Es gibt keinen Online-Journalismus

Bin ich eigentlich wahnsinnig, dass ich so einen Überschrift wähle, wo ich doch gerade mal wieder einen Kurs für Online-Journalismus gebe? Nein, bin ich nicht. Ich bin nur die ewige Streiterei zwischen „Online“ und „Print“ leid. Denn so wie ich das sehe, dreht sich der Streit mittlerweile mehr darum, welche Publikationsform man wählt, und nicht, ob der Journalismus vor die Hunde geht.

Allein die Argumente (Links aus den letzten fünf Jahren selber suchen) der „Online-Gegner“, von wegen Klowände, Dreck, der durch den Gulli nach oben drückt usw. geben schon eine gewisse Hilflosigkeit wieder. Und dann auch die mehr oder weniger unverholen formulierte Angst, der Journalismus in seiner Gesamtheit würde vor die Hunde gehen, wenn diese Blogger und Onliner weiterhin und überhaupt…

Dabei sollte man, zumindest am Rande, vielleicht auch mal feststellen, dass dieses Online-Dings zumindest bis vor fünf Jahren überhaupt nicht in der Form existierte, und der Journalismus seit Beginn der 90er Jahre von eben jenen an die Wand gefahren wurde, die jetzt alles in Richtung Internet schieben. In welch teilweise unfassbaren Spähren der Selbstentrückung einige Journalisten leben, hat Stefan Niggemeier in seinem Blog bzgl. der Kritik der an der Berichterstattung über Winnenden dargelegt.

Dass der Journalismus überhaupt vor sich hineiert, bzw. in den letzten Zügen liegt, stimmt so auch nicht. Dummerweise sind nur beide Protagonisten des Streits jeweils auf einem Auge blind. Die „Printler“, weil sie sich im Überangebot des Netzes nicht zurecht finden und die „guten“ Blogs und Angebote übersehen, bzw. nicht wahrnehmen, die „Onliner“ weil sie in ihrer Fixierung auf Online oft übersehen, dass jeden Tag in irgendeiner Zeitung oder einem Magazin eine ganze Menge guter Geschichte auftauchen. Zum Beispiel ist es die klassische Presse, die im Fall des Einsturzes des Kölner Stadtarchivs für den nötigen Druck sorgt, dass in der Stadt auch Konsequenzen gezogen werden. Auf der anderen Seite sind es die Blogs, die sich mit Themen wie den friedlichen Protesten zum G20 Gipfel beschäftigen. Ohne diese würde man vielleicht denken, dass die Proteste nur aus den Chaoten bestanden hätten.

Print- und Online-Journalismus ergänzt sich also ganz hervorragend, nur merken es die wenigsten. Die Verlage schotten sich, bis auf wenige Ausnahmen, weiterhin ab, und versenken ihr Geld in unnütze Portale, in denen man versucht, mit Print-Gedanken ein Onlinemagazin zu erstellen. Die Blogger, weil sie dazu neigen, sich gegenseitig zu zerfleischen. Allein die (teilweise richtige und nötige) Kritik an der re:publica09 zeigt, dass der Gedanke, bei Bloggern könne es sich um eine Sekte handeln, die gerade in diversen Flügelkämpfen verstrickt ist, durchaus nachvollziehbar ist.

Um den Journalismus scheint dabei allerdings niemanden zu gehen.

Vielleicht habe ich ja utopische oder romantische Vorstellungen vom Journalismus, aber ich denke immer noch, dass der Journalismus als Grundidee vor allem auch eine Opposition zur Politik darstellt. Dass er nicht Sprachrohr für die PR-Strategen und nicht nachvollziehbaren Agenturmeldungen ist, sondern ein aktiver Bestandteil einer bürgerlichen Gesellschaft, die den Staat als etwas nötiges betrachtet, aber nicht als etwas, was bis in die kleinsten Lebensbereiche hinein reichen sollte. Der von Gerhard Schröder überlieferte Satz, zum regieren brauche er nur „Bild, BamS und die Glotze“ sagt eigentlich alles über den Stand des Journalismus und die Etage aus, von der er instrumentalisiert wird.

