Update aus meinem Leben – Auf der Reise Editon

# Das Blut kann ja nur von Alkohol oder Sehnsucht verdünnt werden. Dann ist es wie eine Welle, die durch die Adern rauscht, die einen mitnimmt, die einen reinwäscht, fort trägt, die Zeit vergessen lässt. Man wird aufgebrochen, ist wehrlos, egal was man macht, egal, wie weit man Abstand sucht. Alles andere wird klein und man selbst auch. Wären da nicht diese Krallen, die man im Rücken spürt, die am Hinterkopf schaben, immer den Nacken entlang und einen warnen. „Zur Hölle“, ruft man dem Raben entgegen, der seine Krallen an einem wetzt.

# Wenn man also alles vergisst und brutal dann wieder vom Leben auf den Boden geholt wird. Von den ordinären Dingen des Lebens, nicht mal von der elenden Kälte, die dann doch ein Vorbote ist. Immerhin bekommt man Käsekuchen und Gnocchi, während man sich in seinem Elend ein wenig windet und darauf wartet, dass es besser wird. Und die Stelle im Nacken wird langsam wund.

# Also bewegt man sich, erst in größeren Schritten, dann in kleineren, möglichst still und leise. Die Hände strecken sich immer weiter aus, die Grenzen werden weiter verschoben in unentdeckte Länder. Die Worte wollen gewählt sein, sie sind roh, sie gefährden Fragiles. Jede Silbe ist ein Geflecht, setzt einen Samen, der Böses bergen kann. Der Kopf ist nur noch damit beschäftigt, die Worte zu entkleiden, sie sanft zu machen, sie ihrer Schärfe zu berauben. Dabei ist man selber in ein Spinnennetz aus fremder Angst verfangen.

# In wenigen Momenten geht es, da ist alles klar, weil man konzentriert ist. Blaue Stunden sind das, solche, die man nicht vergisst. Man sitzt auf harten Stühlen und schaut sich in die Augen. Man sucht etwas und findet für einen Lidschlag den Blick, an dem man sich festhalten kann. Man findet es im weißen Rauschen, auf Fensterbänken, in Bars zwischen zwei Gin-Tonics. Das sind Chimären, am Ende senkt sich auch der Kopf in den eigenen Nebel hinein und schaut, was da eigentlich genau vor sich geht. Man wühlt im eigenen Morast, in vergessenen Albträumen, die man schon längst lachend zur Seite geschoben hatte. Also noch mehr Dinge, die man abarbeitet, im Kopf sieht es aus, wie das Bild eines alten Fernsehers, der verzweifelt einen klaren Empfang sucht.

# Wenn der kurze Moment des Seins vorbei ist, kommt die Wahrheit und sie scharf wie ein frisch geschliffenes Messer. Alles, was bleibt, ist die Erinnerung, dass es schön ausgesehen hat, dass man sich darin verlor, selbstvergessen, getragen von den brüchigen Flügeln des Ikarus. Dionysischer Rausch versus Apollinische Klarheit. Und dann taucht man auf und weiß, dass das Leben eben nicht nur ein Moment ist, sondern dass es der einzige Moment ist, dem man hat. Dass es keinen zweiten Moment geben wird, keine zweite Chance. Dass wir nur eine Chance haben, alles zu erwarten, alles zu nehmen, mehr zu erwarten, als die Idee eines Momentes.

# Am Ende der Zeit schaut man Heinrich Heine im Theater, hat in sechs Wochen zehn Kilo abgenommen, isst einen Teller schlechter Linsensuppe und zittert. Ein paar Stunden später liegt man im Krankenhaus, der Notarzt war da und jemand weint am Bett, aber aus ganz anderen Gründen. Später sitzt man wieder in der Küche, redet, und die Kreuzungen scheinen zu verschwinden. Aber der Nebel im Kopf lichtet sich, auch die Trugbilder werden klarer und sie können einem nichts mehr anhaben. Man ist gewachsen.

