Laaanger im Artikel im Freitag über den Niedergang der Deutschen Bahn.
Alle unsere Geschichten handeln von Mangelwirtschaft inmitten technischer und konsumistischer Protzerei, von gebrochenen Versprechen und mangelndem Entgegenkommen, von einer Mischung aus Bösartigkeit und Inkompetenz, die sich offensichtlich durch alle Ebenen der Hierarchie dieses Unternehmens zieht: von einem Krieg, den das Unternehmen gegen seine Kunden führt. Und das alles, weil die Bahn besessen ist von einer fixen Idee: Privatisierung! Börsengang! Mitspielen beim Luft-Monopoly!
Es ist diese fixe Idee, die zu einer Ideologie geworden ist, und diese Ideologie hat sich in „Sachzwänge“ verwandelt, diese Sachzwänge haben sich in Betrug und Selbstbetrug verwandelt, und dieser Betrug und Selbstbetrug wurden zu unserer Unkultur des Reisens.
Offensichtlich beklagt Autor Georg Seeßlen den Wandel von einem Kundenorientierten Transportunternehmen, hin zu einem Turbo-Kapitalistischen System, dass von wenigen geführt wird. Mitarbeiter und Kunden werden wie Zitronen ausgepresst, Effektivität steht vor allem, das System bringt sich und seine Nutzer dauernd an den Rand eines Nervenzusammenbruchs.
Das stimmt schon – irgendwie. Die Preise sind zu hoch, im Zug-„Restaurant“ wird nicht mehr wirklich gekocht, sondern die Mahlzeiten stammen aus einem Plastikbeutel und werden in der Mikrowelle erhitzt und ein „Erlebnis“ ist eine Reise mit der Bahn gerade auf Langstrecken sicher nicht aus den Gründen, die die Werbung suggeriert. Stimmt alles, auch dass das Mangement der Bahn jetzt auch nicht gerade ganz weit vorne genannt wird, wenn es um den Sympathiepreis geht.
Nun fahre ich ja viel mit der Bahn und alles ist nun wirklich nicht miserabel. Ich kann im Internet mein Ticket kaufen und ausdrucken und muss nicht mehr, wie früher, stundenlang an einem Bahnhof in einer Schlange stehen. Reisen mit der Bahn im ICE sind völlig in Ordnung. Jedenfalls in der ersten Klasse. Man hat Steckdosen, man wird am Platz bedient (wenn das denn will), die Bahnhöfe haben sich von einer vollgekachelten Abfertigungshalle mit Holzstühlen in Einkaufshallen verwandelt. Neulich musste ich morgens zwei Stunden am Berliner Hauptbahnhof ausharren (selber schuld gewesen) und die ließen sich dank diverser Lokalitäten und WLAN schnell rum bekommen. Und ja – die Bahn ist unpünktlich. Aber selten mehr als 20 oder mehr Minuten. Wenn ich fliege, kalkuliere ich mehr Verspätung ein. Und im Zug kann ich hervorragend auch lange Zeit arbeiten. Im Flugzeug ist das schon etwas schwerer.
Aber Seeßlen hat schon recht. Die Bahn ist ausgehöhlt, ein außen nett anzusehendes Unternehmen mit freundlicher Werbung, innen gibt es massive Probleme. Aber in welcher Firma ist es mittlerweile nicht so, dass das Image in keinem Fall mehr zu dem passt, was die Kunden später erleben? Stromkonzerne, Auto-Industrie, Internet-Provider, Lebensmittelindustrie – die Liste ließe sich mittels eines normalen Werbeblocks bei irgendeinem Unterschichtensender beliebig fort führen. Menschen werden nur so lange gut behandelt, wie sie keine Kunden sind.
Das klassische Beispiel ist der Kauf eines beliebigen technischen Gerätes. Kaufen ist gut, aber wehe, es ist was dran, sei es auch nur eine Kleinigkeit. Dann geht der Tanz mit der Hotline los, was einen sehr viel Geld kostet, und im Grunde ein schlechter Witz ist. Ich kaufe etwas und soll dann auch noch dafür zahlen, wenn der Hersteller Mist gebaut hat. Und dabei spielt es keine Rolle, wie viel ich für das Ding ausgegeben habe. Ein schönes Beispiel wie unterschiedlich man mit möglichen und Alt-Kunden umgeht, ist mein DSL-Provider Freenet. Interessierte Menschen können für 9 Cent die Minute anrufen, hat man als Kunde Fragen, zahlt man zwischen 19 und 99 Cent (Quelle).