Don Alphonso sagte im recht guten Interview auf Meedia auch treffend:

Medien sind eine Pudelzucht. Die heutigen Journalisten sind Schosshündchen, sehen alle schick aus und sind gut dressiert. Die Leser wollen aber Wölfe anstatt Pudel.

Dem kann man nur zustimmen, wenn man sieht, mit welch müdem Widerstand (wenn überhaupt) die Politik seitens der Presse begleitet wird. Da helfen auch nicht Autoren wie Heribert Prantl, die weniger Aushängeschilder denn mehr Feigenblätter zu sein scheinen, mit denen ein ganzer Berufsstand seine Unfähigkeit bedecken will.

Online und Print brauchen einander. Auf beiden Seiten sitzen hervorragende Journalisten, die, wenn man sie nur lassen würde, den Berufsstand aus seinem injiziertem Dornröschenschlaf holen könnte. Und es gibt auch keinen Unterschied, zwischen Online- und Printjournalismus. Es gibt nur einen zwischen schlechten, miesen, abnickenden und kritischem, scharfen und selbstbewussten Journalismus. Die Publikationsform spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Gerade in einem Wahljahr, gerade in einer Zeit der wirtschaftlichen- und politischen Unsicherheit täten beide Seiten gut daran, mehr und besser miteinander zu kommunizieren. Es geht nicht um Eitelkeiten, es geht darum die sogenannte „vierte Macht“ zu mehr Unabhängigkeit und Mut zu verhelfen. Wenn Politik und Wirtschaft die Bevölkerung für eine, im Sinne Canettis, formbare Masse hält, muss man Grenzen und Reibungspunkte setzen können. Andernfalls, so meine Vermutung und Angst, wird die Demokratie früher oder später einer Diktatur der Hinterzimmerabsprachen weichen.

8 Antworten zu „Es gibt keinen Online-Journalismus“

  1. toll! sowas wollte ich auch schon immer aufschreiben.

  2. Ich bin schon wieder versucht, Romane zu schreiben… ;) Gerade die re:publica hat bei mir (erneut) einen inneren Prozess der Auseinandersetzung mit dem Selbstverständnis meiner Zunft in Gang gesetzt – im Verhältnis zu Blogs, im Verhältnis der verschiedenen Publikationsformen zueinander (die ich nicht nur auf Print und Online beschränken, sondern um Hörfunk und TV erweitern möchte). Blogs erweitern das kollektive Gesichtsfeld enorm, und ich finde es gut, dass immer mehr Kollegen ihnen auch ein Forum bieten. Allerdings nehme ich wahr, dass ein Großteil der nicht-affinen Kollegenschaft allein mit dem Begriff Blog (noch immer) nichts anfangen kann. Ich weiß nicht – vielleicht bedarf es althergebrachter Formen von Marketing, um Blogs eine breitere Öffentlichkeit zu verschaffen; Instrumente eben, die auch weniger online-affine Menschen verstehen und anerkennen. Haben Blogger jemals in Zeitungen inseriert? Naja – verwegene Idee, klar. Aber vielleicht schon wieder so ungewöhnlich, dass Aufmerksamkeit garantiert wäre… Ich habe mich in meiner Review zur re:publica zumindest in Teilen um noch andere Aspekte im Verhältnis von Blogs und Journalismus gekümmert – daher vielleicht ergänzend: http://www.deltanews.de/2009/04/07/unvermeidlich-republica-09/

  3. obwohl ich dir doch nicht in allem recht geben kann.

    es gibt schon einen onlinejournalismus. der entsteht durch seine typischen darstellungsformen, die einzeln oder im zusammenspiel andere erzählformen ermöglichen und manchmal sogar gewisse themen erst ermöglichen.

    aber natürlich hast du recht, dass sich online und print in inhalt (zum großteil) und dessen qualität (zu 100%) nicht unterscheiden (sollten).

