Sehen und Wegsehen

Was mich in den letzten Wochen stark verwundert hat, ist die Tatsache, wie viele Menschen bestimmte TV-Sendungen schauen. Also Formate wie das „Dschungelcamp“ oder „Bauer sucht Frau“ oder „Bachelor“ oder „Deutschland sucht den Superstar“ oder „Popstars“ oder dieses Topmodeldings. Und ich meine jetzt nicht die Einschaltquoten, sondern das jene Menschen, die ich eigentlich für geistig rege, intelligent und lustig halte ihre Freude über derartige Formate in meiner Timeline zum Ausdruck bringen.

[Ich kürze hier an dieser Stelle mal den ganzen „Aber warum“ und „Es gibt doch so viel andere schöne Programme“ Sermon ab und antworte direkt auf den geschätzten Lukas Heimser, der in dieser Diskussion schrub: „Ich kann nur für meine Stimme bei der (einstimmigen) Entscheidung sprechen, aber ich fühle mich vom Dschungelcamp gut unterhalten. Vielleicht nicht so gut wie von einigen der anderen nominierten, die jetzt leider völlig untergehen, aber doch mehr als ausreichend, um mit „Ja“ zu stimmen. Wer im „Dschungelcamp“ Menschenverachtung sieht, kommt bei „Bauer sucht Frau“ um einen Hitlervergleich wohl kaum noch vorbei.]

Wenn man sich das Format des Dschungelcamps anschaut, geht es darum, dass ein paar ehemalige, meist mit peinlichen Affärchen behaftete bekannte Menschen in einem Camp gehen, gefilmt werden und ein paar eklige Dinge tun müssen. Das machen sie freiwillig, sie bekommen (wie man so hört) je nachdem wie das ehemalige Star-sein gelagert ist, eine sechstellige Summe dafür. Womit dann jedes Argument in Richtung „Ist das vielleicht nicht ein wenig widerlich?“ meist auch totgeschlagen wird.

Doch bei allen essbaren Hoden und Maden dieser Welt – mich stören derartige Formate, weil sie nur ein Thema zum Inhalt haben: niederträchtige Schadenfreude. Um mal Goethe zu entstauben „Wenn die Menschen recht schlecht werden, haben sie keinen Anteil mehr als die Schadenfreude.“

Natürlich kann man beim „Dschungelcamp“ auch argumentieren, dass es eine Art Sozialstudie ist, denn das Leben im Camp, die aufeinanderprallenden Charaktere und deren Eitelkeiten werden ja auch (genüsslich) gezeigt und ins Programm geschnitten. Aber sind wir doch mal ehrlich: Niemand würde sich auch nur eine Folge anschauen, wenn es nur um die psychologischen und sozial-gesellschaftlichen Verwicklungen der Teilnehmer gehen würde. Es geht um die dramaturgisch inszenierten „Prüfungen“, die halt meist irgendetwas leicht Ekliges beinhalten. Ansonsten könnte es ja auch bei „arte“ laufen.
Ähnliches gilt, wenn auch anders gelagert, bei scripted reality Shows wie „Bauer sucht Frau“. Niemand will einen halbwegs normal aussehenden Bauern dabei beobachten, wie er Monat um Monat verzweifelt Kontaktanzeigen schaltet und deprimierende Dates in Cafés aushält, die seit den 70er Jahren nicht mehr renoviert wurden. Die Kombination von „schräger Typ“, meist wegen des Aussehens und „schräge Frau“, meist wegen ihrer Art Dinge auf dem Hof zu tun, macht die Sache interessant. Man lacht darüber. Man lacht über Menschen, die man nicht kennt, die sich mehr oder weniger freiwillig in die Maschinerie des Privatfernsehens begeben haben, die dank Schnitt und Drehbuch gerne mal als Volltrottel dargestellt werden.

Das ist reine Schadenfreude, die es an Bösartigkeit nicht missen lässt. Damit ich nicht falsch verstanden werde, mein Mitleid für die Teilnehmer hält sich in Grenzen. Zum einen bekommen sie Geld, zum anderen werden sie nicht gezwungen. Aber das Wort „Unterhaltung“ fällt mir dazu eher nicht ein.

