Julian Assange

Jetzt sitzt er also da in der Botschaft und wartet. Und dies wird Julian Assange vermutlich noch sehr lange machen müssen. Denn weder werden die Briten ihm freies Geleit garantieren, noch wird Ecuador Lust dazu haben, den diplomatischen Krach mit Großbritannien und den USA zu verschärfen. Vermutlich wird er die nächsten ein, zwei Jahre in der Botschaft wohnen, bis seine Anwälte einen Deal mit Schweden oder sonst wem ausgehandelt haben.

Die Grundidee von Wikileaks habe ich immer so verstanden, dass man anonym Material veröffentlichen kann, um dass sich dann eine Community, bestehend aus Laien, Blogger und Journalisten, kümmert. Das Material ist offen, jeder kann ran. Mit dem Material, das Assange von Bradley Manning erhalten hat, änderte sich die Sache aber rasant. Das Material wurde bewertet, bevor es überhaupt veröffentlicht wurde. Allein die Tatsache, dass Assange das Video, in dem zu sehen war, dass eine US-Hubschrauberbesatzung Zivilisten im Irak beschießt, unter dem Titel „Collateral Murder“ veröffentlichte, sagt schon einiges. Die Wertung wurde vorgenommen, bevor das Material überhaupt ausgewertet oder auf Echtheit überprüft worden war. Letztendlich diente die Schlagzeile nur dazu, möglichst größte Aufmerksamkeit auf ihn und seine Arbeit zu lenken.

Das Video ist mit seinen Bildern schon aussagekräftig genug, die Veröffentlichung hätte auch ohne die wertende Titelzeile völlig ausgereicht. Aber offenbar reichte das Assange nicht. Er hat sich mit der folgenden Veröffentlichung von halbgeheimen Telex- und Mailmaterial und der Darstellung, dass dies die Weltmächte erschüttern würde, selber so weit ins Rampenlicht bewegt, das Wikileaks darüber zerstört wurde. Ihm war die eigene Darstellung als Retter der Freiheit wichtiger. Im Endeffekt dann auch wichtiger, als der Schutz der Namen etlicher Informanten, die in den Dossiers genannt wurden.

Die Welt braucht so etwas wie Wikileaks. Wie man immer wieder feststellen kann, gibt es genug Dinge, die an die Öffentlichkeit gehören. Ob es die merkwürdigen Verträge des Berliner Senats in Sachen Verkauf der Wasserwerke sind oder internationale Abkommen, die irgendwo heimlich beschlossen werden sollen. Ob Kriegsverbrechen oder Bankenabsprache – ohne anonyme Whistleblower Plattformen geht es nicht mehr. Und es ist Julian Assange und seiner Truppe hoch anzurechnen, dass sie mit Wikileaks etwas losgetreten haben, was sich nicht mehr stoppen lässt. Sein Name wird auch schon deswegen in die Zeitgeschichte eingehen, weil er als einer der Ersten die Diskussion über die Freiheit von Information in der breiten Öffentlichkeit populär gemacht hat und er somit auch für ein Umdenken in vielen Dingen gesorgt hat. Aber dann hat ihn seine eigene Hybris im Weg gestanden.

Die Situation von Assange ist kompliziert, der Druck, der auf ihm lastet, ist ernorm. Sein Leben mehr oder weniger zerstört. Selbst wenn er nach Ecuador kommen sollte, wird er in der permanenten Angst leben müssen, dass er entführt werden könnte. Und dies auch nach Jahren oder Jahrzehnten. Ein normales Leben ist so nicht mehr möglich. Aber völlig unschuldig ist er daran auch nicht.

Bisher hat er die Rolle des Märtyrers ja ganz gut beherrscht, nur in der Sache mit der angezeigten Vergewaltigung sieht es nicht gut aus. Um so glaubhafter wäre es von Julian Assange, wenn er der Auslieferung nach Schweden gefolgt wäre. Auch auf die Gefahr hin, in die USA ausgeliefert zu werden, was so schnell aber auch gar nicht möglich gewesen wäre. Ich kann die Angst von Assange vor den USA verstehen, aber wie man auch im Fall von Kim Dotcom sehen kann, ist Arm der US-Justiz nicht ganz so lang, wie man oft annimmt. Ein Gang vor den Europäischen Gerichtshof, die dazu gehörige Aufmerksamkeitskampagne etc. pp.

Nun gibt es eine Patt-Situation und Assange ist der Einzige, der sie auflösen kann. Viele Optionen hat er aber nicht mehr.

Eine Antwort zu „Julian Assange“

  1. Ich glaube nicht, dass Assanges Leben zerstört ist. Er ist ein Grenzgänger und lebt auch vom Adrenalin, das ihm sein Leben in Ausnahmesituationen gibt. Genau darin unterscheidet er sich kaum von seinen Kollegen, die z.B. aus Krisengebieten berichten. Der Rolling Stone hat vor einiger Zeit ein interessantes Interview mit Assange veröffentlicht: http://t.co/M6pfFHyb