Ratlosigkeit und Chancen

Ich hatte vor ein paar Monaten eine Eingebung, und die bestand aus dem Wort „Müde“. Müde von den kleinen Skandälchen, die tagtäglich per Twitter, Facebook, Feeds und sonstigen Übertragungsmechanismen über mich reinbrechen. Die permanente Aufmerksamkeitshysterie der Mikrokrisen hatte mich etwas stumpf gemacht, und zwar so sehr, dass keine Lust hatte, mich daran zu beteiligen. Weder mit kurzen Sätzen noch mit langen Blogeinträgen. Ich hatte zu dem das Gefühl, einem Schatten hinterher zu laufen, wenn es um das Thema Netzpolitik geht. Kaum hatte man sich an Websperren, Vorratsdatenspeicherung abgearbeitet, poppte mit CISPA, LSR usw. das nächste Thema auf, was einem in Atem hielt. Um mal wieder den Wald vor lauter Bäumen zu sehen, habe ich mir eine Auszeit auf allen Kanälen gegönnt, die bis zur republica13 reichen sollte. War so nicht geplant, aber am Ende genau richtig.

Es war eine schöne Konferenz, perfekt organisiert, tolle Panels und Workshops. Was ich von der republica in diesem Jahr dann mitgenommen habe, ist der aber Eindruck einer allgemeinen Ratlosigkeit. Während letztes Jahr, vor allem in Sachen Netzpolitik eine große Aufbruchsstimmung zu spüren war, herrschte dieses Jahr eben Ratlosigkeit. Die sich hübsch im Vortrag von Sascha Lobo widerspiegele, der dem versammelten Volk schon fast verzweifelt das Schlagwort „Machen“ entgegenschleuderte. Einfach mal was machen also. Aber wohin soll die Reise beim „Machen“ gehen?

Im NLP gibt es es die hübsche Technik das Wort „nicht“ zu vermeiden, wenn man seine eigene Wünsche und Zukunftsvorstellungen formulieren soll. So sehr ich NLP auch eher kritisch sehe, so sehr trifft es aber auch den Kern der herrschenden Verweigerungshaltung gegenüber der Entwicklung der Netzpolitik. Die Antwort, wie etwas kurzfristig nicht sein soll, findet sich leicht, aber die fundierte Vorstellung, wie etwas aussehen könnte, findet sich nicht. Und mit einem „Nein“ lässt sich selten verständliche Politik machen, man muss auch eine Alternative anbieten, und zwar eine solche, die auch von denjenigen verstanden wird, die das Internet weiterhin für einen Hort von Irren, Perversen und Urheberrechtsverbrechern halten. Und, machen wir uns nichts vor, die Mehrheit der Bevölkerung Deutschland denkt genau so über das Internet.

Die Ratlosigkeit der republica, die sich auch in oft gehörten Aussagen wie „Das braucht halt alles seine Zeit in der Politik“ zeigte, macht deutlich, dass die gesamte deutsche netzpolitische Szene in einer Art Krise steckt. Die Piraten, die man im letzten Jahr zumindest als verlängerten politischen Arm der Szene akzeptieren konnte, haben sich selbst zerlegt. Sie schaffen es nicht mal im Moment, wo der Thementisch reich gedeckt ist, auch nur einen bundespolitischen Akzent zu setzten. Die Piraten haben weder die Kraft noch die passende Strategie, um etwas zu bewegen.

Klar ist aber auch, dass es der Netzszene an politischer Schaffenskraft fehlt. Darüber hinaus fehlen Vordenker, die die Veränderungen, die das Internet im Leben eines Bürgers bringt, formulieren können. Was genau ändert sich da eigentlich gerade in Wahrnehmung von Bürger- und Freiheitsrechten, wie genau verändert das Netz die postdemokratischen Hierarchien, bzw. wird da überhaupt etwas verändert? Ganz einfach formuliert: Wo will man eigentlich mal hin mit dem Staat und den Bürgerrechten? Wie tief greifend sollen die Änderungen werden? All das ist nicht geklärt, nicht mal im Rahmen eines „Status quo“. Stattdessen arbeiten sich viele an einzelnen Themen ab und erwecken so gleichzeitig den Eindruck, dass des der netzpolitischen Szene vor allem darum geht, gegen etwas zu sein. Um es mal militärisch auszudrücken: Es wird an vielen Fronten gekämpft, aber es gibt keinen umfassenden Schlachtplan.

