Die Macht der Gesichtslosen

Auf Phoenix sah ich gestern ein Gespräch zwischen Friedrich Nowottny und Hans Barbier zum Thema, ob die Politiker überfordert oder einfach nur unfähig sind. Nowottny meinte zu dieser Frage, ob es früher nicht bessere und handlungsstärkere Politiker gegeben habe, ausweichend, dass die Probleme heute deutlich komplizierter seien, als sie das früher waren.

Das mag teilweise stimmen, denn die globalen Verzahnungen, gerade in der Wirtschaft, sind heute nicht nur größer geworden, sie werden auch nicht mehr von der Politik, bzw. von Staaten kontrolliert. Auf der anderen Seite waren die politischen Probleme in den 60er, 70er und 80er Jahren auch nicht gerade klein. In den 60er Jahren wurde aus dem kaltem Krieg mehrfach fast ein heisser, in den 70er Jahren musste sich die deutsche Politik mit der Ölkrise und der RAF auseinandersetzen, die 80er Jahre waren mit dem NATO-Doppelbeschluss und dem Zusammenbruch der Ostblockstaaten auch nicht gerade ohne Probleme. Viele dieser Probleme wurden nur deswegen gelöst, weil man Glück hatte, bzw. andere scheiterten. Aber eine Sache blieb, bei all dem üblichen Geschimpfe auf die Politik und ihre Vertreter, dann doch: man hatte Vertrauen, dass man da „oben“ mit erfahrenen Menschen zu tun hatte, die im Notfall wissen, wie zu handeln ist. Einzige Ausnahme: Helmut Kohl bis 1989, der sein „Birne“ Image einfach nicht los wurde. Natürlich gab es in der Politik immer wieder Nulpen, die aus parteipolitischen Gründen in einen Ministersessel rutschten, vor allem in der Ära Kohl. Dennoch wurden die „schwachen“ von den starken Figuren getragen. So zumindest der Eindruck.

Heute ist das anders zu sein. Das fängt schon bei der Art und Weise an, wie Ministerposten verschoben werden. Eben war Schäuble noch Innenminister, jetzt betreut er das Ressort der Finanzen. Von der Leyen durfte sich um die Familie kümmern, jetzt ist es das Sozialministerium. Guttenberg war erst Wirtschaftsminister, jetzt ist es die Verteidigung. Die genannten Personen füllen ihr Amt zwar sichtbar aus, ob sie es aber beherrschen ist eine andere Frage. Ein Elektriker mag auch einen guten Fliesenleger abgeben, aber gelernt hat er was anderes.

Aber die drei sind die „Hotshots“ der Regierung, die immerhin noch scheinbar Kompetenz ausstrahlen. Erinnert sich jemand noch den Wirtschaftsminister Glos, der ein paar jahrelang ebenso hilf- wie ideenlos durch die Landschaft torkelte, weil die CSU unbedingt irgendjemanden auf irgendeinen wichtigen Posten schieben wollte? Es ging um den Posten, nicht um die Kompetenz. Und wie sieht es Phrasenmaschinen wie Siegfried Kauder oder, noch schlimmer, Roland Pofalla aus? Sind das Menschen, denen man zutraut, dass sie in der Lage sind, die Probleme, die es gerade gibt, zu lösen? Das mögen privat ja alles ganz fürchterlich nette Menschen sein, aber sie machen jeden Tag ungefähr so ein Gesicht, wie ich, wenn ich gefragt werde, wie mathematische Formel der Heisenbergschen Unschärferelation aussieht.

Nervig ist auch, dass die „Führungspersönlichkeiten“ der Republik gerade eher dazu neigen, ihre Fähigkeiten gut zu verstecken. Sofern sie denn vorhanden sind.

Westerwelle, der ewige Abiturient, der durch die Weltgeschichte stolziert, dabei deplatziert und gleichzeitig so arrogant wirkt, wie ein Emporkömmling, der endlich zu Macht gekommen ist. Ein Außenminister wie ein Beinbruch, nur weiß man bei letzterem, dass er a) schnell wieder weg geht und b) selten Schäden hinterlässt. Dessen festgemeiseltes Grinsen auch dann nicht weg geht, wenn er gerade die Rentenvorsorge der Hartz IV Empfänger eingedampft hat.

Oder die Kanzerlerin, die sich freiwillig mit Bücklingen wie Pofalla umgibt, die gerne auch viel aussitzen würde und dabei jedes Vertrauen verliert. Die das Wort „Gerechtigkeit“ aus dem SED-Thesaurus entnommen hat.

Um nicht falsch verstanden zu werden: das ist nicht der Ruf nach einem einsamen Entscheider, einem der die Zügel in die Hand nimmt. Ich mag meine Demokratie. Es ist eher die Verwunderung darüber, wo die ganzen Persönlichkeiten in der Politik geblieben sind. Wenn man sich schon fast wieder nach Roland Koch sehnt, wie schlimm steht es dann um Ansehen und Respekt der führenden deutschen Politiker?

