– Diese Piratenpartei/Holocaust-Diskussion am Rande mitverfolgt. Die ja eigentlich auch die Diskussion ist, was man alles sagen darf, und was nicht. Also hier, in Deutschland. In den USA darf man ja fast alles sagen, auch völlig abwegige und irrsinnige Dinge. Ob das schön ist? Sicher nicht immer, aber erstaunlicherweise ist der Umgang der Amis mit Irren, die irgendwie rumspinnen, erstaunlich lässig. Man ignoriert sie halt, sieht zu, dass man sie nicht aus Versehen in ein politisches Amt wählt oder schickt sie zu Fox News.
Ich ecke ja mit meiner Theorie, dass man auch hier in Deutschland die Freiheiten etwas erweitern sollte, ebenso gerne mal an wie plomlompom, der sich auch mit der Frage beschäftigt, was man sagen, reden und meinen darf und was nicht. Haben Nazis und andere Irre die gleichen Freiheiten wie Greenpeace oder attac! Aktivisten? Oder ist es mit der Rede- und Meinungsfreiheit so, wie mit einer Schwangerschaft, die man auch nicht nur teilweise haben kann?
Meine Meinung zu dem Themenkomplex ist eher schwammig, den ich sehe wohl die Probleme mit einer, von fast allen Regeln befreiten, Rede/Meinungsfreiheit, wie auch das Argument, dass man, sollte man in einem Bereich damit beginnen, die Freiheiten einzuschränken, es genauso ein Dammbruch darstellt, wie die Einführung der Netzsperren.
Erste Erkenntnis aus den letzten Tagen: Hitler-Vergleiche sind ein „No“, Goebbels-Vergleiche kann man hingegen machen.
– Worüber man sich ja auch mal Gedanken machen sollte: Die Entwicklung der Lüge in unserer Gesellschaft. Politker, Sportler, Zeitungen, Lebensmittelhersteller, Gastronomen, AKW-Betreiber. Alle scheinen in einem gewissen Umfang zu lügen. Zwar nicht in einem direktem Sinne, aber doch so durch die Blume, wie Michael Spreng die Tage hübsch festgestellt hat. In dem man nicht die Wahrheit sagt, sondern blumige Umschreibungen findet, sorgt man aber dafür, dass die Menschen (Wähler, Konsumenten) langsam das Vertrauen verlieren. Früher waren es ja nur die Politiker, die einen angelogen haben, heute macht es selbst der Bäcker um die Ecke, der von „ofenfrischen Brot“ spricht, am Ende aber nur Backtreiblinge für drei Minuten in ein Umluftdings gesteckt hat. Brot ist das nicht.
Ich finde ja, dass Analogkäse und Schinken-Imitat die beiden besten Beispiele für diese neue Form der Lüge sind. Gleich gefolgt von „Deutschland sucht den Superstar“. Gespannt bin ich, wann diese Form der Lüge explodiert, das Misstrauen also so groß geworden ist, dass etwas passiert. Wer dauernd belogen wird, zieht irgendwann die Konsequenzen.
– Die Sache mit dem Geld ist ja so ein zwiespältiges Ding, aber seit dem der Kapitalismus sich mangels Konkurrenz nicht mehr hübsch machen muss, ist die Sache noch unschöner geworden. Vor allem, seit dem der Privatisierungs-Wahn um sich gegriffen hat. Ein wunderschönes Beispiel liefert gerade die Berliner S-Bahn ab, wie man im Tagesspiegel lesen kann. Da wurde also jahrelang so lange gespart, bis man zu dem Schluss gekommen ist: „Die S-Bahn war nicht mehr sicher und hat ihre Fahrgäste wissentlich in Gefahr gebracht“. Da fragt man sich schon: muss das sein? Und welche Rolle spielt der Staat eigentlich noch? Einerseits entzieht er sich der wirtschaftlichen Regulierung, stellt das Wohlergehen einer Firma über die der Bürger und gleichzeitig gängelt die Politik die Bürger auf anderen Ebenen durch eine nicht nachvollziehbare Sicherheits-, Steuer- und Rechtspolitik.
Ich bin ja eigentlich auch eher so ein bürgerlicher Sozial-Liberaler. Ich denke, der Staat soll sich aus meinem Leben weitesgehend raushalten. Ich zahle meine Steuern, halte mich an die Gesetze und ansonsten hätte ich gerne, dass der Staat sich um seine staatliche Dinge kümmert und schaut, das da alles vernünftig läuft. Ich habe aber seit einigen Jahren das Gefühl, dass es genau andersrum läuft. Der Staat interessiert sich zunehmen für das, was ich so mache, während er in anderen Bereichen überhaupt nicht mehr präsent ist.
– Wo ich gerade dabei bin: Hallo Unterhaltungsindustrie! Es heißt „Unterhaltungsindustrie“, nicht „Wir verklagen unsere Kunden, gängeln sie, bis sie bluten und wenn das nicht reicht, schaffen wir unsinnige Gesetze, mit denen man das halbe Netz lahm legen kann“- Industrie. Merk Dir das. Denn lustigerweise brauche ich Dich gar nicht, Du mich aber schon.
