41 ist 20

(Kurzes Vorwort: Zum lesen des Textes am besten erst nach unten scrollen, in dem eingebetteten Dings den zweiten Song starten, hochscrollen, lesen)

Ein älterer Musikjournalist fragte mich mal, als wir Anfang der 90er uns auf irgendeinem Termin unterhielten, ob ich eine Lieblingsband haben würde. Ich verneinte, verwies auf zu viel Auswahl und allgemeine Unentschiedenheit. Der Kollege: „Wenn man Musik mag, also richtig mag, dann landet man irgendwann bei einer sehr, sehr obskuren, unbekannten Band. In die verliebt man sich. Man kämpft für sie, schreibt für sie, man organisiert sogar Konzerte. Man spricht mit Labels, A&R’s, man redet mit Kollegen vom Radio. Manchmal bringt das was und die Band wird wirklich groß. Manchmal auch nicht. Aber das macht nichts, denn die Musik dieser kleinen, unbekannten Band begleitet einen dann den Rest seines Lebens.“ Ich antwortete „Aha“ und dachte mit innerem Augenrollen: „Quatsch“.

Gehört habe ich meine Lieblingsband das erste Mal als ich noch in Bonn lebte und mich als Musikjournalist durchschlug. Auf der Compilation zum 10-jährigen Geburtstag des „Normal“ Labels (N 150 CD Various Artists Normal Compilation 10 Jahre Normal) versteckte (neben wunderbaren Sachen von „And also the trees“, „Tuxedomoon“, Louis Tillet und „Myrna Loy“) sich das Stück „At long last“ von Swell.

Ich hatte keine Ahnung, dass „Swell“ meine Lieblingsband werden würde, aber das Stück gehörte schnell zu meinen Lieblingen der Compilation. Der Versuch das dazu passende Album „….Well“ zu kaufen scheiterte allerdings an dessen Nichtverfügbarkeit. Damals® war es enorm wichtig Bands zu hören, die möglichst kein Mensch kannte und von denen es allerhöchstens aus Kartoffeln selbstgepresste Schallplatten gab. Ich kannte zum Beispiel jemanden, der ausschließlich Musik des niederländischen Labels „Staalplaat“ hörte, die wiederum damals ihre Promo-Sachen ausschließlich auf Tape veröffentlichten. Und dann war da noch der Kerl, der japanische Schallfolien sammelte. Ein hünenhaft gewachsener Mensch mit Händen, so groß wie ein Wiener Schnitzel. Ihm dabei zuzusehen, wie er in seiner peinlich akkurat aufgeräumten Wohnung mit diesen wahnsinnig großen Händen winzige 7″ Schallfolien auf seinen 30 Jahre alten Thorens Plattenspieler bugsierte, war immer wieder eine Mischung aus unfreiwilliger Komik und wunderbarer Zärtlichkeit. Die Musik der Folien war weniger zärtlich, das war dann japanischer Punkrock. Doof war auch, dass man die Folien meist nicht mehr als drei- oder viermal abspielen konnte und sie schon zerkratzt in Deutschland ankamen. Also spielte er sie meist nur zweimal ab, beides mal nass. Beim zweiten Mal überspielte er das Stück dann auf seinem Nakamichi Tapedeck auf eine Maxell XLII-S. Davon hatte er ein Regal voll.

Ich konnte mit „Swell“ eine zeitlang sehr gut angeben. Kannte keiner. Kamen aus Kalifornien, was damals® (1992) in Sachen Musik eher nicht so angesagt war. Da hören ja alle Madchester oder den frühen Britpop. Man konnte mit Suede, Supergrass, Jesus and the Mary Chain, The Stone Roses oder den Happy Mondays nicht mehr so wirklich punkten. Mit einer Band aus San Francisco, die dann auch so klang wie „Swell“ war man auf jeden Fall vorne dabei. Vor allem zwei Jahre später, als alle komplett im Oasis/Pulp/Blur Fieber waren.