Die deutsche Demokratie ist nicht so alt, als das sie nicht eine Renovierung verdient hätte. Dass das Volk der „Souverän“ ist, glaubt man zumindest auf bundespolitischer Ebene vermutlich kaum einer mehr und dank des Wahllistensystems der Partien dürfte es auch schwerfallen, dass sich das ändert. Es gibt genug Lücken und Beschränkungen in den demokratischen Prozessen in Deutschland, die kann man aber alle nicht mit einem simplen „Mach mal“ oder „Nein“ verändern.

Die Netzszene sollte sich nicht nur überlegen, welche Ziele sie in welcher Reihenfolge erreichen will, sie sollte sich auch Gedanken darüber machen, wie man die tief greifenden Veränderungen kommunizieren kann. Ein Beispiel: Es gibt für jede gesellschaftliche Entwicklung bis hin zur Polyamorie ein Sachbuch das die Veränderungen versucht zu dokumentieren. Die Änderungen, die das Internet in der Gesellschaft und der Wirtschaft (und alles, was dazugehört) hervorrufen könnte, sind kaum erfasst oder werden visionär beschrieben. Stattdessen arbeitet man sich an einzelnen Punkten (Telekom, CISPA usw.) ab, bekämpft eine Hydra, der zwei Köpfe nachwachsen, wenn man einen abschlägt. Das kostet Kraft, ist ermüdend, was bedeutet, dass der langfristige Erfolg in weiter Ferne steht.

Die führenden Köpfe der deutschen Netzszene, die an unterschiedlichen Fronten arbeiten, sollten das momentan herrschende Vakuum nutzen und sich zusammensetzen um sich langfristige Strategien überlegen. Diese sollten nicht nur die Lobbyarbeit umfassen, also wo man am besten einen politischen Hebel ansetzen kann, sondern sich vor allem auch auf die Vermittlung der ausgearbeiteten Themen in der Breite umfassen. Wie kann man die eigenen Themen auch jenen verständlich machen, die damit bisher nichts anfangen können oder sie sehr skeptisch sehen? Wie kann man einen verständlichen, philosophischen Überbau schaffen, der allgemein vermittelbar ist? Einen, der auch für 70jährige CSU-Abgeordnete verständlich ist?

Am Ende geht es ja nicht darum, den Staat abzuschaffen, er funktioniert ja ziemlich gut. Aber es geht darum ihn zu verbessern, die Einflussmöglichkeiten seiner Bürger wieder zu verstärken. Das ist ein Ziel, das sich gut vermitteln lassen sollte. Die Chancen dafür sind jedenfalls da.

2 Antworten zu „Ratlosigkeit und Chancen“

  1. Danke!

    Das habe ich dann aus dem Lobo-Vortrag mitgenommen, nicht mehr kriteln, empören und damit wichtige Energien nicht in die Sache stecken, sondern leider nur ins Off verschwenden. Dafür alternativ: überzeugen!

    Ach und wer dann eben dafür keine Zeit, Kraft hat, was auch legitim ist, dann vielleicht netzpolitik.org mit einer paar Euro unterstützen. Denn die machen viel und gute Arbeit für uns und was uns alle anbelangt und wenn es bloß € 5,– im Monat sind, die man abzweigen kann: es ist deren Engagement so wert!

  2. Nach der Lektüre Deines Beitrags bin ich irgendwie auch nicht schlauer.

    Wer sind überhaupt die führende Köpfe der deutschen Netzszene und welche grobe Stoßrichtung sollten sie verfolgen, wenn sie sich zusammensetzen?