Es geht um die Art, wie Menschen dargestellt werden, die mich stört. Und die Reaktion der meisten Beobachter. Statt sich leicht angewidert und von Fremdscham geschüttelt abzuwenden, propagieren viele das auch noch auf Twitter usw. Es entsetzt mich nicht, dass es einzelne Shows gibt, die mit der Schadenfreude oder Moment spielen, in dem der Protagonist sich sichtbar im Fernsehen schämt. Das hat es immer gegeben. Aber dieses Lachen über diese Menschen hat etwas Hämisches, etwas Gemeines. Es kommt nicht aus Freude oder weil jemand etwas spielt. Es kommt aus der Schmuddelecke der Schadenfreude. Dort, wo man lacht, wenn jemand anderem etwas Blödes passiert und man denkt „Endlich bin nicht mehr nur ich es, der auf die Fresse kriegt“. Es ist ein wenig das Lachen des Diederich Heßling, dem Untertan aus dem Buch von Heinrich Mann.

Es entsetzt mich, dass es mittlerweile so viele Shows sind, die es zu diesem Thema gibt und das sie auch noch erfolgreich sind. Ein vor der Kamera und der Gesellschaft seelisch wie körperlich entblößter Mensch ist nicht lustig. Das Argument, er macht das freiwillig, hilft da auch nicht weiter. Ich mag so etwas nicht sehen, deswegen schaue ich es auch nicht. Die belustigten Reaktionen auf solche Formate befremden mich aber noch mehr. Und das sich offenbar niemand fragt, über was und warum er gerade lacht.

16 Antworten zu „Sehen und Wegsehen“

  1. Stimme dir zu und auch, wenn du weiter oben noch was anderes schreibst, zählt mit Ausnahme des Dschungelcamps die Aussage „er/sie macht es freiwillig“ nicht, denn keiner der Protagonisten von „Bauer sucht Frau“ und Co. hat es im Griff, wie er/sie letztendlich dargestellt wird.

    Wir alle sehen diese Sendungen nur aus einem Grund: Wir stellen uns über die Teilnehmer und fühlen uns dadurch besser.

  2. Selbst Wikipedia weiß es: „Das Wort ‚Schadenfreude‘ existiert als deutsches Lehnwort im Englischen, Französischen, Italienischen, Spanischen, Portugiesischen und Polnischen.“ Wir haben’s erfunden. Und Scripted bedient es. So gut, dass selbst die, die es nicht schauen darüber schreiben (das muß man erstmal bringen, Hut ab RTL). Schließlich erklärt schon Fritze Nietzsche die Kakerlakendusche: „Die Schadenfreude entsteht daher, dass ein jeder in mancher ihm wohl bewussten Hinsicht sich schlecht befindet, Sorge oder Neid oder Schmerz hat: der Schaden, der den andern betrifft, stellt diesen ihm gleich, er versöhnt seinen Neid.“ Den Neid haben wir nicht erfunden. Aber wir können ihn ganz gut.

  3. Sonya

    Was Unterhaltung ist, darüber lässt sich wahrscheinlich ebenso trefflich streiten wie darüber was guter Geschmack ist. Trotzdem würde ich in Bezug auf eine Kleinigkeit eine Unterscheidung treffen wollen. „Bauer sucht Frau“ ist keine Scripted-Reality-Sendung (alle Handelnden sind frei erfunden und werden von Laien dargestellt, die nach Drehbuch agieren), sondern fällt unter das Genre „Doku-Soap“. Doku-Soap ist ein typisches „Schlüsselloch-guck“-Format, das voyeuristische Bedürfnisse auf (mehr oder weniger) unterhaltsame Art und Weise bedient. Hier zeigen die Protragonisten jedoch ihr Leben wie sie es sonst auch (mehr oder weniger) leben. Der Unterschied liegt doch vor allem darin, dass es inzwischen eine Reihe Bauern gibt, die Ehen geschlossen und Kinder bekommen haben – im ganz realen Leben. Dieses Glück sei ihnen vergönnt. :)

  4. Lieber Don,

    Du schreibst, Du verstehst nicht, warum Leute, die Du eigentlich schätzt, sowas gucken. Aber Du versuchst gar nicht, es zu verstehen. Du unterstellst. Du unterstellst, dass die Dschungelprüfungen die entscheidenden Bestandteile und der eigentliche Reiz an der Show sind, und wer etwas anderes behaupte, sei nicht „ehrlich“. Ich glaube, dass diese Prüfungen *nicht* der entscheidende Bestandteil sind. (Interessanterweise kamen übrigens in dieser Staffel einzelne dieser Prüfungen auch völlig ohne den Ekelfaktor aus und waren eher Geschicklichkeitsspiele oder Mutproben.)