Man darf sich aber auch nicht wirklich beklagen, denn wer 50 Euro sparen will oder muss, und deswegen bei einem Discounter Ware von der Palette runterkauft, der hat dann eben die Probleme mit dem Support. Kauft man beim Einzelhändler, kann man dem den Kram immerhin persönlich vor die Füsse werfen.
Die Bahn steht also nicht alleine schlecht da, aber bei ihr erwartet man doch etwas anderes. Da wird kräftig auf die Privatisierung geschimpft und auf all die, die damit viel Geld verdienen, während der Service schrumpft. Staatlich solle sie bleiben, die Bahn, zurück zur guten alten Zeit. Ich weiß in so Momenten nicht, ob das so gut wäre. Privatisierung ist nicht nur schlecht, wie man an der Deutschen Post gesehen hat. Würde die immer noch über die monopolistisch über Telekommunikation walten, ein 1Mbit/s DSL-Anschluss würde vermutlich horrende Summen kosten. Vielleicht ist die Post aber auch die Ausnahme, wenn auf der anderen Seite einen Blick auf den Strommarkt wirft.
Das der Neoliberalismus die Rendite vor den Menschen stellt und deswegen genötigt ist, in der Werbung zu behaupten, der Mensch stünde an erster Stelle, ist in vielen Bereichen so, nicht nur bei der Bahn. Mittlerweile werde ich höchst misstrauisch, wenn irgendeine Firma in ihrem neuen Claim angibt, dass man jetzt aber wirklich ganz doll dicht an den Menschen sei. Nicht nur, dass solche Sprüche offenbar daher kommen, dass man in Umfragen festgestellt hat, dass das Image beschissen ist, ich frag mich dann automatisch, wo die denn vorher waren und verzichte lieber auf den Erwerb. Bei der Bahn geht das ja leider nicht, was die Sache halt so ärgerlich macht.
Nun ja, den alten Speisewagen hätte ich aber trotzdem gerne wieder. Samt frisch gekochtem Essen.
Freitag-Artikel via Plomlompom Twitter.
9 Antworten zu „Wenn es denn nur die Bahn wäre“
bin gerade heute wieder länger bahn gefahren und habe auch den speisewagen benutzt. war gar nicht so schlecht. ich glaube tatsächlich, der speisewagen nimmt nicht allgemein am niedergang der bahnkultur teil, ist jedenfalls kein hauptsymptom. woher kommt die info, in der Bahn sei früher das essen frisch gekocht worden. wann denn? muss ein gerücht sein. und ob das heuet mikrowelle ist, bezweifle ich. wahrscheinlcih ist es convenience food, das mit heißluft aufgewärmt wird wie in jedem zweiten hotel (und die könnten es anders, hätten ja kein platz- und zeitproblem)
die bahn ist nicht sonderlich geeignet für slow food. ein echter koch pro speisewagen? wo sollen all die köche herkommen, bei den schlechten arbeitszeiten?
früher gab es sogar macdonalds als speisewagen, heute eine weinkarte und rezepte deutscher „spitzenköche“. kaffee kostet irgendwas bei 3 euro (5 euro inkl. kuchen), genauso viel in dem kaffee amerikanischen stils (mit selbstbedienung!) in unserer straße.
also, vieles an der bahn ist scheiße (preise und verspätungen vor allem), aber der speisewagen ist es nicht.
Der Artikel im Freitag ist dämlich.
Die Bahn ist besser als ihr Ruf. Und wo der Autor eine „180-Euro-Fahrt mit der Bahn“ ergattert hat, bleibt rätselhaft. Auf der einfachen Strecke muss man dafür schon recht lange unterwegs sein, inkl. Nachtzug. Falls es 1. Klasse war: Wie bemerkt, ist die 1. Klasse bei der Bahn um Klassen besser als die Holzklasse von AirBerlin, inkl. der Lounges am Bahnhof.
In den Lufthansa-Lounges habe ich für mein Pils bisher anders als der Autor nichts bezahlt.
