon kommen, stark genug ist, um sich gegen die Provider durchsetzen zu können, ist dann wieder eine andere Frage. Die ISP sind, dank ihrer Infrastruktur, das Nadelöhr des Netz. Es gibt da nur einen Weg, wie man das offene Netz retten kann. Die Politik setzt die Netzneutralität unter allen Umständen und für alle Netze (Kabel und Mobil) per Gesetz fest. Doch selbst das reicht nicht, wenn dieser Entschluss auf einer nationalen Ebene fällt, da andere Länder es anders sehen können.

Mein Bauchgefühl sagt mir, dass das Ende des Netz, so wie ich es kenne, nur eine Frage der Zeit ist. Zu viele wirtschaftliche und politische Interessen hängen mittlerweile am Netz, als dass man es seiner Unabhängigkeit überlassen würde. Die Liste derjenigen, die am Netz rumregulieren, ist lang und sie wird mit jedem Tag länger. Ob das die GEMA ist, die Landesmedienanstalten, die Politiker mit dem neuen Jugendschutzgesetz, die ISPs mit dem Verlangen mehr Geld zu verdienen oder Content-Anbieter, die der Konkurrenz einen Schritt voraus sein wollen. Ich sehe im Moment nicht, wie die User sich gegen auf Dauer gegen diesen Beschuss wehren können.

5 Antworten zu „It’s the end of the world as we know it“

  1. Thomas

    Vielen Dank für die interessanten Informationen!

  2. […] für Streetview aufregen – dabei ist Googles Haltung zur Netzneutralität wirklich enttäuschend und gefährlich. Als Anbieter von Inhalten sollte Google ein Interesse daran haben, nicht zusätzlich für den […]

  3. […] sehen leider nicht alle so, worauf zum Beispiel Don Dahlmann aufmerksam macht, der die Interessen der Wirtschaft und der Politik zusammen mit denen der Webgemeinde auf die Waage […]

  4. Tim

    In 10 Jahren wird es Bücher, Filme und andere Medien geben, in denen die wilde, liberale Zeit des ersten Internetbooms zwischen 1997 und 2007 gefeiert wird.

  5. Ein sehr guter Artikel mit mehr als berechtigten Sorgen.