Digital Natives – Ein Selbstgespräch

Von Felix geklaut, der woanders geklaut hat.

Don, deine Generation wird als „Digital Natives” bezeichnet. Sagt dir dieser Begriff etwas?

Das mit den Generationen ist ja schon so eine Sache. Ich bin 42 und muss bei den meisten Drop-Down Menüs schon ganz weit nach unten scrollen. Danach kommt meist „60 und älter“. Ich glaube nicht, dass der Begriff „digital natives“ etwas mit dem Begriff „Generationen“ zu tun hat. Das würde bedeuten, dass man in einem bestimmten Alter etwas macht, und dann nicht mehr. Aber das Internet, bzw. seine Nutzung ist ja nicht so wie das Kiffen. Oder vor Clubs anstehen. Für beides wird man irgendwann meist zu alt (Husten, Rheuma). Die „richtigen“ digital natives, also jene, die das schon seit den 80er machen, bewegen sich stramm auf die 50 zu oder haben die Schwelle schon übersprungen. Genauso kenne ich unter 30 jährige, die dreimal die Woche nach den Mails schauen und das Internet so anfassen, wie andere Leute eine schmutzige, alte Socke. Es ist also keine Frage von einer Alters-Generation, sondern mehr eine Einstellung zu Dingen. Also wie neugierig man auf diese Welt ist, und was man selber damit anfangen möchte. Ein schönes Beispiel dafür ist auch mein Vater. Der ist 67, hat dieses Jahr seine erste Firmenwebseite auf WordPress eröffnet und kommuniziert per Mail und Handy.

Du bist 42 Jahre alt und hast natürlich auch einen eigenen Computer. Seit wann besitzt du ihn und musst nicht mehr den Familien-PC benutzen?

Mein Vater hatte in den 80er Jahren mal einen Rechner. Na ja, Rechner. Ein Gerät mit zwei Floppy-Laufwerken. In die seine musste man die Diskette mit dem Betriebssystem stecken, dann starte der Rechner. In die andere kamen die Floppys mit den Programmen. Der Rechner war mit einer elektrischen Schreibmaschine verbunden und wie von Zauberhand konnte man Texte drucken. Später habe ich bei einem Freund einen Rechner ab und an nutzen dürfen. Meinen ersten eigenen Rechner hatte ich Anfang der 90er. 286er, irgendwas. Seit dem halt den üblichen Zyklus mit gemacht, und alle drei bis fünf Jahre einen neuen Rechner gekauft. 1997 kam ISDN, 1999 (nach acht Monaten Wartezeit) DSL. Erster Laptop irgendwann dazwischen, mittlerweile zwei Rechner, zwei Laptops, zwei Handys.

Wo bewegst du dich denn im Internet? Hast du eine eigene Homepage bzw. einen Blog?

Angefangen hat es mit BBSen, dann die ersten Webseiten usw. Heute leiten mich mein RSS-Reader (ca. 800 Abos) und sämtliche social media Aggregatoren durchs Netz. Man mäandert halt so rum und läßt sich im Strom der Webseiten treiben. Ich nutze mittlerweile den Rechner wie das Handy für diese Bewegung.

Meine erste Webseite hatte ich irgendwann 1995. AOL (shame on me) oder Yahoo, wo weiß ich nicht. Dann kamen ein paar verschiedene Webseiten, die erste eigene Domain ca. 1998. Gleichzeitig trieb ich mich in diversen Foren rum. 2000 entdeckte ich die ersten Blogs. Das erste bei blogger.com auf- und nach vier Monaten wieder zu gemacht. 2001 dann wieder bei blogger.com, 2002 zu Antville umgezogen. Mittlerweile befülle ich zwei eigene Blogs regelmäßig. Twitter seit 2007, Facebook glaub ich auch. Ich nutze aber nur Twitter und Facebook wirklich regelmäßig. Den Rest der social media Seiten fülle ich per ping.fm über Twhirl.

Und wie schaut bei dir ein normaler Tag – in Bezug auf das Internet – aus? Kannst du deinen Tagesablauf beschreiben, also wie oft du am Tag E-Mails, Facebook- oder Twitter-Mitteilungen checkst?

