Twitter macht den Laden dicht

Das ist natürlich eine maßlos übertriebene Überschrift, denn so schnell macht Twitter den Laden nicht dicht. Was sie aber dicht machen, ist das Ökosystem, das Twitter in den letzten Jahren überhaupt in die Postion gebracht hat, in der sie jetzt sind. Es ist schon erstaunlich, was Twitter in den letzten Monaten alles verändert hat. Manche Veränderungen waren subtil, manche trafen nur wenige Menschen, andere, und vor allem die jetzt angekündigten Maßnahmen betreffen aber dann alle.

2012 kam die damals neue Twitter API 1.1, die mehr oder weniger dazu führte, dass der Markt der externen Twitter-Clients zusammenbrach. Twitter sprach davon, dass man „den Usern nicht den Kern ihrer Twitter-Erfahrung“ zerstören wollte, was minus das PR-Gewäsch schlicht weg bedeutete: der User soll bei uns bleiben, nicht bei euch. Eingeleitet hatte Twitter die ganze Sache durch den Kauf von Tweetdeck einige Monate zuvor, der als der beliebteste Twitter-Client für Desktop und Mobile galt. Dem Schritt lag also zweierlei zu Grunde. Zum einen wollte man die User stärker an die eigenen Produkte binden, zum anderen wollte man nicht, dass andere Entwickler mit den Inhalten von Twitter Geld verdienen würden. Was durchaus nachvollziehbar ist.

Das Problem ist nur, dass Twitter ohne diese Entwickler und ohne deren Arbeit und Investitionen in Sachen Marketing und PR gar nicht so weit gekommen wäre. Die Twitteroberfläche war jahrelang ein Fanal der Ödnis und Unflexibilität. Clients lösten Twitter aus der selbstgewählten Isolation im Netz und brachten Twitter auf die Smartphones. Und erst durch die Verbreitung auf Telefonen konnte Twitter überhaupt so erfolgreich werden. Bis Twitter die erste eigene App entwickelt hatte, verging sehr viel Zeit.

Twitter war ein leeres Gerüst. Es war schneller als jedes andere Medium, es hatte die Kraft sehr viele Menschen sehr schnell zu erreichen, aber es fehlten etliche Funktionen. Ein gutes Beispiel dafür waren Bilder. Man konnte auf Twitter keine Bilder teilen. Der erste Dienst, der das dann für Twitter übernahm, war Twitpic, die 2008 starteten. Berühmt wurden Twitter und Twitpic dann durch dieses Bild:

hudson

Weil Janis Krums das Bild auf Twitpic und auf Twitter teilte, wurden plötzlich sehr viele Menschen auf beide Dienste aufmerksam. Warum ich das Bild als Screenshoot reinstelle und nicht verlinke? Weil Twitpic Ende September 2014 dicht macht. Twitpic mach deswegen zu, weil man sich seit Jahren mit Twitter in den Haaren liegt. Es geht um die Verwendung des Kürzels „Twit“ im Namen, gegen Twitter seit Jahren massiv vorgeht. (Vergl. die Umbenennung von UberTwitter in UberSocial). Twitpic hatte offenbar alle Auseinandersetzungen gegen Twitter bisher gewonnen, was das Unternehmen dann dazu bewogen hat, Twitpic den API-Zugang massiv zu beschränken, bzw. zu entziehen. Man zerstört damit die Geschäftsgrundlage von Twitpic.

Natürlich kann man argumentieren, dass Twitter seine Marke schützen muss und wenn es, aus welchen Gründen auch immer, keine Einigung gibt, dann greift man eben zu härteren Maßnahmen. Auf der anderen Seite ist das Beispiel von Twitpic sehr gut dazu geeignet, die sehr unangenehme Seite des Unternehmens Twitter zu beleuchten. Waren Entwickler zu Beginn willkommene (und unbezahlte) Helfer, so sind sie mittlerweile lästige Begleiter, die das „Twittererlebnis des Users“ stören. Twitter wäre ohne Twitpic, ohne die vielen kleinen Twitterclients usw. nie dahin gekommen, wo man jetzt ist. Das kann man dann durchaus als undankbar empfinden, auch wenn die Welt halt manchmal so ist.

Twitter hatte schon immer das Problem, dass sie als offene Plattform gestartet sind, gleichzeitig aber profitabel sein mussten. Übernahmeangebote gab es zu Hauf, offenbar wollten die Investoren und Inhaber aber keinen Verkauf. Eine Überführung in eine Stiftung wie bei Mozilla kam wohl auch nicht Frage. Also war Twitter zu Beginn auch abhängig von der Leistung freier Entwickler. Im Gegensatz zu Facebook, die von Anfang an auf ein hermetisches System setzten und immer die Kontrolle darüber hatten, dass die Inhalte die Plattform nie verlassen würden, sah es bei Twitter anders aus.