    Du ignorierst, dass Lukas in dem Zitat einen deutlichen Unterschied macht zwischen „Bauer macht Frau“ und „Ich bin einen Star…“. Ich halte beide Formate in ihrer Anlage, in ihrer Machart, in ihrer Wirkung für extrem unterschiedlich. Die Dschungelshow ist eben nicht, wie Du schreibst, ein Format, das „nur ein Thema zum Inhalt“ hat: „niederträchtige Schadenfreude“. Sie hat verschiedene Ebenen, auf denen sie funktioniert. Es geht bei ihr meiner Meinung nach vielleicht um Voyeurismus, aber nicht hauptsächlich um Schadenfreude.

    Ich schaue die Dschungelshow mit großem Vergnügen (trotz gelegentlichem schlechten Gewissen) und halte „Bauer sucht Frau“ für ein perfides, ekelhaftes Format. Wenn Du einfach unterstellst, dass all diese Sendungen gleich sind und nur wegen eines einzigen Grundes funktionieren, wird es Dir, fürchte ich, nicht gelingen, zu verstehen, warum so viele Leute, denen Du das eigentlich nicht zutrauen würdest, sich das anschauen.

  5. andi pieper

    Weise Worte, vielen Dank.

  6. Was Stefan sagt.

    Und: Bei den Prüfungen geh ich meist aufs Klo oder lese nebenbei. Ich zitiere dich: „Niemand würde sich auch nur eine Folge anschauen, wenn es nur um die psychologischen und sozial-gesellschaftlichen Verwicklungen der Teilnehmer gehen würde.“

    Doch. Genau deshalb schalte ich ein.

  7. Lieber Stefan,
    mir geht es nicht allein um die Sendung, sondern um Frage über was wir lachen und warum wir das tun. Ich habe beide Sendungen gesehen und auch gelacht, mich dabei aber nicht wohl gefühlt, weil die Frage auftauchte, ob ich lachen könnte, wenn ein Freund dort zu sehen wäre. Oder ich selber.

    Ich habe die ersten beiden Staffeln von „Big Brother“ verfolgt. Mit einer Mischung aus Abscheu und irritierendem Interesse an der Sache. Es hatte was vom Anfang von „War of the worlds“ (…that as men busied themselves about their various concerns they were scrutinised and studied, perhaps almost as narrowly as a man with a microscope might scrutinise the transient creatures that swarm and multiply in a drop of water.) Aber mir ging es wie Anke, die unter Dir schreibt, dass sie die sozialen Verwicklungen und Banden interessiert. Das kann ich beim Dschungelcamp nur schwerlich erkennen.

    Ich unterstelle ja niemanden etwas Böses, nur wundere ich mich, vielleicht aus einer etwas zu eingeengten Perspektive, warum man nicht wegsieht und frage mich, warum man lacht. Und über was genau.

  8. Tess

    Hi Don,

    ich bin der Meinung, dass die von dir beschriebenen Formate erst durch die gezielte Forcierung in Print und Social Media-Kanälen die Relevanz erlangen, die sie im Moment haben.

    Ich habe die Camp-Geschichte tatsächlich noch nie in meinem Leben geschaut, aber ich komme daran trotzdem nicht vorbei. Bei Lanz wurde das Thema zuletzt durch die Gäste Peer Kussmagk und Carsten Spengemann thematisiert, Google-News informiert mich alleine durch seine Snippet, an den Zeitungsregalen prangern mir Schlagzeilen entgegen und in den wenigen Blogs, die ich regelmäßig lese, steht auch mehr darüber als ich darüber überhaupt wissen will.