Ich lasse mich vom Handy wecken. Im Bett schaue ich dann schon mal per Handy, was so an Mails eingegangen ist. Badezimmer, Rechner. Dort dann weitere Mailaccounts, spiegel.de, RSS, dabei Frühstück. Oder, wenn ich ins Büro gehe. Mails auf dem Weg, dann dort den Rest.

Wie ich den Tag verbringe, hängt sehr von der Arbeit ab. Wenn ich viel schreiben muss, dann ignoriere ich den RSS-Reader und schalte oft auch Twitter aus. Ich lasse mich eh leicht ablenken, da hilft Twitter nicht. Wichtige DMs bekomme ich eh per Mail. Den Rest des Tages verbringe ich entweder im Netz oder vor einem Text.

Das geht, in der Woche, immer bis zum Abend. Es gibt dann zwei Varianten. Entweder stecke ich knietief in der Arbeit, dann geht es so lange, bis ich fertig bin. Oder ich schaffe es, dass ich zumindest den Rechner in der Woche so gegen 20.00 Uhr ausknipse. Mails kommen eh auch übers Handy rein und ich schaue Abends regelmäßig nach. Wenn mir langweilig wird, starte ich die Twitter App im Handy. Ich nutze das Netz aber auch, wenn der Rechner aus ist. Wenn ein Film im Fernsehen läuft, den ich nicht kenne, dann schaue ich per Handy auf imdb.org um was es geht. Das Netz ist bei mir eigentlich immer an, allerdings dosiere ich meinen Zugriff auf Arbeitszeiten.

Das hat was damit zu tun, dass ich zu 80% mein Geld mit dem Netz verdiene. Um abschalten zu können, muss ich es auch mal abschalten. Komischerweise ist das Wochenende, wenn ich alleine bin, anders. Zum einen nutze ich das Netz dann auch Abends länger, vor allem weil ich TV-Streams schaue.

Allerdings – die Frage ist schon merkwürdig. Internet ist so etwas wie ein Stromanschluss. Ohne kann und will ich nicht leben. Und ich betrachte den Zugang zum Netz auch genauso – als etwas völlig normales, etwas zum Leben gehört. Man fragt ja auch nicht: „Und? Wie oft hast du heute deinen Stromanschluss genutzt? Und wie lange? Hast du das Gefühl, dass du von deinem Stromanschluss abhängig bist?“

Welche Rolle spielt das Internet auf der Arbeit? Habt ihr auf der Arbeit Computer mit Internetzugang und lernt ihr gezielt mit dem Internet zu arbeiten, also beispielsweise darin zu recherchieren? Und werdet/wurdet ihr auf der Arbeit von euren Vorgesetzten darüber aufgeklärt, was ihr im Internet dürft und was nicht?

Ich arbeite teilweise zu Hause, teilweise aus einem Büro. Da mach ich auch was mit dem Internetz und muss also surfen. Wenn ich kein Internet habe, kann ich nicht arbeiten. Neulich hatte ich zu Hause mal einen Stromausfall. „Macht ja nix,“ dachte ich, „ich hab einen Laptop, dessen Akku mit viel Streicheln vier Stunden hält.“ Dann fiel mir ein, dass der DSL-Router ja auch Strom braucht. Dann fiel mir der UMTS-Stick ein. Sieger.

Einige Gerichte haben entschieden, dass Eltern haften und Schadensersatz bezahlen müssen, wenn ihre Kinder im Internet das Recht verletzen. Denn Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren können in vielen Fällen noch nicht belangt werden. Beaufsichtigst du deine Kinder, wenn sie im Internet sind? Und hast du deine Kinder über „richtiges Verhalten” im Internet geredet?

Ich habe keine Kinder, aber eine Katze. Die darf nicht auf die Tastatur, so lange ich davor sitze. Wenn ich nicht da bin, holt sie den Rechner aus dem Schlaf und schreibt auf dem Word.doc nicht lesbare Geschichten. Hätte ich Kindern, würde ich sie ins Netz lassen. Dosiert, allerdings. Es ist mir klar, dass das Netz ungefiltert ist und es Dinge dort zu sehen gibt, die ich meinen Kindern nicht zumuten würde. Aber ich würde meinen Kindern ja auch nicht zum achten Geburtstag ein Buch von Charles Bukowski schenken. Oder die „Bild“ lesen lassen.

