Kleine Presse- und Blogschau I

In den letzten 24 Stunden ist viel über Twitter und auch über die Nutzung von Twitter durch die Medien geschrieben worden. Ich will das nicht wiederholen und weise da einfach noch mal auf meinen Artikel vom 26. Februar hin, in dem ich schon mal versucht habe meine Sicht klar zu machen. Twitter darf nicht mit einem berichtenden Journalismus verwechselt werden, sondern ist nicht mehr als weiterer Nachrichtenkanal neben den Agenturen. Aber bevor ein paar sehr intensive Artikel im Rausch der nächsten Meldungen untergehen, möchte ich die doch in einer Art Blog- und Presseschau zusammenfassen:

Zunächst mal mitten rein in die Diskussion, wie und ob man bei so einem Ereignis überhaupt twittern sollte. Der Focus hatte gestern extra für die Morde in Winnenden einen Twitterkanal eingerichtet, was nicht ganz reibungslos lief. Stefan Niggemeier schreibt:

Ich finde es falsch, angesichts des Unglücks so vieler Menschen über die eigene Anreise zu schreiben. Ich finde es falsch, in der Hektik dieser Berichterstattung noch über die Hektik dieser Berichterstattung zu berichten, auch wenn es nur zehn Sekunden dauert. Und ich finde es falsch, die Aufmerksamkeit vom Gegenstand der Berichterstattung auf den Berichterstatter zu lenken.

Diese Kritik nahm Jochen Wegener, Chefredakteur von Focus Online zum Anlass, eine Replik zu schreiben und dem Branchendienst Meedia ein Interview zu geben, in dem er sagte:

Wir haben zum Fortgang der Ereignisse getwittert, auf neue Beiträge bei FOCUS Online hingewiesen, und die Reporter vor Ort haben einige Details zu ihrer Arbeit und ihren Erkenntnissen eingestreut. Ich kann verstehen, dass Einträge zum Entstehen einer Geschichte von manchen in dieser Situation als pietätlos empfunden werden, ich selbst habe dies nicht so empfunden.

Gert Blank setzt beim Stern sehr kritisch mit Twitter auseinander. Und schießt deutlich über das Ziel hinaus:

Während ausgebildete Journalisten eigentlich wissen, wie mit Namen, Adressen und Bildern umgegangen werden darf, erfährt man bei Twitter schnell, wie der mutmaßliche Täter heißt. Das Elternhaus wird in aller Pracht gezeigt, und damit man es auch findet, gibt es den Link zur Adresse dazu. Der Pressekodex gilt halt für die Presse, und nicht für ein Medium, welches von vielen fälschlicherweise als die Zukunft des Journalismus betrachtet wird.

Abermals antwortet Niggemeier:

Und der Pöbel nennt direkt den ganzen Namen des Amokläufers? Jenen Namen, der heute auf den Seiten eins, zwei und drei der „Süddeutschen Zeitung” steht?

Ebenfalls per Blog diskutieren Harald Martenstein und Sascha Lobo ihre Ansichten über Twitter. Martenstein schreibt:

Mir ist aufgefallen, dass die finsteren Visionen von Romanen wie 1984 und Schöne neue Welt allmählich Wirklichkeit werden. Da herrscht auch permanente Beobachtung. Ich halte es für widersprüchlich, wenn man gegen Videokameras in Umkleidekabinen ist und gleichzeitig die totale Vernetzung als Fortschritt feiert.

Sascha sieht das naturgemäß deutlich anders:

Diese Passage ist aber vor allem falsch, weil sie die selbstgesteuerte Vernetzung und das freiwillige Einstellen von Daten vergleicht mit Videokameras in Umkleidekabinen. Der Unterschied ist der gleiche wie zwischen “sich im Klo einschliessen” (toll, manchmal) und “im Klo eingeschlossen werden” (untoll, immer). Das Entscheidende ist die informationelle Selbstbestimmung, und zwar sowohl was die Veröffentlichung der eigenen Daten angeht wie auch deren Auswertung.

In der Netzeitung schreibt Maik Söhler über die erstaunliche Fixierung mancher Medien auf Twitter:

Schnell stellte sich aber auch die Enttäuschung darüber ein, das Twitter der Erwartung nicht gerecht wurde. Viele Falschmeldungen wurden auf diesem Weg verbreitet, darunter auch jene, der Täter sei von der Polizei gefasst worden. Ansonsten fand sich auf Twitter weitgehend das, was auch im Fernsehen zu sehen, im Radio zu hören und in Zeitungen zu lesen war: Trauer, Entsetzen, Wut, Fassungslosigkeit.

Und auch der DJV hat in solchen Momenten auch etwas zu sagen:

Konken kritisierte: „Eine Berichterstattung, die den Journalisten in den Vordergrund rückt und gezielt die Sensationslust eines Teils der Nutzer bedient, ist pietätlos gegenüber den Opfern und ihren Angehörigen. Sie geht über die Informationspflicht der Medien weit hinaus und birgt die Gefahr, die Glaubwürdigkeit der Medien nachhaltig zu beschädigen.“

Der Popkulturjunkie regt sich über die Kritik auf, die etlichem Twitter-User gestern über die Berichterstattung in den Medien geäußert haben.

Aber: Dieser Schmutz, der von einigen per Twitter über Journalisten ausgegossen wurde, die einfach nur ihren Job machen, dabei keinerlei Sensationsgier an den Tag legen und sich im stundenlangen Stress mal verhaspeln oder unglückliche Formulierungen wählen – das ist würdelos, tausendmal würdeloser als die kritisierte Berichtersatttung.

