Engere Kreise

So gegen Ende der 80er Jahre verband mein Freund Christoph einen Akkustik-Koppler mit einem Telefonhörer, wählte ein lange Nummer in die USA und nur wenige Sekunden Minuten später waren wir mit einem BBS (Bulletin Board System) aus dem Fido-Net verbunden. Große Welt, für wahr. Die wenigen Momente, die wir gebannt auf einem fremden Rechner verbrachten kosteten ihn dann später ein Monatstaschengeld und etwas Ärger mit den Eltern. Wir schwärmten davon, wie toll es doch wäre, wenn es sehr, sehr viele dieser BBS geben würde. Wie toll man dann kommunizieren könnte.

Das erste Internet bekam ich dann 1994 in meine Wohnung. 14.400er Modem, mehr gaben die Leitungen der Telekom nicht her. Eingewählt habe ich mich über das BTX-System der Post, abgerechnet wurde im Stundentakt, ich glaub so 1000 5 Mark die Stunde. Meine erste Telefonrechnung samt Internet belief sich dann auf über 700 Mark. Ich wollte schnell zu AOL, denn da gab es “richtiges” Internet zu deutlich günstigeren Konditionen. Aber wie toll dass doch ist, dachte ich, plötzlich kann man ja im Internet schreiben und alle können es lesen. Also die paar Hunderttausend mit Internet-Anschluss. Sehr stolz war ich auch auf meine Mail-Adresse bei Compuserve, deren Postfach allerdings monatelang leer blieb, weil ich niemanden kannte, der auch eine Mailadresse hatte.

Dann kamen ISDN, DSL, Google, Blogger, Antville und all die anderen Sachen und der Horizont erweiterte sich tatsächlich explosionartig. Die Fülle an Quellen, die Fülle an Menschen, die Fülle an kleinen, unabhängigen Programmierern schien eine Revolution auszulösen. Was das Internet ja auch getan hat, aber darum geht es mir jetzt nicht.

Denn zum ersten Mal seit dem Tag, an dem Christoph den Akkustik-Koppler anschloss, habe ich seit einiger Zeit das Gefühl, dass die Kreise, in denen man sich im Internet bewegt und bewegen kann nicht größer, sondern kleiner werden.

Neulich habe ich mein Smartphone resettet. Irgendeine App hatte Android zerschossen. Bei der Neueinrichtung habe ich dann bewusst mal geschaut, was für Apps ich eigentlich wirklich brauche. Raus kam: Twitter (Hootsuite auf dem Smartphone), Foursquare (Warum auch immer), Instagram (Neuer Liebling), Yammer (Internes Twitter für die Racingblog Redaktion), Shazam (Für einmal im Quartal), Browser, die interne Racingblog-App. Whats App, Qype, barcoo (einmal im Quartal) und Advance Task Killer zur Akku-Schonung.

Daraufhin habe ich mal beobachtet, was ich am heimischen Rechner im Netz so nutze. Angepinnte Taps: Mail, Facebook, Racingblog, der neue Racingcarz-Ableger, diese Seite, Prismatic, Google Reader, Sponline. Twitter läuft über Tweetdeck, dazu Skype, Yammer und Trillian. Mein Internet-Universum reicht aber natürlich weiter. Der Reader, Twitter und Prismatic sind nur drei Einfallstore in die Tiefen des Netzes, allein die knapp 900 RSS-Feeds führen mich da zielsicher und schnell zu den Seiten, die mich interessieren könnten.

Auf dem iPad tummeln sich zwar mehr Apps, meist genutzt sind aber Twitter (Tweetbot), Browser, Instagram, Kindle und die dämliche Facebook App.

Im Grunde bekomme ich heute mehr Information, finde über Buzzfeed und Hackernews mehr Seiten, als ich mir habe träumen lassen. Und dennoch: Das Gefühl, dass die Kreise enger werden, will nicht so recht fortgehen.

Vielleicht liegt es daran, dass es seit einiger Zeit keinen “neuen heissen Scheiss” mehr gibt. Die in den letzten Jahren entstandenen Dienste sind mehr oder weniger Abwandlungen dessen, was es schon gab. Wenn Flickr nicht Yahoo gehören würde, hätten sie vielleicht Instagram erfunden (oder früh gekauft), der neue Dienst Zurker ist die unverhohlene Ansage, fremde Daten noch intensiver abgreifen zu wollen, als Facebook. Dinge wie Paste-Bin hatten wir auch schon mal und neulich berichtete man mir, dass man IRC wieder entdeckt hat (IRC!).

Facebook, Twitter und so weiter sind unverzichtbare Dienste geworden, sie erdrücken das Internet aber auch, weil sie die Wahlmöglichkeiten einschränken. Man kann seinen Account natürlich löschen, mir würde das allein aus dem Grund schwer fallen, weil ich in einigen geschlossenen Gruppen bin, die ich für die Arbeit brauche. Was AOL nie gelungen ist, nämlich mit ihrer weichgewaschene Version eines eigenen Internets, das Internet zu verdrängen, scheint im Moment von Facebook, Google und Co erledigt zu werden. Dienste so einzurichten, dass es keinen Platz und keine Zeit mehr für andere Dinge gibt.

