Über Löhne, Bürgergeld und warum sich nichts ändert

(Kurze Vorgeschichte. Ich habe mich heute mal wieder über DHL geärgert. Paket nicht geliefert, jetzt muss ich es bei Post einsammeln. Ich ärgerte mich weniger über den Mitarbeiter, als über DHL, die nicht in der Lage sind, Termine zu vereinbaren. Dabei fiel mir ein, das ich vor ein paar Monaten ein längeres Gespräch mit einem Unternehmensberater zu diesem Thema hatte. Das war so interessant, dass ich damals nach dem Gespräch ein kleines Gedankenprotokoll angefertigt hatte, es aber in meinem Wust von Evernote Texten wie üblich unterging. Da bei Evernote aber auch nichts verloren geht und mich DHL genervt hat: Hier ist es)

Vor ein paar Monaten saß ich wegen einer Verspätung meines Flugzeugs in einer Lounge rum und kam mit dem Sitznachbar ins Gespräch. Der war bei einer großen Beratungsagentur angestellt. So Ende 40, schlank, teure Uhr, das übliche Lenovo Thinkpad, Milchkaffee, Salat. Ich las gerade ein pdf zum Thema „Entwicklung in der Automobilproduktion“. Er bekam das mit einem Blick auf meinem Rechner mit und sagte „Ist ja von meinem Laden“ So kamen wir ins Gespräch. Unser Thema drehte sich schnell um die Frage, wie weit man Unternehmen heute noch effizienter gestalten kann. Seine Antwort: „Fast gar nicht mehr, was das Personal angeht“. Man könne nur noch auf Automatisierung, A.I. usw. setzen, um den Personalstamm und damit die Kosten noch weiter zu reduzieren. Wir sprachen über die Autoindustrie und deren kommenden dramatischen Personalabbau und kamen dann auch irgendwie auf Paketlieferdienste. Er hatte selber für ein führendes Unternehmen in dem Bereich gearbeitet. Seine Kernaussagen waren

– Man hat grundsätzlich zu wenig Leute
– Die, die man hat, müssen jedes Jahr auch noch mehr leisten
– Wegen des Unterbestandes ist es klar, dass man nicht jedes Paket an der Haustür abliefern kann. Das geht gar nicht von der Zeit her.
– Wenn zusätzlich ein Fahrer ausfällt, gibt es keinen Ersatz. Die anderen Fahrer müssen die Routen übernehmen
– Die Unternehmen arbeiten alle bewusst mit einer Personaldecke, die 10% unter dem Minimum liegt. Nicht ausgelieferte Pakete seien in der Kalkulation bewusst eingeplant.
– „Premium“ Services wie eine garantierte Lieferung im Rahmen einer auf die Stunde festgelegten Zeit gegen Bezahlung wären für die Lieferdienste zwar einerseits interessant, andererseits aber mit der Personalstruktur nicht machbar.

Vor allem in großen Dienstleistungsunternehmen sei das normal. Man würde immer nur mit der minimalen Personaldecke arbeiten, bzw. bewusst darunter. Ausfälle würden zunächst auf die anderen Mitarbeiter abgewälzt. Bei längeren Ausfällen von Mitarbeitern, die man nicht kündigen könnte, würden dann Leiharbeiter geholt. Im übrigen, so der sehr gut gekleidete Gesprächspartner, sei diese Art mittlerweile fast überall normal.

Der Druck steigt

Eine Lösung für das Problem kannte er nicht, obwohl er sich gleichzeitig darüber bewusst war, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. „Ich sage den Unternehmen immer, dass man das so machen kann, aber am Ende zahlt man drauf, weil die Mitarbeiter flüchten und die Kunden es irgendwann doch merken“. Aber dieses Argument würde meist ignoriert. Das Problem sei eben weiter, dass Unternehmen nur dafür belohnt werden Geld zu verdienen, nicht für die sozialen Aspekte.

Dann wurde er etwas ernster. Man habe in seiner Agentur  mal spaßeshalber andere Indizies gebastelt. Also nicht jene genommen, die nur auf Quartale schauen und den reinen Gewinn in Zahlen. Man habe andere Messwerte genommen. Zufriedenheit der Mitarbeiter, zum Beispiel. Da habe man Punkte wie Urlaub, Gratifikationen, Arbeitsbelastung usw. eingerechnet. Zusätzlich Kosten aus den Bereichen „Arbeitsausfall durch Krankheit“. Für letzteres hätte es verlässliche Zahlen gegeben, für die anderen Punkte nicht so wirklich. Man habe dann Studien von der WHO und der EU ausgegraben.