Dem gegenüber stellt Jörg Thoman in der FAZ seine Ansicht über das Verhalten der TV-Sender:

Tragödien wie jene von Winnenden beleuchten schlagartig den Zustand des Fernsehens. CNN berichtete früh und ausführlich, in jener Mischung aus professioneller Routine und empathischer Leidenschaft, die für deutsche Sender unerreichbar scheint. Bei einem solchen Drama schlägt die Stunde von Reportern, die nur deshalb vor der Kamera auftauchen, weil sie den kürzesten Anfahrtsweg hatten – und nicht jeder zeigte sich der Aufgabe gewachsen.

Soweit die Auseinandersetzung über Twitter und Medien. Ein paar andere Gedanken gab es aber auch noch. Franzi schreibt in ihrem Blog

Doch der Amoklauf von Winnenden zeigte: Twitter funktioniert nicht immer. Weil da keine Informationen unterwegs waren, die in irgendeiner Art und Weise weiter brachten.

lantzschi dagegen schreibt:

Ich klicke mich durch die Agenturen. Einige Fotos verstoßen gegen den Pressekodex. Ich frage mich, was Journalist sein eigentlich bedeutet.

Ich kann viele Argumente verstehen. Beider Seiten. Ich habe gestern auch zwei Stunden lang den Twitterfeed beobachtet und versucht, mir ein Bild zu machen. Es war schnell klar, dass Twitter bei dieser Sache keine Rolle spielen würde. Im Übrigen ähnlich wie letzte Woche in Köln, als das Stadtarchiv zusammen brach. Der Hype um Twitter entstammt zwei Zufällen, nämlich dass bei den Flugzeugabstürzen in New York und in Amsterdam zufällig gerade jemand vor bei kam, der Twitter und Twitpic kannte. Das ist bei knapp 8 Millionen Users ja nicht selbstverständlich.

Was Kritiker an Twitter vor allem nervt, ist der ständige, ungefilterte Daten- und Meinungsstrom. Die Meldungen liefen gestern so schnell durch Twitgrid, dass man nicht mehr hinter her kam. Stimmt die Meldung von User XY, dass es weitere Schießereien gegeben hat? Oder die von User AB, der sagt, der Mörder sei in einem Kaufhaus? Welcher Meldung soll man nach gehen? Und in der Zeit, in der man darüber nachdenkt, kommen schon 20 neue Meldungen.

Aber ich kann die Kritik, der „Pöbel“ würde hier rum brüllen, nicht nach vollziehen. Denn in solchen Krisensituationen ist es immer so. Bin ich vor Ort, ist das Stimmen- und Nachrichtengewirr zwischen Betroffenen, Anwohnern, Polizisten, Journalisten, Wichtigtuern und Trittbrettfahrern genauso dicht, Twitter (oder das Internet in dem Fall) bildet das letztlich nur nach. Als Journalist muss ich halt sehen, was ich damit anfange und ab diesem Punkt spielen Erfahrung und Bauchgefühl die entscheidende Rolle.

Natürlich neigt man in solchen Momenten auch zu Sensationsgier. Das geht Twitter-Usern so, das geht aber auch Journalisten so. Solche Momente sind aufregend, auch wenn man sich der Perversität des Grundes für Aufregung durchaus bewusst ist. Pia Röder hat einen kurzen Text geschrieben, dass sie die Aufregung in einer Redaktion in solchen Momenten vermissen würde. In den Kommentaren präzisiert sie:

Ich bin selbst erschrocken, akls ich ihn gestern nach Feierabend getippt habe. Die Tatsache, dass ich erst an den Stress in der Redaktion gedacht habe, anstatt an das Leid der Menschen dort, zeigt wie komplett durchgedreht diese scheiß Medienwelt ist. Und wie sie einen selbst, wenn man einmal drin steckt, komplett verrohen lässt.

Und das gilt vermutlich mittlerweile für uns alle, nicht nur für die Leute die direkt in den Medien arbeiten.

7 Antworten zu „Kleine Presse- und Blogschau I“

  1. Toni

    Sehr interessanter Artikel, aber die Rechtschreibfehler trüben das Bild. Biete Hilfe an… :-)

    Dennoch bewundernde Grüße,

    Toni

  2. Winnenden: Kleine Presse- und Blogschau I http://tinyurl.com/afvzbt

  3. Dazu fällt mir nur eines ein: Das Ereignis an sich ist schrecklich genug, da sollte man auch ‚mal etwas den Anstand wahren. Anstand heisst in diesem Fall die Finger still aka einfach ‚mal die Fresse halten – und wer zum Henker ist Twitter?!

  4. sehr schöne übersicht. mit sehr guten gedanken dazu. aber jetzt bitte jeder für sich nachdenken.

  5. twitter oder kein twitter. worüber sich jetzt alle gedanken machen. die armen menschen die da umgekommen sind tun mir so leid.

  6. mimi

    danke für diesen Artikel!

  7. […] Der Stern hat aber trotzdem noch Zeit, sich über twitter auszulassen. Zur Erinnerung (als ob man es vergessen könnte), dort sind Menschen grausam zu Tode gekommen und der Stern meint, dass es die richtige Situation sei, einen Feldzug gegen neue Online-Dienste zu führen. Deshalb schreibt man bei Spreeblick auch nicht zu unrecht über „Rotten Media”. Eine Diskussion über den Nutzen oder Nicht-Nutzen solcher Dienste ist aber genauso unangebracht, wie manch vorschnelle Kritik an Reportern, die sich in der Hektik des Geschehens etwas in der Formulierung vertun. Auch Lesenswertes in Hinblick auf den Umgang mit twitter bei Stefan Niggemeier und bei Don Dahlmann. […]