Klaus Löwitsch

Einen Teil sehr, sehr, großen Teil meiner Zeit im Netz verbrachte ich zwischen 2001 und 2004 im Internetforum der „Höflichen Paparazzi„. In dem Forum ging es (im Kern) mal um Begegnungen (oder auch „Nicht-Begegnungen) die man mit Prominenten hatte. Über das, was man sonst so im Forum erleben konnte, und wer sich so da alles so kennen gelernt hat, wird sicher irgendwann mal ein eigenes Buch erscheinen. Ich hatte damals jedenfalls viel Zeit und hatte damit begonnen, ein paar Geschichten aufzuschreiben. In einer Übergangszeit nach meiner Arbeit in der Musikbranche habe ich als „Entertainment“ Journalist gearbeitet. Also Interviewtermine mit Promis wahrnehmen, Text schreiben, verkaufen. Aber das, was ich damals an die Blätter verkaufen konnte, war halt nur die Oberfläche eines Interviews. Wenn man einen Menschen in einer dieser merkwürdigen Interviewsituationen begegnet, passiert ja noch mehr. Gerade bei Schauspielern schleppt man ein Bild mit sich herum, dass man irgendwie los werden muss, wenn man sich tatsächlich mit einem Menschen unterhalten will. Wenn man das macht, wenn man nicht an den eingebrannten Bildern der PR-Maschinerie festhalten will, dann wird man manchmal schon überrascht. Die Entdeckung der alten Geschichten aus dem Forum hat mich auf die Idee gebracht, die hier noch einmal zu sammeln und vielleicht auch mal in der Erinnerung zu kramen. Da waren doch etliche Begegnungen, die mehr als erzählenswert waren, die ich jetzt hier, leicht bearbeitet, noch mal nach und nach rein stelle.

Es war 1998, in einem tristen Vorführraum des NDR in Hamburg. Man hatte geladen, um den Film „Das Urteil“ zu sehen, ein Kammerspielartiges Stück, für das Löwitsch später den Grimme Preis erhalten sollte. Bevor er in diesem Film mitspielte, war Löwitsch den meisten aller höchstens als „Peter Strohm“ aufgefallen, jener bärbeißiger Privatdetektiv, der breitbeinig durch die Szene stolperte und seine Fälle in einer Mercedes S-Klasse löste. Ich mochte die Serie, ich mochte Löwitsch, dessen Image in der Serie nicht weit von seinem privaten Image entfernt zu sein schien. Jedenfalls denkt man das ja immer, wenn man die Menschen mit ihrem Schauspielerleben verknüpft. Und dabei hatte ein den 70er viel mit Fassbinder gearbeitet und in mehr oder weniger guten Hollywood-Produktionen wie „Steiner – Das eiserne Kreuz“ mitgespielt. Er hatte also einiges hinter gebracht.

Nach der Vorstellung saß er da, im perfekt sitzenden Anzug, mit leichtem Bauchansatz, zurück gelehnt, sich hier und da über die Glatze streichend. Das wirkte nicht wie eine nervöse Geste, obwohl die Situation für jeden Menschen, wenn er etwas geschaffen hat und sich vor einem Haufen mehr oder weniger interessierten Menschen steht, sicher nicht leicht ist. Irgendwie wirkte er in seiner Kompaktheit unnahbar, wie jemanden, dem man besser nicht zu nahe tritt. Leicht unheimlich. Einer, der besonders cholerisch wird, wenn Widerworte kommen. Wobei die passive Aggressivität , dieses Lauern, die innere Angespanntheit nicht gänzlich ablehnend wirkte. Manche Leute würden sagen: „Ein Arschloch“, ich dachte aber auch: “ Wow, ein Mann im klassischen Sinne.“ Das ist keine Wertung, ob er mir sein Charakter gefallen hat, oder nicht. Aber er hatte eben diese typische Testosteron-Ausstrahlung, der man auch als Mann schlecht widerstehen kann. Einer der intelligent ist, aber auch seine dunklen Seite volles Rohr auslebt. Er war damals 62 Jahre alt, hatte aber die Ausstrahlung eines Menschen, der irgendwo zwischen 40 und 50 pendelte. Sicher, in dem was er tut, unsicher, wohin ihn seine Dämonen als nächstes treiben werden.