Kurzfristig betrachtet müssten die meisten Unternehmen auf einen Schlag 10 bis 20% mehr Leute einstellen. Das würde zu einer Explosion in den Personalkosten führen, was für etliche Unternehmen nicht zu stemmen wäre. Und „kurzfristig“ würde einen Zeitraum von fünf Jahren einschließen. Die Stückkosten würden hoch gehen, die Preise für ein Produkt um 20 bis 30% steigen. Deutsche Produkte seien auf dem Markt dann zu teuer, Absatzverluste müssten einkalkuliert werden. Im globalen Wettkampf wäre das schlecht.

Langfristig habe man jedoch bei dem Rechenexperiment heraus gefunden, dass die Belastung für das Unternehmen insgesamt sinken würde. Zum einen seien gut bezahlte und nicht gestresste Mitarbeiter loyaler und würden länger bleiben. Allein die ganzen Einstellverfahren, Einarbeitungszeiten usw. würden enorme Summe verschlingen. Zweitens seien die Mitarbeiter weniger krank, was die Kosten ebenfalls senkt. Das gelte vor allem für langjährige und ältere Mitarbeiter. Und dann sei da noch der dritte Punkt, dass gesündere und zufriedene Mitarbeiter, die sich keine Sorgen um ihren Job machen müssten, eher dazu neigen, mehr Geld in langfristige Investitionen wie ein Haus oder eine Eigentumswohnung zu stecken. Da sie auch weniger Krankheiten haben, entlasten sie die Krankenkassen zusätzlich und sie würden langfristige Werte schaffen, die der Gesellschaft zu Gute kommen würden.

Würde man dieses Gedankenspiel über einen Zeitraum von vier Jahren und mehr betreiben, würde die Rechnung für die Unternehmen ins Positive kippen. Weil die Arbeitsqualität steigt, hat man zufriedenere Kunden usw. Würde man das Rechenbeispiel auf die Gesellschaft und in einem Rahmen von 15 Jahren und mehr legen, würden sich gesamtgesellschaftlich Einsparungen im zweistelligen Milliarden Bereich ergeben. Es sei also gar nicht so, dass bessere Arbeitsbedingungen (er sprach bei manchen Branchen von modernen Sklaventum) gleich zu setzen seien mit Umsatzverlusten. Und genug Arbeit gäbe es auch. Aber niemand wolle die kurzfristigen Folgen tragen.

Im übrigen, so der Berater, sei es auch nicht so, das die CEOs der Unternehmen die Probleme nicht sehen würden. Die meisten seien sich darüber im klaren, was sie da machen. Er zitierte sinngemäß einen relativ bekannten CEO, der sich ungefähr so ausdrückte „Ich weiß, dass es eine Schieflage bei den Löhnen gibt und die Mitarbeiter auf Anschlag arbeiten. Ich weiß aber auch, dass ich das gesamte Unternehmen in Gefahr bringe, wenn jetzt umstelle. Wenn wir pleite gehen, weil wir in zusätzliche Arbeiter investieren, bringe ich all jene Menschen in Gefahr, die jetzt hier arbeiten. Also bleibt es dabei.“

Bürgergeld?

Stattdessen rede man in Wirtschaftskreisen sehr intensiv über das Thema Bürgergeld. Ob das nun bedingungslos oder solidarisch sein, sei dann eine Frage der politischen Vorliebe. Tatsächlich habe man schon Aufträge von Unternehmen erhalten diesbezüglich bei der Politik doch mal ein bisschen zu bohren. Es gäbe zwischen den großen DAX Konzernen einen informellen Austausch zu dem Thema, weil alle vor dem gleichen Problem in den nächsten zehn Jahren stehen würden. A.I. und die nächste Welle der Automation würden geschätzt rund vier Millionen Arbeitsplätze direkt betreffen.

Allerdings hielt der Berater das Bürgergeld für eine Milchmädchenrechnung. Ob man als Unternehmen über Steuern oder einen höheren Arbeitgeberanteil das Bürgergeld mitfinanziert oder ob man halt das Geld gleich in bessere Bezahlung von mehr Arbeitern steckt, sei fast dasselbe. Allerdings mit dem gewaltigen, kurzfristigen Unterschied, dass mehr Angestellte und höhere Löhne das Budget eben sofort belasten. Und da läge eben der Haken.

