Mein Vater hatte in den 70er eine richtig gute Stereoanlage. Marantz Verstärker, Thorens Plattenspieler, Sonab Boxen. Dazu eine erkleckliche Plattensammlung. Da er seine Musik Ende der 50er und in den 60er und Anfang der 70er Jahre entdeckt hatte, war die Auswahl klar. Viel Elvis, viel Beatles. Aber auch das erste Led Zeppelin Album, erstaunlicherweise Black Sabbath und Nazareth. Letztere waren schon damals nicht so meine Baustelle, ich hielt es in meinen frühen Jahren eher mit den Beatles, wenn ich zu den Platten meines Vater gegriffen habe. Was im übrigen kein Problem war. Er machte sich weniger um Kratzer Sorgen, denn mehr um die sündhaft teure Nadel des Plattenspielers, die meiner ungelenken Behandlung eventuell nicht standhalten könnte. Deswegen brachte er mir bei, wie man die Nadel millimetergenau über dem Anfang einer Platte positionierte um sie dann mittels eines kleinen Hebels sanft abzusenken. Hat auch meist geklappt.
Irgendwann kannte ich die paar Beatles Platten (Rubber Soul, Revolver, Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band) in- und auswendig, Elvis war nicht so meine Hausnummer, also wendete ich mich den Platten zu, die ich normalerweise immer durchflippte. Dabei stieß ich unter anderem auf eine etwas verkratzte, angeeckte Platte eines Mannes namens Joe Cocker. Den meisten eher aus den 80er Jahren bekannt, als er schlimme, schlimme Cover fabrizierte, mit denen er seinen Alkoholkonsum finanzierte. Aber anderer Leuts Sachen zu covern war zwar eher seine Sache, aber das hatte nichts mit dem zu tun, was er in den paar Jahren seiner eher kreativen Phase zwischen 67 und 72 raus gebracht hatte.
Am bekanntesten aus der Zeit ist seine Beatles-Coverversion „With a little help from my friends“. Und logischerweise war es auch der Song, bei dem ich auf der LP (ich glaub es war der vorletzte Song der zweiten Seite) hängen blieb. Das erstaunlicher war ja schon, dass er so weit hinten auf der LP versteckt war. LPs hörte man im Grunde auch nicht anders, als heute CDs. Wenn die starken Songs nicht irgendwo bei den ersten Stücken war, hörte man kaum noch rein. Die zweite Seite war meistens schwächer, auch wenn es da natürlich Ausnahmen gab (Pink Floyd etc.).
Die Version von Cocker, ich muss dann das blöde Wort mal einsetzen, elektrisierte mich damals sofort. Nein, nicht sofort. Bei den ersten Takten war ich mehr oder weniger empört, dass man einen Beatles Song einfach so kopieren konnte. Nach dem ersten Hören musste ich allerdings feststellen, das Cocker gute Arbeit geleistet hatte. Das hatte doch, obwohl deutlich langsamer, mehr Drive, als die Beatles Version. Und dann dieser Einstieg mit der Orgel. Und diese Stimme, die irgendwo von ganz unten kommen konnte und dann doch wo ganz anders hinwanderte, so als ob sich ein Alien durch seinen Bierbauch schieben würde. Nach dem dritten Mal war ich dann hin und weg und habe heimlich, wenn ich alleine war, laut mitgesungen, was mangels Stimmbruch eher mau ausfiel.
Aber die gesamte Darbietung hatte was archaische, fast animalisches, das konnte ich selbst damals in meinem Alter spüren. Der Song brannte sich regelrecht in meine Musikerinnerung ein und die vielen Kratzer auf der Platte waren dann mein Werk. Alles was Cocker sonst so machte, interessierte mich nicht, zu mal er in den 70ern ja mehr oder weniger von der Bildfläche verschwand. Als er dann in den 80ern wieder auftauchte, war ich kurz interessiert, aber wie schon erwähnt waren seine Erfolge nicht so meine Sache.
Ende der 80er oder Anfang der 90er Jahre kaufte ich mir eine mal eine Karte für eins seiner Konzerte. Zwischen all den Puffärmeln, bestickten Jeansjacken und weißen Blusen, die alle auf „Up were we belong“ warteten, stand ich etwas verloren, und wartete auf „With a little help“ während ich mich aus Verzweiflung langsam betrank. Es kam dann, hätte ich mir eigentlich denken können, als erste Zugabe. Und es blies mich weg. Cocker hatte eine gute Band auf der Bühne, die die ganze Zeit den seichten Krempel spielten und offenbar was nachzuholen hatte. Und es folgten sechs oder sieben Minuten, die die ganzen 50 DM (Deutsche Mark, für alle die DM nur noch in einem anderem Zusammenhang kennen) komplett wert waren. Weil da alles wieder da war. Das Animalische. Das Archaische. Und alles klang so, als würde er es gerade zum ersten Mal aufnehmen.
Die folgende Version stammt aus dem Jahr 1997 und klingt er klingt immer noch so, wie 1967, dem Datum der ersten Aufnahme (hier ne Version von 69 zum Vergleich). Ende Juni spielt er in Bonn, allerdings stimmt mich das Konzertposter in den USA etwas nachdenklich, was den Ticketkauf angeht.
6 Antworten zu „Entdeckungen“
Der Woodstock-Auftritt war meine erste Begegnung mit Joe Cocker und seither frage ich mich, ob das ein Glückstreffer war und ob er seither einfach nur noch Belangloses abgeliefert hat? In den frühen 80ern bekam ich als Geburtstagsgeschenk von einem Freund die “Sheffield Steel” LP, mit einer sehr 80er Jahre angehauchten Version von Dylans Seven Days und einer ganz ordentlichen Fassung von Talking Back To The Night. Ich glaube aber wirklich, die besten Zeiten hatte der Man tatsächlich noch um Woodstock herum (Mad Dogs and Englishmen).
Das US Plakat zur diesjähigen Tour verstehe ich mal als Gag, das wäre sonst wahrlich zu gruselig.
Darf ich mich zu Euch setzen. Das gefällt mir nämlich auch. Und wir schreien dann bitte auch alle gemeinsam mit Herrn Cocker mit und kippen nach hinten weg. Ich glaube übrigens, dass es vielleicht einen Zusammenhang zwischen dem langsamen Betrinken auf dem Konzert und dem Spielen des Liedes als Zugabe gibt. Denn manchmal hat man das Gefühl, dass einen der Teufel im Nacken packt, wenn man dieses Lied hört.
[…] Dahlman schwelgt einen Text lang in seiner musikalischen Vergangenheit und erzählt von dem Eindruck, den Joe Cocker vor langer Zeit auf ihn gemacht […]
Ende der 60er/Anfang der 70er war wohl auch die Zeit, wo ich am meisten Musik (im Radio) gehört habe. Allerdings wohl doch ziemlich andere, und die Namen der Musiker würden wohl vielen wenig bis gar nichts sagen; deswegen erwähne ich sie lieber gar nicht erst.
Ich war ja völlig hinüber, als erstmals Cockers Version von „The Letter“ gehört habe, dem auch schon guten Orginal vom erst kürzlich verstorbenen Alex Chilton und seinen Box Tops mindestens so weit voraus wie besagtes Beatles-Cover.
Cocker war immer brilliant, solange er sich nicht dem Kommerzhype seiner Plattenfirma hingegeben hatte. Halte sein Beatles-Cover tatsächlich auf für eines der wenigen Cover, das besser gelungen ist als das Original.