11 Antworten zu „Schinken-Imitat & Holocaust“
Zum Großteil bin ich einverstanden, mit deinen Zeilen. So ganz lässig ist es in den USA dann aber nicht und auch mit zweierlei Maß versehen.
a. Die Freiheit alles sagen zu dürfen, führt dort immer wieder zu demagogischen, menschheitsverachtenden Ausbrüchen, welche nicht selten in realer Gewalt und Todschlag enden (z.B. Abtreibungsgegner). Diese Freiheit ist oft auch Ursache für Mobbing, Rufmord, Verleumdung.
b. Die Freiheit alles zu sagen endet ganz plötzlich, wenn man aus Versehen die falschen Schlagworte verwendet. Observation sei Dank, sind schon manch unglückliche festgesetzt worden, die aus Versehen oder ironisch bestimmte Floskeln benutzten (Drogen, Islam, Terror)
c. Prüderie schränkt die verherrlichte Freiheit zudem ein. Staaten die Oralverkehr verbieten oder Strafe für ins Ohr gehauchten (freiwillig angehörten) „Dirty talk“ verhängen sind für mich ähnlich fortschrittlich wie der Iran.
Ich persönlich finde es richtig das bestimmte Aussagen und Ehrverletzungen in Deutschland nicht durchgehen. Ein lockeres „Heil Hitler“ ist nämlich nicht Meinungsäußerung, sondern Zurschaustellung von Menschenverachtung, Herabwürdigung der Opfer und lebender Minderheiten und weit verletzender als ein beherztes „Arschloch“ was immerhin noch als Beleidigung geahndet werden kann.
Irre können tun und lassen was sie wollen, so lang sie niemand anderen das Leben schwer machen, bzw. wirklich beeinträchtigen.
Beste Grüße
Cornelius H.
„Die ja eigentlich auch die Diskussion ist, was man alles sagen darf, und was nicht.“
No. Bodos Äußerungen wären normalerweise ein achtlos an den Kopf geworfenes „Depp“ wert. Mein Problem ist, dass die Piraten diesen Depp in ein Amt und auf eine Landesliste wählten. Es gibt ne Menge Idioten, die ne Menge idiotisches Zeug von sich geben. Das ist mir genau solange egal, bis ich mich für oder wider so jemanden entscheiden muss. Und die Piraten haben sich offenbar für Bodo entschieden – gleich zweimal. Das macht dann meine Entscheidung pro Piraten im September schwierig bis unmöglich.
Jemand, der ständig belogen wird, zieht sich schließlich in sich selber zurück und in Kreise, denen er vertraut. In der DDR war das gang und gäbe. Die Politik hat dort kaum noch jemanden erreicht, dennoch funktionierte der Staat noch eine ganze Weile. Bis die Bürger die Nase voll davon hatten, ja. Aber sie hatten auch eine Alternative. Die gibt es heute nicht.
@socreana In der Piraten-Sache ist das sicher so. Zumal es ja auch eine gesetzliche Regelung in dem Fall gibt, die das klar macht. Und es auch Schwachsinn ist, den Holocaust zu leugnen. Die Piraten hätten da direkt schärfer reagieren müssen.
Aber dennoch bin ich der Meinung, dass man über das Thema Rede/Meinungsfreiheit los gelöst von dem Thema durchaus diskutieren sollte. Wie immer versucht man in Deutschland halt auch solche Dinge mit Gesetzen zu regeln, was, finde ich, der falsche Weg ist.
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Ich denke: Heraushalten ist nicht. Der Staat ist kein losgelöstes Paralleluniversum sondern alle Menschen, die darin leben – auch Du und ich.
Es sind die sog. Eliten, die da Bauchschmerzen verursachen. Man kann sich ja mal die Mühe machen und z.B. mal statistisch anhand von Mitgliederzahlen etablierter Parteien ausrechnen, wer in welcher Anzahl Entscheidungen für Mehrheiten trifft, die sie gewählt haben. Natürlich haben wir alle das Recht und die Pflicht, Dinge besser zu machen, zu hinterfragen, zu kritisieren, abzuwählen, neu zu machen.
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Was die Meinungsfreiheit betrifft, die in Deutschland partiell eingeschränkt ist, haben Sie m. E. recht. Und natürlich sind Sie nicht díe erste Person, die darüber laut nachdenkt. Es sind sicherlich gute bis beste Gründe, die zu bestimmten (meinetwegen minimalen) Einschränkungen der Meinungsfreiheit in D geführt haben. Dennoch hat man dabei immer ein etwas unbehagliches Gefühl. Es ist ja nicht möglich (auch nicht notwendig selbstverständlich), jede Art von Blödsinn, den man äußern kann, zu verbieten. Ein Problem mit solchen Verboten ist wohl auch, daß sie ständig Lust auf neue Verbote schaffen.
Wenn es heißt „Eine Zensur findet nicht statt“, dann lese ich das zwar, aber irgendwie glaube ich es nie. Wer den Holocaust-Leugnern verbietet, ihre Meinung auszudrücken, der zensiert letztlich doch.
Irgendwie erinnert das Ganze an die Folter durch die Staatsterroristen, die niemand „Folter“ nennen soll. Es bleibt aber Folter, da kann das Sternenbanner noch so schön drüber wehen. Und sie bleiben Staatsterroristen.