  4. naja, aus meiner sicht gibt es die erfinder der blogform, die aus der medienbranche kommen, journalisten sind, sich gegenseitig einladen und kommentieren und allesamt mit flotter schreibe agieren, die sich als elite sehen und auf konferenz-panels eine gute figur machen und es gibt die masse der blogger, die irrelevantes zeug verfassen [nicht wortgetreue interpretation einer von s. niggemeier aufgeschnappten aussage #rp09].

    jedenfalls scheinen die printer vor den chaosartigen möglichkeiten der freien meinungsäußerung angst zu haben, experten beraten sich mit experten, schillernde helden verkaufen ihr image der anderen seite, weisssagungen und propheterie kursieren als PR-tools durch mediendienste, argumentieren hospitalistisch mit immergleichen worten, handwerk und recherche werden als letztes schild angeführt und aufgebaut und hospitalistsich verkündet.

    aber die zeiten haben sich längst geändert, keiner weiß was werden wird, zukunftsforscher mutmaßen im technischen segment, immerhin da scheint es verlässliche fictions zu geben, aber im publikationsuniversum?

    heute kann jeder sein eigener chefredakteur sein, und was dem einen seine datsche auf sylt, ist dem anderen sein naherholungsgebiet und andere kleine freuden rund um den helmholtzplatz.

    der blogosphäre fehlt der spirit, das miteinander, loveparade-mäßige, weil aber alle total kognitiv und kritisch unterwegs sind, sehen sie die schatten immer nur im anderen, das finde ich bei allem sendungsbewußtsein und aller selbstreferentialität [was ein inflatonär gebrauchter begriff] wenig selbstreflektiert und in der tat selbstzerfleischend..

  5. Mit Interesse habe ich Deinen Beitrag gelesen. Ich bezeichne mich einmal als „Außenstehenden“, der die Grabenkriege mit Sorge beobachtet, weil sich der Journalismus in seiner Gesamtheit als möglicher und vor allem wichtiger Gegenpol zu Politik und Wirtschaft selbst schwächt. Insofern kann ich Deinem Beitrag nahezu uneingeschränkt zustimmen. Im Wortreich habe ich dazu Anfang des Monats einen Beitrag geschrieben, der in groben Zügen vielleicht noch das eine oder andere Argument bzw. den einen oder anderen Grund mit aufführt, warum die Situation gegenwärtig so ist wie sie ist. (Die URL habe ich gesnipt, weil sie ziemlich lange ist)

  6. Sehr guter Artikel.
    Bin darauf gestossen, als ich ebenfalls einen kurzen Blogeintrag zum Thema Online-Journalismus geschrieben habe.

    Grüße aus Frankfurt,

    andy

  7. Josch

    Das ist ja gerade das schöne am Bloggen. Niemand kann’s verbieten oder Einfluss auf Inhalte nehmen. Dadurch gebiert die Bloggosphäre eine Art kollektiver Intelligenz, die souverän ihre eigenen Wege sucht. Dass die vielen Blogger damit dem journalistischen Ideal nicht stets lege artis entsprechen, ist bedeutungslos, da sie einen völlig anderen Fokus haben, als die professionelle Presse. Sie recherchieren nämlich viel effektiver in die Breite als herkömmliche Medien. Letztere widerum gehen mehr in die Tiefe. Während die Blogger und Onlinejournalisten Appetit auf Themen machen, deckt die Schar der schreibenden Tintenritter die Hintergründe auf und vermittelt so ein tiefergehendes Verständnis für die Materie.
    Es gibt also gar keinen Streitkern, allenfalls ein Gerangel um vermeintliche Territorien. Dies ist albern und unnötig zugleich, denn die Claims sind ja ohnehin schon abgesteckt. Die Blogger bloggen und der Rest druckt und sendet, also alles wie immer :)

    Dir lieber Don sei noch ein Dankeschön gesagt für Deinen anschaulichen Unterricht