1994 hatte ich „Swell“ definitiv vergessen. Dann flatterte das Album „41“ in meine Wohnung, landete zunächst auf einem Stapel anderer CDs und wurde wieder vergessen. Als Musikjournalist bekam ich damals® jede Menge CDs zugeschickt, manchmal 30 Stück pro Woche. (Ja, damals® versandten die Labels einfach so CDs. Man konnte sie auf Tapes kopieren und Freunden geben. Hat keinen gestört). Es war meist nicht möglich alle CDs wirklich ausführlich anzuhören. Also hatte ich drei Stapel. Einen für „Unbedingt“, einen für „Reinhören, bald“ und einen für „Wenn ich Zeit habe“. Swell landete auf dem mittleren Stapel. Das waren CDs, die ich meist nebenbei sehr unkonzentriert hörte. Wenn sie es schafften meine Aufmerksamkeit auf die Musik zu lenken, war das meist ein gutes Zeichen und sie rutschten einen Stapel nach vorne. Aber irgendwie rutschte die Swell CD immer weiter nach unten, weil neue CDs kamen.

Ein paar Wochen später bekam ich die Einladung (per Brief, wir hatten ja nichts®) zu einem Swell Konzert im „Underground“ in Köln. Das erste, was ich nach dem Konzert machte, war hektisch die Swell CD aus dem Stapel zu fischen. Um sie dann für Wochen auf heavy rotation laufen zu lassen.

Das zweite Album folgte nach drei langen Jahren und hörte auf den Titel „Too many days without thinking“. In der Zwischenzeit hatte es Swell zu einer gewissen Bekanntheit gebracht. Der legendäre John Peel sagte über die Band, dass sie das nächste große Ding werden würde. Viele Kollegen waren sich nach dem Album darüber einig, dass es eigentlich nur eine Frage der sei, bis Swell den großen Durchbruch schaffen würde. „Too many days without thinking“ lief abwechselnd mit „41“ und den beiden ersten Alben „Swell“ und „…Well“ bei mir fast durchgehend. Ich hörte die Alben wenn es mir gut ging, ich hörte sie, wenn ich Liebeskummer hatte. Ich hörte sie im Auto auf langen Fahrten, ich hörte sie auf meinen Discman und ich spielte sie jedem vor, der sich nicht wehren konnte.

Aber ganz so leicht wird eine Band ja nicht eine lebensbegleitende Lieblingsband. Radiohead lief bei mir in den 90ern auch immer. „Definitely Maybe“ von Oasis lief immer wieder mal. Oder „Dubnobasswithmyheadman“ und „Second Toughest in the Infants“ von Underworld ebenso. Dazu etliche kurzlebigere Lieben. Zu einer richtigen Lieblingsband wurde Swell dann erst im Laufe der Jahre, als ich feststellte, dass ich bestimmte Stücke immer wieder hören musste. Und sie bei jedem Hören immer so frisch blieben, wie beim ersten Mal. Und dass ich auch die späteren, eher schwachen Alben wie „Feed“ verschmerzen konnte.

Dass letzte Mal live gesehen habe ich sie in Hamburg, ich glaube es war 2000 oder 2001. Ich hatte über die Jahre durch diverse Interviews einen ganz guten Kontakt zu David Freel, dem Gründer der Band, aufgebaut. Soweit ich mich erinnere, war die Tour nur England und Belgien geplant, aber ich gab ihm den Kontakt zu ein paar Veranstalter in Deutschland, mit der dringenden Bitte es doch zumindest mal zu versuchen. Tatsächlich klappte es, es war sogar ein Termin in Hamburg bei.

Das Konzert war wundervoll. Ein kleiner Saal voller Swell Fans, die Band war sehr gut drauf, spielte knapp zwei Stunden und dabei all die schönen Dinge, die sie in den 10 Jahren ihrer Existenz aufgenommen hatten. Wir saßen danach Backstage zusammen, tranken ein paar Bier und Freel war sehr euphorisch. Man habe einen neuen Deal, die Konzerte seien fast alle ausverkauft gewesen und man sei sich sicher, dass es jetzt…

Aber es wurde nichts mehr draus. Die Bandmitglieder verloren sich in anderen Projekten, vor allem fehlte hörbar der Drummer Sean Kirkpatrick, der den „Swell-Sound“ in den 90ern geprägt hatte. Der kehrte für das Album „Whenever You’re Ready“ noch kurz zurück, verschwand dann aber wieder. David Freel nach noch das sehr ruhige aber schöne „South of the Rain and Snow“ Album auf, dass sich als „Spätwerk“ dann noch in die Liste meiner Lieblingsalben von Swell gemogelt hat. 2008 gab es sogar noch mal ein paar Konzerte in Deutschland, die ich leider verpasste, weil ich ausgerechnet zu dem Zeitpunkt in den USA war.