# Aber das Leben ist ja gar nicht so. Das Leben kann ja auch anders. Selbst wenn man desolat Käse-Schinken-Sandwiches in sich rein stopft, Sachen murmelt und danach denkt „Ach herrje“ kann sich in all dem Chaos aus Angst, Verletztheit und Schwäche, in all den dunklen Räumen, durch die man gelaufen ist, in denen man sich verirrt hat, plötzlich eine Tür öffnen.

# Wir sammeln unsere Erinnerungen, bringen Ordnung hinein, legen ab, sortieren und sagen, dass wir verstanden haben. Und vergessen doch wieder alles. Wir machen einen Schritt und es ist jedes Mal der Erste. Wir berühren eine Haut und es ist immer eine andere. Wir nehmen uns vor, nicht mehr zu lieben, und werden überrannt. Wir laufen im Kreis und wollen zu den Sternen. Wir haben Sehnsucht, die Leerstellen in unser Leben stanzt und vor der Sehnsucht haben wir Angst. Wir sind auf der Flucht, fortwährend, und wollen doch gefangen werden. Wir suchen Grenzenlosigkeit um die eigenen Grenzen zu finden, und wenn wir da sind, beginnen wir von vorne. Wir schauen in Augen und suchen uns selbst. Wir schreiben und reden viel, weil wir befürchten, dass uns die Worte fehlen. Und am Ende ist das alles gar nicht so kompliziert. Wir haben uns nur selber die Augen verbunden, den Mund verboten und die Hände in den Taschen gelassen.

# Dann findet man sich an einem alten Tisch, Augen suchen ein Echo und finden es zwischen der verstreuten Asche der letzten Stunden, Wochen und Monate. Es ist wie ein Spaziergang in ruheloser Nacht, wenn man durch den grauen Schnee stapft, wenn die Fenster dunkel sind und man sich nicht vorstellen kann, dass dahinter irgendwann mal Leben war. Leben ist. Und dann biegt man um die Ecke und aus einer kleinen Bäckerei dringt der Duft von frischgebackenen Croissants. Die Tür ist nur angelehnt und man geht mit einer Tüte voller frischem warmem Glück auf dem direkten Weg nach Hause.

# Man trinkt Wein (biologisch), rührt spät am Abend in einem Risotto oder isst nachts die Reste einer kalten Bolognese, man schaut Heinz Rühmann Filme und taucht in ein anderes Leben. Man sieht fremde Schatten an der Wand, hört die Straßenbahn vorbei rumpeln und alte Uhrwerke laufen, die nachts beruhigend ticken und einem sagen, dass man wieder atmen kann. Und wenn man es nicht glaubt, dann muss man sich nur ein wenig umdrehen und sieht es. Dass die Momente kristallklar am Horizont leuchten und den Weg der Reise wie tanzende Lichter begleiten. Das sie Ziel und Weg zugleich sind. Die Wärme strahlt und man mit ihr.

# Keine Umwege mehr.

4 Antworten zu „Update aus meinem Leben – Auf der Reise Editon“

  1. Wunderschön geschriebener Text. Er zieht einen in eine andere Welt und holt einen in die diesige zurück. Beides gleichzeitig.

  2. Gerd

    Beeindrückend, und ich bin neidisch wegen der schönen Sprache, die mit großer Leichtigkeit Bilder in meinen Kopf malt, die bleiben.

    Gerd

  3. […] es ist immer eine andere. Wir nehmen uns vor, nicht mehr zu lieben und werden überrannt.“ von hier über […]

  4. Simon

    Bin jetzt zum ersten Mal auf Deine Seite gestoßen. Muss sagen ich mag Deine Schreibweise. Absatz 4 ist mein Fav. Muss man sich erstmal einige Male durchlesen und dann drüber nachdenken. Mein Vorschlag zumindest.