Ich hatte ganz schön viel Respekt, als ich mich ihm für das Interview näherte. Das Gefühl war ungewöhnlich. Ich hatte Dennis Hopper interviewt, George Clooney, Patrick Stewart, ich hatte Erfahrung im Umgang mit als schwierig geltenden Interviewpartnern. Aber diese Ausstrahlung hatte ich bisher nur einmal erlebt. Das war, als ich Robert Mitchum begegnet war, und der spielte dann noch mal in einer anderen Liga.
Aber als ich die paar Schritte zu Klaus Löwitsch hin ging, da wurde mir anders. Ich hatte Respekt, wenn nicht sogar Ehrfurcht. Etwas, was einem Interviewer selten passiert. Allein seine kantige Figur verhieß, dass man sich ihm nur vorsichtig annähern sollte. Dazu diese knarzende Stimme, die mehr erzählte, als er selber mit Worten ausdrücken konnte.

So saß ich da, und rang nach Worten und Fragen. Alle möglichen Fragen nach dem Film, seiner Karriere, seiner Arbeit als Schauspieler schienen mir so leer und überflüssig. Und mir wurde klar, dass ich eigentlich gar nichts über den Mann weiß. Sicher, ich kannte ihn, zumindest seine Rollen. Aber er war eben anders als die anderen Schauspieler. Er spielte kein Image, er gab nichts vor. Was ich wusste, weil er selber offen darüber gesprochen hatte, war das er gerne mal einen trinkt. Also nicht im Sinne von mal drei Gläser Wein, sondern dieses richtige, aufrechte und sehr ernsthafte Trinken. Also frug ich ihn, was seine Sauferei machen würde.

Er blickte mich an, und für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass er mir gleich eins in die Fresse hauen würde. Zu Recht, wie ich cirka 1.3 Sekunden nach Abschuss meine Frage selber fand. Man nähert sich keinem Menschen, den man nicht kennt, mit der Frage, was seine Sauferei machen würde. Eine Frage, die immerhin impliziert, dass man meinen könnte, er habe einen schwachen Charakter.
Er setzte dieses Peter Strohm Gesicht auf, als ob er einen Verdächtigen nach seinem Alibi fragen würde und sagte. „Wenn ich nicht saufe, kann ich nicht arbeiten. Ich bin ein klassischer Quartalssäufer und ich bin meiner Frau sehr dankbar, dass sie das mit mir aushält.“ Das war mehr Information als ich erwartet hatte, und ich hakte nach. Warum er saufen würde, wollte ich wissen. Sinngemäß sagte er, dass er die Sauferei brauchen würde, um zu vergessen. Er könne keine Rolle ablegen, wenn er sie nicht weg saufen würde. Erst nach einer ausgedehnten Sauftour über drei Tage, sei er wieder er selbst.

Ich schaute ihn lange an, ließ eine Pause entstehen, die in Interviews immer etwas unangenehm wird, weil der andere denkt, man würde noch auf einen weiteren Satz warten. Viele Interviewpartner werden dann nervös, fangen an zu erzählen und schwadronieren rum. Er sagte gar nichts, und starrte mich ebenso an. Warum er sich so in seinen Rollen verhake würde, fragte ich mit der Angst im Nacken, nun würde er endgültig das Interview abbrechen. Er schob die Ärmel seines Sakko nach oben und beugte sich ganz weit nach vorne, bis sein Gesicht ungefähr 15 Zentimeter von meinem entfernt war und sagte (ungefähr): „Ich will Rollen spielen. Ich bin ein Schauspieler mit Leib und Seele. Ich kann nichts anderes. Mein Leben lang habe ich mir die Seele aus dem Leib gespielt, weil ich wegen meinem Spiel anerkannt werden wollte. Eine Erwähnung in einer Scheiß Lokalzeitung, war ein Sieg. Und dann übernehme ich die diesen Peter Strohm und alle Welt findet das toll. Nur das, was ich vorher all die Jahre gemacht habe, da wo mein Blut drin steckt, davon redet keiner. Nur von dieser Comic-Figur, die ich abgrundtief hasse. Ist für Sie das Grund genug zu saufen?“ „Ja, „sagte ich, „aber dann müsste ich jetzt sagen, dass sie ein missverstandener Schauspieler sind, der gerne was anderes wäre. Das kann es doch auch nicht sein, oder?“

Er lachte. Er lachte sehr lange, lehnte sich zurück und in dem Moment wusste ich, dass das Interview beginnen konnte. Wir sprachen über eine halbe Stunde, und danach lud er mich zum Essen in sein Hotel ein, in dem ihn der NDR untergebracht hatte.