Mein Gefühl sagt mir, dass ich mich in der Hand von meist gesichtslosen Menschen befinde, die bis an die maximale Grenze ihrer Inkompetenz befördert wurden. Die sich jahrelang nicht gefragt haben, was sie verändern wollen, was sie besser machen können, sondern wie sie ihre parteipolitische Karriere sichern können. Excel-Strategen, die eine Partei wie eine Firma betrachten und ihre Karrierechancen dort abwägen. Die über Listen abgesichert sind, die schon irgendwo einen Posten bekommen, wenn es mal eng wird, egal in welchem Ministerium, zur Halt auch mal in einer Stiftung, klingt ja auch gut. Und wenn diese Menschen plötzlich das Ende ihrer persönliche Karriereleiter erreicht haben, und wenn sie plötzlich entscheiden müssen, dann können sie es nicht, weil ihnen nicht nur die eigene Vision, sondern auch das Wissen dazu fehlt. Sie berufen dann Kommissionen ein, sie holen sich „Rat“, stellen Lobbyisten ein, die ihnen ins Ohr flüstern. Das Problem in Berlin und Brüssel ist nicht nur der finanzielle Einfluss der Lobbys, sondern die Dummheit und die Rückgratlosigkeit der meisten Politiker, die sich nur allzu gerne „beraten“ lassen.

Das Elend ist, dass sich die in absehbarer Zeit nicht ändert. Nach 60 Jahren ist die Parteiendemokratie an ihre Grenzen gestossen, weil sie durch die Listen-Diktatur der Parteien bestimmt wird. Und weil die „Presse“ sich lieber darum kümmert, wie man aufs iPad kommt, weil viele Verlagsmanager das Wort „redaktionelle Freiheit“ ad absurdum geführt haben. Ohne kritische Berichterstattung, ohne die Forderung nach Offenheit und Transparenz im politischen Prozess wird sich auch nichts ändern.

Natürlich neigt man immer zu dem Satz „Früher war alles besser“. Die verblasste Zeit lässt vieles schöner und besser erscheinen, als es damals tatsächlich war. Das gilt auch in Sachen Politiker. Die momentane, größtenteils unheimliche, Hampelei der Verantwortlichen in Regierung und Wirtschaft ist nicht nur ärgerlich, man fragt sich auch unwillkürlich, ob das schon immer so war. Oder ob man tatsächlich mit mehr Idioten zu tun hat, als das früher der Fall war.

14 Antworten zu „Die Macht der Gesichtslosen“

  1. Schön auf den Punkt gebracht.

  2. Die kurzen Filmchen in der Tagesschau mit den Politiker-Statements erscheinen gelegentlich auch als Werbetrailer zu „Neues aus der Anstalt“.

    Man neigt zur spontanen Zustimmung, so viele Abziehbilder.
    Wulf wird die passende, repräsentative Spitze.

    Wobei die vorherrschenden Politikertypen auch nur ein Symptom sind.

    Genau die sind gewählt worden und werden weiter gewählt.

    Das Publikum, also wir, sitzt auf der Tribüne und schaut maulend zu.

    Wer will da noch seine Freizeit in Parteien, Gewerkschaften usw. verbringen um dann anschließend auch angemault zu werden?

  3. @Rolf
    Die sind gewählt worden, weil sehr selten etwas Anderes im Angebot ist. Don Dahlmann deutet schön auf die Listenabsicherung von Direktkandidaten hin, auf interne Parteistrukturen, die im Grunde nur diejenigen befördert, die sich ihr Nett-Zwerg [sorry] über Jahre brav aufbauen. Kohl war so ziemlich der erste [bedeutende] Politiker, der ausschließlich in und für die Partei groß geworden ist, selbst seine wissenschaftlichen Meriten erwarb er sich in, für und über seine CDU.

    Wir sollten auch nicht außer Acht lassen, dass – anders als es gerne kolportiert wird – schon aus statistischen Gründen Mittelmaß siegt. Zum einen aus schierer Menge heraus, zum anderen, weil die Mittelmäßigen sehr ungern Bessere um sich haben [die vom anderen Ende der Kurve dienen ihnen als Abtreter und schlechtes Beispiel].

  4. Andi

    „Ein Elektriker mag auch einen guten Fliesenleger abgeben, aber gelernt hat er was anderes.“

    Dieser Vergleich ist IMO unzulässig, weil irreführend. Ein Minister „macht“ die Politik nicht so, wie ein Eletkriker Leitungen legt und ein Fliesenleger Fliesen. Minister sind dazu da, nach innen Leitlinien vorzugeben und nach aussen Ergebnisse zu verkaufen. Die Arbeit passiert im Bauch der Ministerien. Also, um die Bilder zu vermischen: Der Minister legt fest, wie das Beleuchtungskonzept und der Fussboden aussehen sollen, die Beamten erarbeiten die Umsetzung und der Minister erklärt hinterher, warum man gerade diese Leuchtmittel und jene Fliesen dafür benötigt. Oder so ähnlich. :-) Kürzer gesagt: Minister sind Manager, keine Facharbeiter.