Was verstehst du persönlich – unabhängig von der Meinung deiner Kollegen, Freunde oder anderen – unter „richtigem Verhalten” im Netz?

Das eigene Verhalten im Netz sollte sich nicht von dem unterscheiden, was man im „normalen“ Leben hat. Weder beleidige ich Menschen in diesem „draussen“ anonym, noch stelle ich Nacktfotos von mir ins Fenster. Wenn ich mich mit jemanden unterhalte, dann mache ich das nicht, um ihn zu beschimpfen. Das „richtige Verhalten“ orientiert sich auch im Netz an der guten Erziehung. Das ist ebenso simpel, wie einleuchtend.

Beziehst du Musik und Filme aus dem Internet? Kostet das Herunterladen dann etwas und machst du das auch schonmal illegal?

iTunes ist mein Groschengrab. Ich habe einen Hang zu seltener Easy Listening Musik aus den 60er und 70ern. Die gibt es teilweise nicht mal mehr auf Vinyl. Da helfen bestimmte Blogs.

Hast du eine Vorstellung warum das Kopieren von Musik und Filmen im Internet in vielen Fällen nicht erlaubt ist? Findest du es richtig, dass das Hoch- und Herunterladen in den meisten Fällen nicht erlaubt ist?

Ich weiß es sogar. Das hat der Papst die Unterhaltungsindustrie verboten.

Sollte man deiner Meinung nach alles, was im Internet verfügbar ist, auch frei nutzen dürfen? Oder kannst du auch die Urheber verstehen, die das nicht möchten?

Ich bin selber Urheber, ich kenne es auch, wenn eigene Werke ohne meine Einwilligung kommerziell genutzt werden. Aber ich mache einen Unterschied zwischen einer kommerziellen und nicht-kommerzillen Verwendung. Ich stelle meine Texte hier unter eine nicht-kommerzielle CC-Lizenz, also kann sie praktisch jeder auf dieser Basis nutzen. Meiner Meinung nach sollte der größte Teil, der jetzt unter Copyright steht, verfügbar sein. Allerdings mache ich hier einen Unterschied zwischen aktuellen und alten Content. Beispiel: eine neue CD sollte nicht im Netz auftauchen, wenn das nicht gewünscht ist. Die Labels könnten die Verteilung und Promotion von neuer Musik viel leichter und bessern steuern, wenn sie das Streaming nebst embedding Code und wegen mir DRM selbst übernehmen würden. Sie veröffentlichen einen Teaser Song, interessierte Blogger können sich einen embedded code beim Label besorgen und auf ihre Seite einbauen – fertig.
Für alte Alben, also alles was älter als drei oder fünf Jahre ist, sollte es komplett legal sein, dass man mindestens einen Song auf seine Webseite einbinden kann. Das ist letztlich Werbung, egal ob man damit einen Text unterlegen („aufwerten“ nennt die Industrie das), oder nicht.

Sicher ist, dass man dringend das Copyright zugunsten der Künstler verändern sollte. Im Moment ist es nur für große Firmen sinnvoll.

Du hast erzählt, dass du ein Profil bei Facebook hast. Wie stellst du dich dort selber dar? Wer darf sich alles dein Profil anschauen?

Es gibt ein paar Fotos und ein paar Links zu meinen Seiten. Ansonsten fülle ich meine Timeline auf zwei Wege. Einerseits poste ich von Twitter aus rüber, andererseits laufen bestimmte Dinge (blip.fm zB) nur bei Faccebook ein, weil man da mehr mit anfangen kann. Mittlerweile nutze ich den Kalender und die Einladungen zu Veranstaltungen bei Facebook sehr intensiv.

Hast du das Gefühl, dass du dich zu anderen im Internet anders, vielleicht offener und direkter verhältst, als wenn sie in natura vor dir stehen?

Ich sage im echten Leben viel öfter „Fuck“ als sonst. Ansonsten bin ich halt so, wie ich bin.

Ein bekannter Wissenschaftler hat einmal gesagt: „Das Internet vergisst nie.” Was meinst du, hat er damit gemeint?