Doch was hätte Twitter machen sollen? Schon 2009 gab es Ideen, ein Freemiumsystem einzuführen. Ein paar Dollar/Euro im Moment für einen erweiterten Zugang – warum nicht. Aber genau in die Zeit fällt auch das massive Wachstum von Facebook. Man musste damals schon kein Hellseher sein um festzustellen, dass Twitter nach und nach User verloren hätte. Warum für etwas zahlen, was man bei Facebook in ähnlicher Form umsonst bekommt? Vermutlich würde man heute nette Nachrufe mit der Überschrift „Das supertolle Netzwerk das keiner wollte“ schreiben.

Twitter hat sich das System Facebook genau angeschaut. Und neigt wohl gerade dazu, dieses zu kopieren. Seit ein paar Wochen kursieren Gerüchte, dass Twitter an seinem Timeline Algorithmus schrauben will. Statt der strengen chronologischen Sortierung soll die Timeline in Zukunft, ähnlich wie bei Facebook, so gefiltert werden, dass „für den User relevante“ Informationen angezeigt werden. Ein Schritt, der viele Twitter-User geradezu empört.

Zusammengefasst:

1. Schließung der bisher offenen API
2. Ausdünnung des vormals lebendigen Öko-Systems von Dritt-Anbietern und Entwicklern
3. Umleitung der User auf Apps & Clients von Twitter
4. Änderung der Timeline und weiterer Funktionen ohne Möglichkeit, dem zu Entkommen

Die Idee von Twitter lautet offenbar, eine nicht zu ersetzende Plattform zu sein, die in einer Liga mit Facebook und anderen spielt. Auch in dem Bereich „Wir wissen, was für dich gut ist“. Ähnlich wie bei Facebook glaubt man offenbar, dass man nur dann erfolgreich sein kann, wenn man über komplizierte Algorithmen dem User einen vorgekauten Timeline-Brei vorsetzt. Doch das verscheucht genau die Menschen, die Twitter am Leben erhalten.

Anders, als bei Facebook, ist die „Top -> Down Conversation“ bei Twitter viel stärker. Die reichweitenstarken Accounts sorgen für die Retweets und die Verbreitung von Information und Unterhaltung. Doch die Accounts mit den hohen Reichweiten liegen bei Twitter meist immer noch bei den Early Adoptern (EA). Die versorgen die „Late Majority“, die wiederum die Informationen in ihre kleineren Netzwerke verteilt. Das hat auch damit zu tun, dass die Gesamtreichweite von Twitter wegen der geringeren Userzahl viel kleiner ist, als bei Facebook (plus ein paar andere Gründe, aber das führt in dem eh zu langem Text zu weit).

Die überwiegende Mehrzahl von EAs sind bisher trotz aller Änderungen bei Twitter geblieben, auch weil es keine Konkurrenz zu Twitter gibt. (Leider hatte Pownce ja viel zu früh aufgegeben). Die überwiegende Mehrheit wird auch dann bei Twitter bleiben, wenn die Timeline ähnlich unsteuerbar wird, wie bei Facebook. Allerdings auch nur so lange, wie es keine Alternative gibt. Wenn die Meinungsführer, wenn die Unternehmen wegen mangelnder Reichweite usw. von Twitter verschwinden, dann zieht die Karawane hinter her.

Passenderweise gibt es aber gerade einen Kandidaten, der zumindest vielversprechend aussieht „ello„. Das Ding ist noch in der Beta-Phase, es kann noch nichts. Keine Kommentare, keine Retweets, keine DMs, keine Favs. Aber ello hat die Anmutung, dass sich da durchaus etwas entwickeln könnte. Da das Twitter-Universum viel, viel kleiner ist, als jenes von Facebook, vor allem in Deutschland, ist ein Exodus der User von Twitter nicht so unwahrscheinlich, wie es klingt. Ich rede hier nicht von Monaten, aber von den nächsten zwei bis drei Jahren.

Das Dilemma von Twitter ist einfach, dass man eine offene Plattform nur schwer wieder geschlossen bekommt. Und das Twitter im Moment scheinbar alles falsch macht, was man falsch machen kann. Darüber hatte ich im April auch schon mal eine Analyse geschrieben. Seit dem ist es noch schlimmer geworden.

11 Antworten zu „Twitter macht den Laden dicht“

  1. Kommentieren kann man inzwischen auf Ello, aber mir scheint, dass nur eine nette Optik auf Dauer nicht reichen wird, um sich zu etablieren. Ich hoffe eher auf Twister, worüber man ohne zentralen Server immerhin verschlüsselte DMs schreiben kann. Das scheint mir eine Idee weiter zu sein als einfach nur Twitter zu kopieren.

  2. Den Versuch hat aber auch App.Net schon versucht. Leider funktioniert es nicht so, wie gewollt. Wenn Twitter jetzt meine timeline auch sortiert wie Facebook, von ich weg. Ich finde es schon eine Zumutung, das posts, die Freunde für ihre Freunde absetzen, von Facebook aussortiert und „gefiltert“ werden.
    Man könnte das auch grob als Zensur bezeichnen.