Wenn etwas denn „Wandel einer Wirtschaft vom Realwirtschafts- auf den Finanzwirtschaftssektor“ repräsentiert, dann wohl der Flugverkehr. Das ist ein Zockersystem, bei dem geringe Passagiereinbußen sofort den Konkurs von Firmen zur Folge haben – die dann von Schulden befreit und/oder staatlich unterstützt mit anderem Wappen sofort weiterfliegen. Wer mal mit privat mit Stewardessen gesprochen hat, weiss, dass die den Kunden als Ärgernis sehen. Dagegen sind die Bahnmitarbeiter überzeugte, loyale und freundliche Gesellen. „Vielleicht besinnen wir uns einmal und verlangen menschenwürdige Beförderung als bürgerliches Grundrecht zurück. “ – Jau, dann könnten vor der Bahn erst einmal die Billig-Flieger dichtmachen.
Der Artikel im Freitag ist unter aller Sau.
Aber die Speisewagen waren früher wirklich gemütlicher.
„Abfertigungshalle mit Holzstühlen“ – die aber auf den Bahnsteigen des Berliner Hbf weitgehend fehlen.
„Privatisierung ist nicht nur schlecht, wie man an der Deutschen Post gesehen hat.“ – wie die Postzustellung in Berlin immer schlechter wird, war gerade in mehreren Artikeln im Tsp. zu lesen, und von vielen zu hören.
@ruebe: Weiß ich, weil ein Bekannter Ende der 80er Jahre da als (nicht ausgebildeter) Koch gearbeitet hat.
@Tim: Ohne Bahncard kostet es schon bis zu 140 Euro, wenn man mal von Berlin nach Hamburg (Hin/Zurück) fährt. Eine einfache Fahrt nach Düsseldorf kostet 100, nach München sind es 127 Euro. Kein Wunder, dass die Leute auf die (subventionierten) Billigflieger umsteigen.
Die erste Klasse der Bahn ist gut und bequemer als ein Eco-Flug, stimmt, aber nach Düsseldorf dauert es mit der Bahn knapp 4,5 Stunden, mit dem Flugzeug (Gate to Gate) vielleicht 60 Minuten. Das Stewardessen ihre Passagiere nervig finden, ist nichts neues, aber fragen Sie mal einen Schaffner. Fluglinien und die Bahn tun sich da nichts.
Das ist doch eine Milchmädchenrechnung. Zum einen kommt man von Berlin nach Hamburg mit der Bahn erheblich billiger. Ob bahncard, Sondertarife, Sparpreise oder was es sonst noch gibt. Alleine ab der 2. Fahrt rechnet sich schon die bahncard25. Aber selbst 136 Euro! (nicht 140) ist geschenkt. Mit dem Auto muss man als Vollkostenrechnung mind. 45 cents/km ansetzen (Wagen unterer Mittelklasse). Das wären bei 600 km 270 Euro. Dazu nch die Vorteile: Schneller, man kann arbeiten, braucht keinen Parkplatz usw.
Gate2Gate ist ähnlicher Kinderkram. Mind. 30 Minuten vorher da sein, auf das Gepäck warten, Mind. 30 Minuten hin und zurück zum Flughafen. Beim Flug dann 20 Minuten „Rollfeld, Starten, Abheben, Angeschnallt bleiben, Elekronische Geräte aus“. Bleiben 3 Stunden Reisezeit und davon nur 40 Minuten echte Ruhezeit. Dann lieber 4 Stunden mit der Bahn. Solange hält selbst (m)ein Notebook-Akku.
Über 4 Stunden mit der Bahn hat das Flugzeug klare Vorteile, aber nur, wenn ein Flughafen in der Nähe ist und es eine Direktverbindung gibt.
Wenn Sie volle Bahnpreie zugrundelegen, müssen sie dies mit vollezahlenden, umtauschberechtigtne und kurzfrisitig gekauften Flugtickets vergleichen. Dann wird der Flug schnell um einiges teurer als die Bahn.
Mobbilität kostet. Alternative zuhause bleiben.
Kommt darauf an, mit was man fliegt, Lufthansa oder Air Berlin. Gerade mal nach gesehen. Wenn ich heute noch von Berlin nach München müsste, kostet Air Berlin 124 Euro, bei der Bahn sind 113 Euro.