Abends trafen wir uns, und wir tranken ein paar Bier an der Bar des Hotels. Er erzählte viel über sich, seine Arbeit. Und je mehr er mir erzählte, desto mehr Fragen hatte ich. Er saß breitbeinig auf dem Barhocker, ließ die Umgebung selten aus den Augen und zwischen drin fixierte er mich mit seinen manchmal bösen, manchmal ungeduldigen Blick. Wir unterhielten uns über seine Arbeit, er lästerte ein wenig über Drehbuchautoren, über Redakteure beim Fernsehen, er sprach davon, dass er zufrieden sei, und immer, wenn es um ihn ging, dann senkte er die Stimme ein klein wenig, so als ob es ihm unangenehm sei, über sich reden zu müssen. Nicht einmal hat er mich gefragt oder aufgefordert, die Dinge, den ganzen Abend, den wir da an der Bar hatten, für mich zu behalten. Aber das war für mich völlig klar, da habe ich nicht mal drüber nachgedacht. Es war eine Begegnung mit einem Menschen, der man auch selber gut sein könnte, irgendwann mal. Oder wenn man seinem Leben einen anderen Schubs gibt. Löwitsch hatte aber mehr Energie und Kraft, als man sich selber für zehn Leben zu getraut hätte. Die Kompaktheit, die Klarheit mit der er seine Worte unterstrich, war faszinierend, die Stille, die zwischen seinen Worten zu hören war erweckte den Wunsch, ihn näher kennen zu lernen. Man bekam aber zumindest eine Ahnung davon, was ihn durch Leben getrieben hat.

Er starb leider deutlich zu früh Ende 2002 im Alter von 66 Jahren.

9 Antworten zu „Klaus Löwitsch“

  1. Oh danke, das hat jetzt sehr viel Freude gemacht zu lesen. Habe Löwitsch genauso erlebt, wie Du im dritten Absatz beschreibst, wenn auch als Frau. Interessanterweise habe ich in dem Mann nie das Alter gesehen, das er tatsächlich irgendwann hatte.

    Ein Guter seiner Sorte! Einer der brannte.

  2. ganz tolles portrait über einen ziemlich speziellen typ, den ich in den 80ern in der paris bar öfter am tresen hatte .. sehr schön!!

  3. Thilo

    Ach, Peter Strohm, der Held meiner Kindheit…

  4. @lokalreporter: Dann kennst Du das ja mit ihm :)

  5. jaja, mit dem guten klaus haben wir fröhliche abende erlebt damals ..

  6. Deswegen lese ich Ihren Blog schon so lange. Sie können spannende Geschichten erzählen. Mehr davon wäre schön (neben den aktuellen Analysen). Als Kölner lese ich Ihre Bonner Geschichten aus den „frühen Tagen“ immer gerne.

  7. Vielen Dank für die schöne Geschichte!

  8. Ach, die höflichen Paparazzi, was wohl aus denen geworden ist? Vor Jahren las ich mich dort auch immer wieder fest, mittlerweile aber gar nicht mehr. Ich erinnere mich noch an Ihre Klaus-Löwitsch-Geschichte, fand ich schon damals einen tollen Text, auch wenn ich mit „Peter Strohm“ nichts anfangen konnte und mir die Testeronigkeit Löwitschs immer ziemlich suspekt war. Aber was Sie, aus einer mir zutiefst fremden Richtung an das Thema rangehend, daraus gemacht haben, davor ziehe ich den Hut. Toll.

  9. tsetse

    die verherrlichung des alkoholismus ist widerlich-haben sie einmal einen „trinker“ im verkommenen stadium erlebt; glaube nicht, sonst würden sie nicht so verklärend vom „wahren“ trinken parlieren!

    der text insgesamt ist etwas zu süßlich und eitel geraten! pseudo-literarisch.