Linke Republik? Hat es nie gegeben

Bei Marcel Weiss heute über diesen Satz gestolpert:

Immerhin hat ausgerechnet die Partei ein für sie historisch gutes Ergebnis eingefahren, die seit Monaten den größten Überwachungsskandal der Menschheitsgeschichte verschleiert.

Nein, das war kein historisch gutes Ergebnis. Es war ein normales Ergebnis, wie ein Überblick zeigt.

1949 31,0%
1953 45,2%
1957 50,2%
1961 45,3%
1965 47,6%
1969 46,1%
1972 44,9%
1976 48,6%
1980 44,5%
1983 48,8%
1987 44,3%
1990 43,8%
1994 41,4%
1998 35,1%
2002 38,5%
2005 33,8%
2009 33,8%
2012 41,5%

Der SPD ist es nur 1972 (Willy Brandt) und 1998 (Schröder) gelungen, mehr Stimmen als die CDU zu holen. Wir leben in einem Land, in dem die konservative CDU den breitesten Konsens abbildet. Und das schon immer. Historisch waren eher die schlechten Ergebnisse der CDU nach 2002, aber da hallte das System Kohl mit all seinen Affären noch nach und Angela Merkel hatte sich noch nicht positioniert. Selbst in den 70er Jahren konnte die SPD (mit Ausnahme von 1972) nur regieren, weil man die FDP hatte.

Sogar in den Jahren 1967 bis 1970, der Hochzeit der studentischen Unruhen und politischen Aktivitäten seitens der Linken, als die Medien voll mit der Auseinandersetzung zwischen der alten und neuen Republik war, verlor die CDU bei der Wahl 1969 nur 1.5% im Vergleich zu 1965. Und das zudem noch mit dem ungeliebten Kiesinger als Kanzler.

Deswegen geht mir das Gerede von rot-rot-grün gerade ein wenig auf die Nerven. Die bekannte Grafik zeigt ziemlich klar, wie die Lage ist. Die meisten Wahlkreise haben eindeutig gewählt. Und sich eindeutig für Merkel entscheiden.

Natürlich hätte rot-rot-grün eine Mehrheit. Genauso wie Kohl, der 1976 knapp an einer absoluten Mehrheit vorbei geschrammt ist, um dann doch kein Kanzler zu werden, könnten SPD, Grüne und Linke die CDU links liegen lassen. Die Frage ist: Darf sie das?

Rein rechtlich gesehen dürfen sie das selbstverständlich. Aber moralisch gesehen, was den Wählerwillen angeht, dürfte das schwierig werden. Man könnte argumentieren, dass die linke Seite des Bundestags eine Mehrheit hat und diese auch dem Wählerwillen entspricht. Aber a) stimmt das so nicht und b) vergisst man dabei die knapp 10% der Wähler, die FDP und AfD gewählt haben.

Natürlich kann die SPD eine Koalition mit dem Hinweis auf zu große Unterschiede und Meinungen absagen. Und ich bin auch kein Freund einer großen Koalition, die zudem die eh schon geringen Freiheiten des Parlaments noch weiter einengen würde.

Aber in einer Demokratie gibt es für Parteien und deren Vertretern auch eine staatsmännische Pflicht, und die bedeutet auch, dass man Schaden vom Staat abwenden muss. Die hier und da eh schon leicht bröselnde Demokratie in Deutschland würde erneut Schaden nehmen, wenn sich SPD, Grüne und Linke gegen eine Koalition mit der CDU verwehren würden, nur weil man Angst hat, dass man am Ende der Legislaturperiode schlecht da steht. Es gehört auch zur Pflicht einer Partei für politisch stabile Verhältnisse zu sorgen, gerade in Zeiten, in denen die wirtschaftliche Entwicklung in den nächsten Jahren alles andere als klar oder sicher ist.

Wenn denn knapp 60% der Wähler der Meinung sind, dass Angela Merkel die bessere Kanzlerin ist und das die CDU die bessere Politik betreibt, dann müssen die Verlierer der Wahl auch dementsprechend handeln. Allein aus Staatsräson.