Swell hat mich nie losgelassen. Ich hab hier schon das ein oder andere Mal über sie geschrieben. Es schwer zu sagen, was genau mich an dieser Band so fasziniert, warum ich bestimmte Songs immer wieder hören kann. Warum ich bei „Sunshine Everyday“ immer melancholisch werde, warum „Tonight“ mich je nach Stimmung traurig der froh macht, warum „Song Seven“ mich glücklich macht oder warum „Everyday Comes Everynight“ mich immer, immer wieder mit so einem „Hach….“ Gefühl zurücklässt. Vermutlich ist es so, wie der Kollege damals sagte. Man verliebt sich in eine dieser obskuren, kleinen Bands, die keiner kennt. Vielleicht gerade deswegen.

Swell gibt es offiziell noch, weiterhin mit David Freel. Der hat ein eigenes Label und mit „be my weapon“ eine Art Nachfolgerband von Swell.

Die Tage flatterte mal wieder ein Newsletter der Band rein. 20 Jahre sei „41“ geworden. Das beste Album der Band – findet David Freel selber. Finde ich auch. Und weil ich es bestimmt ein Jahr nicht mehr gehört habe, wird es unbedingt mal wieder Zeit…

4 Antworten zu „41 ist 20“

  1. Dirk

    Das ist toll, ich hab mich an deine Empfehlung gehalten und den zweiten Song gestartet. Und als der Song fertig war, war ich auch mit dem Text fertig! Super!

    Zu Swell: Irgendwann habe ich den Namen auch mal gehört, aber eine bewusste Erinnerung daran habe ich nicht. In Richtung Lieblingsband geht bei mir dann eher eine Band von Freunden, die hier aus Köln kamen, auch drei Alben gemacht haben, auch ein bisschen Airplay hatten, auf Tour durch Deutschland gegangen sind, aber so richtig zoom gemacht hat es nie. Haben sich dann halt irgendwann aufgelöst, wie es halt so passiert. Aber ich kann die CDs immer noch gerne hören und sie kommen mir kein bisschen alt vor, ich höre sie immer noch gerne. Das geht mir mit vielen anderen Songs aus der Zeit nicht so.

  2. Don! Den Sampler hatte ich auch, und ich LIEBTE ihn.

  3. Oh, das kann ich ja so gut verstehen, wenn Swell irgendwie deine Lieblingsband geworden ist. Habe zwar nur eine CD von denen (die „…Well?“), aber ich freue mich immer wieder über dieses Album, wenn ich es denn alle paar Jahre mal anhöre. „Laut hören“ ist übrigens meiner Meinung nach immer wichtig bei Swell, am besten über Kopfhörer.

    Und Swell sind ganz bestimmt eine dieser Bands, die man am ehesten über Compilations und Sampler mitbekommt: Bei mir war es die grossartige „Hit me with a flower“-Compilation, über die ich zu Swell fand.

    Die „41“ ist die beste? Hmmh, dann muss ich die mir vielleicht auch noch mal zulegen.

    Und was Lieblingsbands allgemein angeht: Ja, deine ursprüngliche Ansicht, dass man eigentlich keine haben kann/sollte aus den genannten Gründen, habe ich auch mal geteilt. Jetzt sind Trotsky Icepick (http://en.wikipedia.org/wiki/Trotsky_Icepick) meine Lieblingsband. Zwar nicht sehr obskur und ihr Label war zu Lebzeiten alles andere als unbekannt, aber über die Jahre haben sie bei mir diesen besonderen Status erreicht: kann man in allen Lebenslagen anhören, erzeugt immer diesselbe postive Grundstimmung :-)

  4. […] schönste musikalische Wiederentdeckung: Swell. Wie beschrieben habe. Peinlichster musikalischer Faux-Pas: BAP. Aus Nostalgie “Affjetaut” gehört. […]