Natürlich kann ich mit der Bahn sparen, wenn ich ein Sparticket ergattern kann. Aber, wenn man wirklich sehr spontan los fahren will, dann wird man den vollen Preis zahlen müssen. Bei der Reisezeit sind vier Stunden mit der Bahn die Grenze, wenn man nicht ein wenig Zeit hat. Ich persönlich fahre lieber mit der Bahn nach München, als ich fliege. Die Zeit in der Bahn ist eine „geschenkte“ Zeit, denn ich kann da arbeiten, lesen, essen, schlafen, DVDs schauen etc. Es entspannt mehr.
Ich halte aber, wie jemand bei Twitter schrieb, die Bahn und deren Verluste für leichter tragbar, als das Geld, was gerade zum Fenster raus geworfen wird. Sicherer, günstiger und schneller Transport sind halt ein wichtiger Teil der Infrastruktur, ebenso wie Strom oder ein Netzzugang.
Mobilität mag kosten, aber sie ist Teil dessen, was die Politik und die Wirtschaft heute von vielen einfordert. Der Satz „Alternative zuhause bleiben“ ist da ein wenig arrogant.
Aber es sollte auch nicht nur um die Bahn gehen, sondern eben auch darum , dass bei vielen Firmen die Kluft zwischen der Außendarstellung und der Realität mittlerweile so groß geworden ist, dass es keinen Spaß mehr macht.
Kommt auf den Anspruch an. Ich habe das Gefühl bei vielen A-List-Bloggern läuft nichts mehr unter 1. Klasse Bahn, und dass es kein Free-WLAN gibt ist eh ein Unding. Und für UMTS an der Bahnstrecke, möglichst alle Anbieter, soll die Bahn gefälligst auch noch sorgen. Kosten darf es natürlich auch möglichst wenig. Das ist auch eine Kluft: Zwischen der Realität und dem Anspruch als „Digital Nomad“.
Ich bin viel unterwegs. Lufthansa und Bahn, 1. & 2. Klasse. Habe Comfort-Card & Frequent Traveller-Miles-and-More. Aber mich über den Service (der im übrigen nicht so schlecht ist) oder den Preis aufzuregen, dafür ist mir meine Zeit zu kostbar.
Nebenbei: Wer braucht Stühle, wenn es Lounges gibt?
Privatisierung ist toll, Wettbewerb ist toll. Seit Mitte Dezember letzten Jahres musste ich nicht mehr mit der Deutschen Bahn fahren, denn nun werden die Strecken, auf denen ich mehr oder weniger regelmäßig pendele, komplett von anderen Unternehmen befahren.
In Ostwestfalen ist das die NordWestBahn, mit Ticket- und Getränke-Automaten im Zug, bequemen Sitzen und freundlichem Personal; den Rest Westfalens bis Dortmund hat die Eurobahn (Keolis) übernommen. Dort habe ich auch in der zweiten Klasse Steckdosen an Sitzplätzen, auch wenn ich die noch nicht in Anspruch genommen habe. Vorher wurde die Strecke Soest-Dortmund von der DB mit den 70er-Jahre-Waggons bedient, die man als „Silberlinge“ kennt.
Und das Wichtigste: seit Mitte Dezember habe ich noch nicht ein einziges Mal an einem Umsteigebahnhof auf den übernächsten Anschlusszug warten müssen, vorher hatte ich regelmäßig Verspätungen zwischen 10 und 25 Minuten, die mich Anschlüsse haben verpassen lassen.
Im Dezember 2009 übernimmt die Eurobahn weitere Strecken im Ruhrgebiet – ich warte gespannt, wie das funktionieren wird. Im Mai werde ich zum ersten Mal seit Jahren quer durch Deutschland (Dortmund-Hamburg-Berlin-Dortmund)ICE fahren – ich bin wirklich schon sehr gespannt, was mich da erwartet…
Richtig. Privatisierung bedeutet auch Wettbewerb im Regionalverkehr (außer in Berlin…). Hamburger kennen den Metronom, der nach Bremen, Cuxhaven und Göttingen fährt. Pünktlichkeit 95%, hoher Komfort (z.B. Reservierung für Pendler), Fahrgastzuwachs von 50 Prozent und mehr.