    Ressortwechsel sind auch gar nicht so ungewöhnlich. Gerhard Schröder (nein, der von der CDU in den 50er/60er Jahren) war Innen-, Aussen- und Verteidigungsminister. Strauß war Verteidigung und Finanzen. Blank war Verteidigung und Arbeit. Stoltenberg war Forschung, Finanzen und Verteidigung. Genscher war Innen und Aussen. Vogel war Städtebau und Justiz. Schmidt war Innen (in Hamburg), Verteidigung, Finanzen und (kurzzeitig) Wirtschaft. Seiters war Kanzleramt und Innen. Kinkel war Justiz und Aussen. Merkel war Frauen und Umwelt. Müntefering war Gesundheit (in NRW), Verkehr und Arbeit. Schäuble war/ist Kanzleramt, Innen und Finanzen. Vermutlich gibt’s noch mehr Beispiele.

  5. Tim

    Strauß war auch Atomminister, der Vorläufer des Bundesforschungsministeriums. Mir fällt spontan noch Wissmann ein, der Bundesforschungsminister war und wegen der Krause-Affäre schnell ins Bundesverkehrsministeriums gewechselt ist. Und dann hatten wir noch den Friedrich Zimmermann, bekannt durch seine Mofa-Fahrt durch die Blumenrabatte. Der war Innenminister und dann Verkehrsminister.

    Ansonsten ist der Text Stammtisch-Gejammer. Man kann den Politikbetrieb von früher nicht mit dem heutigen vergleichen. Wie wäre es denn mit einem 4-wöchigen Praktikum bei einem MdB? Mit ihren Beziehungen müsste das doch drin sein, und einige gute Stories wird das auch geben. Ich wette, danach denken sie anders über unsere Volksvertreter.

  6. Es gibt zwei grundsätzliche Arten Politik in einer Demokratie zu betreiben. Die erste Variante: Der Politiker hat eine politische Idee, für die er kämpft, das heißt er vesucht, für diese Ideen eine Mehrheit zu gewinnen. Die Idee wird auch nicht zu den Akten gelegt, wenn dies im ersten Anlauf nicht klappt.
    Variante zwei: Es gibt keine eigene politische Idee, aber ausgeprägte Fähigkeiten zu erahnnen, welche Ideen Mehrheiten finden. Diese Ideen werden dann als Überzeugung so präsentiert, dass sie bei veränderten Mehrheiten auch wieder aufgegeben werden können.

    In der Praxis haben wir natürlich immer Mischformen, aber wenn sich etwas geändert hat, dann ist eine Tendenz fort von Variante eins und hin zu Variante zwei. Und ich bin auch ziemlich überzeugt, dass Helmut Kohl der Urahne des zweiten Politkstils ist, zumindest soweit es das alte West-Deutschland betrifft.

    Siehe auch: http://www.geografitti.de/2010/04/06/helmut-kohl-ein-leninist-wird-80/

  7. Heinz Riesenhuber (CDU). Martin Bangemann (CDU). Klaus Kinkel (FDP). Ignaz Kiechle (CSU). Claudia Nolte (CDU). Karlheinz Funke (SPD). Reinhard Klimmt (SPD) … Nein, das war früher auch nicht besser. Und dass meine Liste mit der Kohl-Regierung beginnt, hängt schlicht damit zusammen, dass ich mich an frühere Regierungen nicht erinnere. Doch: Weshalb sollte bei denen etwas anders gewsen sein?

    (Und, nein, ich glaube gar nicht, dass das ein Schaden ist. Wie Andi schreibt: Dieses politische System funktioniert nicht deswegen, weil da solch persönlich überzeugende Charmebolzen an der Spitze stehen.)

  8. Ich glaube das Beispiel Glos ist keine Ausnahme, sondern die Regel. Wer, wo und wie regiert hat vermutlich häufiger als man denkt mit der Herkunft und noch mehr mit Beziehungen zu tun, als mit dem was am besten wäre.

  9. staarman

    Sehr gut beobachtet und ausformuliert.

  10. Ich bin durch Zufall hier gelandet und werde sicherlich wieder kommen. Sehr guter Artikel !

  11. Bin durch jensscholz auf Facebook mal wieder hierher gekommen.
    Sie schreiben mir aus der Seele und aus dem Hirn und Herzen sowieso!
    Ich werde diesen Artikel gerne verlinken.

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  13. Vera

    Man hat doch keine richtige Auswahl mehr. Von jedem etwas in einer Figur, das wär toll.

  14. Alles richtig… Schade nur, dass wir nichts ändern können.