Die Frage sei halt, wie lange das System aus Sozialversicherung, Steuern und Unternehmensgewinnen die kommende Delle im Arbeitsmarkt halt aushalten würde. Die meisten Unternehmenschefs seien skeptisch und erwarten große soziale Verwerfungen, so der Berater. Daher sei das Thema Bürgergeld plötzlich auch so beliebt. Zum einen schiebt man damit die Verantwortung zu Staat, zum anderen umgeht man die Gefahr bei einer zeitweiligen Massenarbeitslosigkeit dass soziale Unruhen Einzug halten.

Klar, wäre es schöner, wenn man die Arbeitsbelastung runter und die Löhne rausschrauben würde. Und offensichtlich würde das auf lange Sicht gesellschaftlich auch mehr Sinn machen. „Aber, „sagte er, „während er seine Tasche nahm, “damit kommen sie nirgendwo mit durch. Dann schreien alle ‚Kommunismus‘. Das wird jetzt einfach so lange weiter gehen, wie es halt geht. Da werden dauernd neue Löcher im Rumpf gestopft, anstatt ein neues Boot zu bauen. Weil es schwimmt ja noch.“

Er verabschiedete sich, hinterließ mir noch seine Karte und meinte „Rufen sie mich mal an, in Sachen Autobranche sind wir gerade in Sachen Mitarbeiter dünn aufgestellt.“

9 Antworten zu „Über Löhne, Bürgergeld und warum sich nichts ändert“

  1. Klaus

    Ich erlebe Unternehmensberater fast immer als Problem, nicht als Lösung …

  2. Siegfried

    Hmmm, die Strategie „weiter so wie bisher, Nichts ändern“ könnte auch ein Automat übernehmen. Eine entsprechende KI müsste dazu nicht mal besonders intelligent sein. Und im Betrieb dürfte sie drastisch billiger sein als ein CEO.

  3. Onkel Hotte

    Unternehmensberater sind in der Tat einfach nur die Pest

  4. sdu

    Im Bereich der Paketzustellung sind die Auswirkungen dieses Art Unternehmensführung für die Mitarbeiter belastend, und für die Kunden ärgerlich. Im Bereich der Kranken- und Altenpflege, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten seitens der Betreiberkonzerne ebenso (des-)organisiert wurden, sind die Auswirkungen für die Mitarbeiter noch belastender, und für die Kunden (die zu Pflegenden und mittelbar ihre nahen Angehörigen) unmenschlich. Und nahezu jeder, der nicht direkt selbst betroffen ist, schaut weg.

  5. Carom

    „Im globalen Wettkampf wäre das schlecht.“

    Ich verstehe diese Wertung nicht.

    Wird nicht gerade eine solche Preissteigerung national und international gefordert? Damit Deutschland seine Außenhandelsüberschüsse reduziert (was ja durch steigende Preise automatisch einträte) und dabei gleichzeitig seine Binnennachfrage stärkt (durch höhere Einkommen, die in quasi allen außer den höchsten Einkommensschichten stante pede verkonsumiert würden)? Müsste natürlich gut gesteuert werden, damit es nicht zu schnell passiert.

    Martin Schulz sucht doch gerade Projekte…

  6. […] Don Dahlmann hat einen Unternehmensberater getroffen. Und der hat ihm erklärt, warum alle so weitermachen, obwohl es so eigentlich nicht weiter geht. […]

  7. […] Über Löhne, Bürgergeld und warum sich nichts ändert: […]

  8. Ich BIN Unternehmensberater. Und selbstredend sind wir eine Pest, wie es so schön gesagt wurde. Einerseits werden wir bestellt und bestens bezahlt um unpopuläre Entscheidungen, die im Unternehmen anstehen und bekannt sind durch „Expertise“ zu untermauern und als externer Sündenbock diese dann auch umzusetzen. So wird er Ruf der Verantwortlichen geschont, denn die unpopuläre Sache wurde ja schließlich durch die „Experten“ herausgefunden.
    Andererseits ist der Initiator allen Übels natürlich das Unternehmen selbst. Kein Unternehmen braucht Berater. Jeder kann das Anstehende mithilfe der Erfahrung eigener Mitarbeiter selbst tun. Aber es geht eben darum, sich selbst du verarschen und die Verantwortung unliebsamer aber vielleicht notwendiger Dinge nach extern zu verlagern. Deshalb sind Berater der loyale und bestens bezahlte Terrier eines jeden Unternehmers. Quasi der Erfüllungsgehilfe. Das System ist eben durch und durch krank.
    Besonders, wenn auch noch Geld da ist, Berater zu bezahlen, nur weil man keine Verantwortung übernehmen will. Ein wahrlicher Luxus.

  9. […] Über Löhne, Bürgergeld und warum sich nichts ändert […]