Die Wahlmöglichkeiten werden, so mein Eindruck, immer kleiner. Vernünftige Twitter-Clients, die mehrere Accounts und Facebook verwalten? Seesmic, Hootsuite, Tweetdeck. Bilderdienst? Flickr, Photobucket, Ipernity. Social Network: Facebook, Twitter, Google+. Blogplattform: WordPress. Die Sachen, die man häufigsten benutzt, gibt es deswegen nur in geringer Stückzahl, weil das Internet eine Massenbewegung geworden ist. Da, wo sich die meisten Menschen tummeln, da geht man dann hin, Konkurrenz entsteht so kaum., Wahlmöglichkeiten aber auch nicht. Und nervigerweise verhalten sich alle Anbieter auch noch gleich in Sachen Datensammelwut und ängstlichen US-AGBs. Seit Jahren warte ich darauf, dass Microsoft und Yahoo diese Dinge erkennen und genau das Gegenteil von Facebook, Apple und Google machen.

Zu den mangelnden Alternativen gesellt sich dann auch noch die wachsende Überwachung, die einen manche Seite und manche Suchwortkombination nicht ohne kaskadierende VPNs eingeben lässt. Und neulich hatte ich, nach knapp 18 Jahren im Netz, dann auch die erste dreiste Abbuchung auf meinem Konto. Ein Kleckerbetrag, 39,99 für AdultFriendFinder, dabei suche ich gar keine Adult Friends, die habe ich ja schon. Der Anwalt, der mir ein paar Tage die Mahnung schickte, weil ich die Lastschrift zurück geholte habe, will dann 98 Euro. Mich kostet es 40 Euro einen Anwalt zu beauftragen, der die Sache beendet.

Das sind alles Kleinigkeiten, aber die Summer der Kleinigkeiten macht es vielleicht aus. Natürlich – man kann immer noch alles machen, wenn man die eigene Filter Bubble mal verlässt. Für jedes Hobby gibt es eine Seite, für jede noch so seltene Krankheit ein hilfreiches Forum und wenn man Google einigermaßen bedienen kann, findet man sogar auch die Sachen, die man gesucht hat.

Dennoch bleibt bei mir grundsätzlich das Gefühl, dass die Kreise im Netz enger werden. Und das man dagegen etwas tun muss, bevor man in einem “Nanny” Netz endet, in dem alles vorgegeben ist, oder die AOLisierung komplett ist.

5 Antworten zu „Engere Kreise“

  1. Ich bin so alt, dass ich schon mit Computern gearbeitet habe, bevor es Windows gab.. damals!
    Ich weiss noch, wie die Möglichkeiten immer größer wurden. Und seit ein paar Jahren beobachte ich, wie man immer mehr als brave kleine Schafherde zusammengetrieben wird, nette kleine potentielle Konsumenten, perfekt ausgeleuchtet und bis ins letzte Detail untersucht.
    Wenn ich ein Bild hochlade bei Facebook und dann irgendein Programm dahinter nicht nur erkennt, dass da offenbar ein Gesicht zu sehen ist, sondern auch noch zuordnen kann, wem dieses mutmaßlich gehört… das ist schon gruselig. All diese Daten in den falschen Händen… obwohl, da sind sie ja schon…

  2. Stefan

    Vielleicht demnächst wieder fotokopierte Fanzines? Real underground im Retro-Medium? – Dieser Nonsense entspringt dem Gedanken, daß das heutige Internet ein sog. Spiegel der Gesellschaft geworden ist. Wenn alle und alles drin sind sieht’s da eben entsprechend aus, inhaltlich und strukturell. Wie sagte dieser verrückte Serbe: „99% of the people are boring idiots“… – wir natürlich nicht… .

  3. […] Don Dahlmann – “Engere Kreise”: Dahlmann, seit Anfang der 90er im Internet unterwegs, stellt konsterniert fest, dass je mehr Internet es gibt, doch alles irgendwie enger und kleiner wird: “Facebook, Twitter und so weiter sind unverzichtbare Dienste geworden, sie erdrücken das Internet aber auch, weil sie die Wahlmöglichkeiten einschränken. Man kann seinen Account natürlich löschen, mir würde das allein aus dem Grund schwer fallen, weil ich in einigen geschlossenen Gruppen bin, die ich für die Arbeit brauche.” […]

  4. Seitz

    Ich habe „damals“ auf dem C64 aka Brotkasten noch Schleifen in Basic gemacht. Ein Spiel wurde auf Kassette ausgliefert und man musste die teilweise vorspulen. Internet? Konnte man sich nicht leisten oder man wusste nicht, was das überhaupt ist!