Mir wäre eine Koalition der Marke rot-rot-grün auch lieber, ich habe mit allen drei Parteien deutlich größere Schnittmengen, als mit der CDU. Aber man kann sich Wahlergebnis nicht so hinbiegen, wie man das gerade will. Sollten ernsthaft geführte Koalitionsverhandlungen der CDU mit allen anderen Parteien scheitern, dann kann rot-rot-grün gerne eine Rolle spielen. Neuwahlen wären dann aber vermutlich die bessere Alternative.

Meine bevorzugte Variante wäre im Moment Schwarz/Grün, da die Grünen, trotz des eher lauen Wahlergebnisses, vermutlich die Mitte der 30 bis 50jährigen darstellen. Und komischerweise traue ich den Grünen eher zu, dass sie eine hohldrehende CDU, die sich durch Sozialgesetze und Bürgerrechte fräst, eher einbremsen können, als die SPD. Ich vermute aber mal, dass der linke Flügel der Grünen im Falle einer Koalition Schaum vor dem Mund hat und unkontrolliert mit dem Mundwinkel zuckt.

4 Antworten zu „Linke Republik? Hat es nie gegeben“

  1. Jens Best

    Wäre es nicht mehr im Sinne einer staats- und verfassungsverantwortlichen Räson, wenn die faktische links/links-liberale Mehrheit eine Dreier-Koalition bildet? Das würde unserer Demokratie, unserem Land und Europa im Sinne der Überwindung einer merkelschen Postdemokratie besser tun.

    Die Dreier-Koalition CDU/CSU/SPD wäre die fortgesetzte machtvolle Verweigerung, die anderen Realitäten und verschobenen Notwendigkeiten eines aufgeklärten 21. Jahrhunderts in konkrete Politik einfliessen zu lassen. Stattdessen würde weiter das Kapital über die Demokratie herrschen und den Primat der Politik könnte man im Demokratiemuseum der nochmals budget-gekürzten Bundeszentrale für ehemalige politische Bildung besuchen.

    Jetzt resignierend auf die Notwendigkeit einer links-liberalen alternativen Politik zu verzichten und den abzulösenden Granden der Volksparteien des 20. Jahrhunderts (und ihren medialen Stimmungsmachern) nach dem Maul zu reden, ist eine Schande für jeden wahren Demokraten. Ich bin enttäuscht solche Worte hier zu lesen. Jetzt ist Verve und Verantwortung in einer alternativen linken Regierungsmehrheit gefragt.

  2. Jens, ich stimme Dir ja inhaltlich zu. Auf der anderen Seite finde ich es auch ein wenig einfach, wenn man ein Wahlergebnis darauf zurückführt, dass das Ergebnis ausschließlich Bestandteil einer Medienmanipulation ist. Wie Marcel im verlinkten Artikel ja zurecht aufweist, haben ja selbst die konservativen Medien in den letzten Wochen in Sachen NSA und Stillstand der CDU wochenlang auf den Titelseiten Bericht erstattet. Gebracht hat es nichts.
    Ich glaube auch nicht, dass das biedermännisch-konservative in Deutschland Vergangenheit ist, sondern eine Realität darstellt. Das passt mir auch nicht, aber man kann die Sachen auch nicht ignorieren. Für eine linke Mehrheit bräuchte es vor allem auch eine SPD, die nicht, wie in der letzten Koalition und wie unter Schröder, glaubhafte, linksliberale/soziale Politik machen kann. Aber dafür fehlt mir im Moment der Glaube.

  3. Jens Best

    Wer führt den das Ergebnis auf eine „Medienmanipulation“ zurück? Das ist geradezu absurd lächerlich. Der Biedermann steht voll im Saft, da gibt es nichts zu bestreiten.

    Dennoch gibt es eine links/linksliberale Mehrheit mit #r2g – Wenn diese Mehrheit nun nicht mit Verve und Verantwortung genutzt wird, ist der Sieg der Postdemokratie und ihrem Galionsmasskottchen Merkel besiegelt. Jeder Parlamentarier der SPD, der Grünen und der Linken, der/die das zulässt, braucht mir später nicht mehr unter die Augen zu treten. Jetzt gilt es mit dieser Machtoption eine andere Republik, eine lebendige Demokratie und ein progressives Europa ins 21. Jahrhundert zu führen. Dafür haben persönliche Empfindlichkeiten und taktisches Partei-Tralala hintenan zu stehen.

  4. Eule

    Die SPD hatte auch 2002 ganz knapp mehr Stimmen als CDU/CSU (exakt 6.027, um genau zu sein).