  3. Volle Zustimmung. Anstatt wie Facebook zu werden, hätte Twitter das Gegenteil tun sollen – als Plattform-Provider sich möglichst vielen Schnittstellen öffnen. Dann hätte man aber ein anderes Modell der Monetarisierung finden müssen, und das gab es wohl nicht (oder man hatte nicht den Mut, etwas neues zu probieren).

  4. Also bisher habe ich nicht gelesen, dass die Timeline gefiltert werden soll, sondern das zusätzliche Tweets eingeblendet werden sollen, die von Twitterern kommen, denen man bislang noch nicht folgt, deren Inhalte aber interessant sein könnten, weil sie unseren Interessen sehr nahe kommen.

    Das führt dann zwar dazu, dass ich Tweets und Twitterer sehe, die ich nicht abonniert habe, aber noch lange nicht dazu, dass die Timeline gefiltert ist und auch die Chronologie muss dadurch nicht kaputt gehen. Auch wenn ich mir sicher bin, dass an diesen Gerüchten etwas dran ist, sollte man das dann doch nicht schlimmer machen, als es wirklich ist und eventuell bringt Twitter ja sogar eine Option mit, mit der man diese Dinge dann ausschalten kann.

    Zu Twitpic kann ich nur sagen, dass der Schritt zur Einstellung des Dienstes viel zu weit geht. Vielmehr hätte Twitpic erst mal den Namen ändern sollen und schauen sollen, ob dadurch die Reichweite erhalten bleibt. Die Einstellung des Dienstes hätte dann danach erfolgen können, wenn die Nutzerzahlen wegen der Namensänderung deutlich zurück gegangen wären. Das soll nicht bedeuten, dass ich das vorgehen von Twitter gut finde, aber ich finde halt, dass auch die Gegenseite etwas zu heftig reagiert.

  5. Nikolaus Klumpp

    Ich glaube, Ello ist nicht eine grundlegende Loesung fuer das Thema, auch wenn es ein Versuch mit grosser Aufmerksamkeit ist. Fuer mich wirkt das minus des Hypes derzeit so, dass es wie eine Art Xing ist: In der Basisvariante ganz ordentlich, Zusatzfeatures durch ein Abo.

    Okay, auch das ist ein Modell. Aber es loest nicht das Thema der Zentralitaet und das Risikos des Lock-ins/“Have it our way“ von Unternehmen, die ploetzlich dann doch ein (anderes) Geschaeftsmodell brauchen.

    Diaspora? Nunja. Es gibt andere Wege, und einer davon koennte z.B. #pants sein, das ich mit grossem Interesse beobachte.

  6. Zentralität vs. Dezentralität. Hmm .. warum nicht was Hübsches auf Basis von Jabber aka XMPP hinstellen? Verschlüsselung wär kein Problem, da gibt es ja diverse OTR-Geschichten und -Plugins.

    Die Plattform selbst hätte dann primär eine Übersichts- bzw. Sammelaufgabe, ähnlich wie bei den ganzen Pingback-Sites; „daheim“ wirft man einfach noch einen Extender dazu, der einem API-Funktionen von simpel bis komplex zur Verfügung stellt, z.B. zum Einbinden als zusätzlichen Feed ins eigene Blog u.ä.

    Nur so ein Gedanke. Müsste halt was Konkreteres sein, und möglichst einfach für Otto-Normal-Verbraucher umzusetzen, also Fragen beantworten wie:
    – Nur Sammelplattform oder auch eigener (Web)Client zum schnellen Posten?
    – kein eigener Jabber-Server da? Freemium-Modell mit X Zugriffen / Tag gratis, alles darüber hinaus: paar Euro / Monat
    – Apps sowohl für zentrale (Hauptplattform) wie dezentrale Nutzung (eigener Jabber-Server + Extender oder Extender + externem Jabber-Server)

    cu, w0lf.

  7. nïkö

    schaut euch ma tent.io an, das ist genau das: dezentral, kann twittern, und pm, fotos usf – offenes und flexibles protokoll – open source – ich halte das für DIE vielversprechende lösung, das kommt mir bei denen von anfang bis ende richtig vor, aber es weiss keiner, dass es das gibt… :/

  8. Und wie soll tent.io funktionieren? Muss ich erst einen Server aufsetzen oder gibt es dafür schon clients?

  9. @rebel: Sieht schwer danach aus. Zitat:

    Tent is a protocol, not a piece of software. Anyone can create a new Tent server or app at any time without anyone else’s permission. There’s no central authority to restrict developers, spy on, or censor users.

    Was mein Ansatz OHNE zentrale Plattform wäre. Und ob das Leute zieht? Gibt doch schon XMPP, wozu ein neues Protokoll erfinden?

    cu, w0lf.

  10. […] Dahlmann schreibt einen Abge­sang auf Twit­ter und favorisiert dabei Ello, wobei dessen Etablierung sich wohl als unge­mein schwierig erweisen […]

  11. Klaus

    Hello,

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