Das Internet hat ein gutes Kurzzeit, aber schlechtes Langzeit Gedächtnis. Klar, man kann, wenn man sich Mühe gibt, sehr viele, alte Sachen finden. Wenn man vergessen hat, dass man vor fünf Jahren mal ein peinliches Bild bei Flickr hoch geladen hat, dann kann man das finden. Aber gleichzeitig wird das Netz jeden Tag mit neuen Informationen voll gestopft, die die alten nach unten drängen.
Problematisch ist allerdings die Sammelwut des Staates, was Daten angeht. Die lassen sich, mittels Data-Mining viel leichter auch falsch zusammen zu setzen.

Hast du dir schon mal Gedanken darüber gemacht, dass dein Arbeitgeber dich dann vielleicht vor dem Bewerbungsgespräch googelt und dabei peinliche Fotos von dir findet?

Nein, ich überlege mir, was ich ins Netz stelle. Ich schreibe seit 10 Jahren nachweisbar ins Netz, das kann man finden. Darunter werden vielleicht auch Dinge sein, die nicht jedem gefallen. Auch potentiellen Arbeitgebern nicht. Aber ich habe noch nie bewusst deswegen Probleme gehabt, oder bin darauf angesprochen worden.

Die „Generation Internet”, der du ja angehörst, unterscheidet sich auch deshalb von früheren Generationen, weil es für sie ganz normal ist, Kontakte übers Internet zu knüpfen. Wahrscheinlich hast du auch schon Leute übers Internet kennengelernt. Wie kam es zu den Kontakten und habt ihr euch auch in der „realen Welt” schon einmal getroffen?

Meine erste „Offline“ Begegnung hatte ich Mitte der 90er. Das war dann gleich ein Forentreffen irgendwo im Ruhrgebiet. Nach dem ersten Schock war es ganz lustig. Es ist normal geworden, dass ich Menschen im Netz kennen lerne und dann auch treffe. Dazu kommen die ganzen Lesungen, Barcamps und sonstigen Dinge, bei denen man auf Leute trifft. Interessanterweise dreht sich auch schon mal. Man trifft Leute auf Partys, wirft sich zum Abschied „Auf Facebook/Twitter bin ich DonDahlmann“ zu, added sich und trifft sich dann manchmal noch mal wieder.

Hattest du vor Bloggertreffen Angst, dass sich in Wirklichkeit ganz andere Personen hinter den Bloggern verbergen als du erwartet hast?

Mittlerweile habe ich offenbar ein gutes Sensorium für die Menschen entwickelt, mit denen ich mich auch offline treffe und näher befreunde. Nach rund 15 Jahren online habe ich mehr Freunde, die ich durchs Netz kennen gelernt habe, als in der realen Welt. Ich habe sehr, sehr wenige schlechte Erfahrungen gemacht. Was ich immer wieder erstaunlich finde.

Du bist erstaunlich gut über Problemfelder im Internet und Verhaltensregeln informiert. Woher hast du dein Wissen, wenn du es nicht in der Schule oder von deinen Eltern gelernt hast?

Teh interwebs is mein Lehrer.

Don, herzlichen Dank für das Gespräch!

Immer wieder gerne, Don.

8 Antworten zu „Digital Natives – Ein Selbstgespräch“

  1. Interessant :) so eine gespaltende Persöhnlichkeit kann schon manchmal praktisch und lustig zu gleich sein :)

  2. mork

    Schöner Text inkl. sehr schönem Vergleich Internet/Stromnetz. Auch die Frage nach der Abhängigkeit vom Stromnetz sollte man sich stellen, von Zeit zu Zeit.

    Grüße vom Ork

  3. War das ein schriftliches Interview?;)

  4. […] Digital Natives – Ein Selbstgespräch November 9, 2009 at 02:30 | by DonDahlmann. […]

  5. […] ja, und don dahlmann und pop64-sven haben auch gleich mal ein Interview […]

  6. […] blog this? Siehe Beitrag Ich bin kein Digital Native und die anderen Interviews Nummer 1, Nummer 2, Nummer 3, Nummer 4. var prxPlaceId = 1818; var prxPlaceTitle = "Interview mit einem “Digital […]

  7. […] haben sich ein paar gedacht, das kann man per Selbstgespräch eigentlich fortführen, so Felix, DonDahlmann, Sven, Tim, Christian und vor kurzem auch Helge. Die Fragen haben sich dabei z.T. leicht geändert, […]