    Und so kommt es, dass ich (vermutlich) alles über den Inhalt insbesondere dieser Sendung weiß, ohne sie je gesehen zu haben. Insoweit ist das Argument (das auch Lanz vertritt), dass komischer Weise alle über etwas meckern, was sie angeblich nie gucken, sehr kurzsichtig.

  9. […] Dahlmann über das Problem der Schadenfreude beim […]

  10. „Will man verhindern, daß es politisch unglückliche gibt, sorge man dafür, das der Mensch nicht beide Seiten einer Frage kennenlernt, nur eine davon. Oder noch besser gar keine. Er soll vergessen, daß es so etwas wie Krieg gibt. Ist die Regierung unfähig, aufgebläht und im Besteuerungswahn? Schlimmer ist es, wenn sich die Leute darüber Gedanken machen! Beschäftige sie mit Gewinnspielen. Dann glauben sie, denkende Menschen zu sein und vom Fleck zu kommen, ohne sich im geringsten zu bewegen. Und sie sind glücklich. Es wäre falsch, ihnen so glitschiges Zeug wie Philosophie oder Soziologie zu vermitteln, um Zusammenhänge herzustellen. Das führt nur zu seelischem Unglück. Her mit den Clubs und den Festen, den Seiltänzern und Zauberkünstlern, den Draufgängern, den Rennwagen und Hubschraubern, her mit Sex und Drogen, mit allem, was automatische Reflexe auslöst. Mir ist es egal. Ich will unterhalten werden.“ -Ray Bradbury, Fahrenheit 451 (1953)

  11. […] Sehen und Wegsehen | Irgendwas ist ja immer – Reloaded Ich halte mich für einen allgemein recht schadenfrohen Menschen, kann aber mit dieser Art von Fernsehen genauso wenig anfangen wie der Don. Und leider geht es mir genau wie dem Don, dass einige dieser Sendungen in meinem Umfeld mit Begeisterung verfolgt werden. […]

  12. Gerd

    Sehr guter Beitrag, der Gedanke an Diederich Heßling kam mir auch schon mal, als ich mir beim Lesen von Tweets die Augen rieb, weil ich derlei tumbe Gehässigkeit von einigen nicht erwartet hätte.
    Ich kann aber letztendlich nur für mich entscheiden, ob ich mir diesen Mist anschaue oder nicht.
    Ich mach es nicht und ich kann auch sagen, dass die mediale Dauerbefeuerung in Print und SocialMedia mich in meiner Haltung nur bekräftigt hat. Menschen, die sich vor laufender Kamera erniedrigen lassen oder sich aus Unbeholfenheit selber erniedrigen lösen bei mir nichts aus, was mit Spaß oder Unterhaltung oder ähnlichem zu tun hätte.
    Meine Vermutung ist, dass der Gesetzgeber allein verhindert, dass uns noch widerlichere Sachen angeboten werden, die die Quoten noch weiter steigern würden. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden.

  13. Du möchtest sicher „ehemalige … Menschen“ im dritten Absatz ändern.

  14. Philip Engstrand

    @stefan n, @all
    Um mal grundsätzlich zu werden: Es geht hier gar nicht mal so um die Zuschauer.

    In welcher Welt leben wir eigentlich, in der die aufgelisteten Formate produziert werden?
    (und ich kann mich sonst für ziemlich viele Geschmacklosigkeiten begeistern…)

    Ja, es ist das werbungsgesteuerte Fernsehen. Ja, die müssen dafür sorgen, das sie billig etwas produzieren, das ‚anziehend‘ ist. Ja, es ist für einen Teil der möglichen Zuschauer Unterhaltung.

    Aber deswegen ist es immer noch Falsch. Falsch. Falsch. Denn es kratzt mit ziemlich spitzen Nägeln an der sehr dünnen Schicht Zivilisation die wir haben.

  15. Roy Batty

    Es ist aber auch eine gute und unkomplizierte Heuristik, um seine Timeline personell entsprechend zu „aktualisieren“. Ich selbst bin da ziemlich konsequent, an mir gehen diese Sendungen auch in den sozialen Medien inzwischen vollkommen vorbei.