Geschnitten oder am Stück?

Eines der Dinge, die ich nie verstehen werde, sieht so aus:

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Die Rede ist von dem, was man in Deutschland Aufschnitt nennt. An Meterlangen Wursttheken haben findige Wurtstthekenfachverkäuferinnenhände stundenlang abgeschnittene Wurstscheiben drapiert. Lagenweise hat man rohen Schinken auf Zellophanpapier geschnitten, lustige Sülzwursttürme gebastelt und ein paar Kilo  Teddywurst vorbereitet. Will man seinen Aufschnitt haben, greifen die Damen und Herren hinter der Theke nur beherzt zur Fleischgabel und spießen die passende Menge auf. Die aufgeschnittene Menge soll mindestens über den Tag reichen, gerne auch länger. Bei manchen Bergen hat man den Eindruck, wahnsinnige Aufschnittschneider hätten Montagsmorgens um 5 Uhr einen Wochenvorrat angelegt, so hoch türmt es sich. Dementsprechend sieht das dann auch irgendwann auf. Schon Abends rollt sich die Wurst, der gekochte Schinken schwitzt verzweifelt, das Roastbeef ist ganz blass geworden und der rohe Schinken trocknet traurig vor sich hin. Und das gilt nicht nur für den „Kaisers“, sondern mittlerweile auch für viele Bio-Läden. Das ist alles sehr Deutsch, weil es sehr effizient ist. Aber wie so üblich: Effizienz führt meist nicht zur Schönheit. Oder zu Dingen, die man essen will.

Zu den großen Mutproben im Leben gehört es daher auch, den Damen und Herren hinter der Theke den Satz „Können Sie mir das bitte frisch aufschneiden?“ entgegen zu bringen. „Hamwa nich mehr am Stück“ oder „Maschine is kaputt“ oder „Dit jeht jrad nüscht“ oder „Häh?“ sind noch die höflichen Antworten. Der Gedanke, dass man halt seine Sachen frisch möchte, scheint abwegig zu sein. Das gilt auch für die Fleischtheke, wo sich zwischen mir und einem Verkäufer mal folgende Diskussion entspannte:

Ich: „Hallo, ich hätte gerne zwei frische Entrecôte“.

Verkäufer greift in die Theke und will gerade ein mit braunen Stellen übersähtes Stück Fleisch aufspießen.

Ich: „Ähm, nein, das bitte nicht. Können sie mir das frisch abschneiden?“

Verkäufer: *verständnislos schaut* „Wieson ditte?“

Ich: „Ich mag keine brauche Stellen am Fleisch und auch nicht, wenn es am Rand schon trocken ist.“

Verkäufer: „…..aber…. das hamwa doch aufgeschnitten, dass muss doch auch gegessen werden“

Ich: „Aber nicht von mir“.

Verkäufer: „Also wenn da jeder kommen würde, sone Wünsche, von wegen aufschneiden.“

Neulich in Italien. Ich stehe in einem Supermarkt und suche Parmaschinken. Vor allem aber suche ich, durch deutsche Supermärkte konditioniert, die Aufschnitttheke, die ich aber nicht finden. Dabei war der Lebensmittelmarkt nicht mal sonderlich groß. Erst nach ein paar Momenten dämmert es mir, dass die kleine Ecke mit den riesigen und vor allem ganzen Schinken usw., das ist, was ich suche. Mein Schinken wurde einfach frisch abgehobelt. Die Beinscheiben fürs Ossobucco selbstverständlich ebenso. Das war auch alles kein Problem, auch wenn der Laden voll war und ich hatte nicht den Eindruck, dass es auch noch länger dauerte.

Und ja – man schmeckt den Unterschied. Deutlich sogar. Beim Fleisch, beim Aufschnitt, beim Käse. Und nein, ich brauche keine riesigen Aufschnitttürme, die mir Frische suggerieren wollen, letztlich aber stundenlang vor sich unter der Dampfbeleuchtung schwitzen. Ich frage mich, warum das in Deutschland oft so schwer ist, warum man nicht einfach die Lebensmittel am Stück präsentiert und dem Käufer dann seine 5 Scheiben irgendwas abschneidet. Daher: totales Verbot für vorgeschittenen Aufschnitt! Das muss es doch bei der EU eine Regelung für geben, die man nur raussuchen muss.

18 Antworten zu „Geschnitten oder am Stück?“

  1. ja, das ist echt ein Ärgernis. Aber man kann das umgehen, indem man auf dem Markt einkauft, auch wenn das eher zeitaufwändig ist.

  2. Unterstütze ich sofort.
    Bei der Gelegenheit kann man gleich den größten Zeitsparer einführen: Die Schneidemaschine, deren Auffangschale eine Waagschale ist.

  3. Du vergißt dabei das fehlende Personal. Zwischen Flaschenautomat leermachen, Zigarettenautomat entstören, Schnaps zur Kasse bringen und sämtliche Regale auffüllen kommen die nur sehr selten an der Wursttheke vorbei.

  4. Andi

    Und jetzt alle im Chor:

    Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
    Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
    Jetzt gibt’s im Laden Karbonaden schon und Räucherflunder
    Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
    Jetzt kommt das Wirtschaftswunder
    Der deutsche Bauch erholt sich auch und ist schon sehr viel runder
    Jetzt schmeckt das Eisbein wieder in Aspik
    Ist ja kein Wunder nach dem verlorenen Krieg

    Ernsthaft, ich glaube, das mit den Fleischbergen ist irgendwie so’n mitgeschleppter Komplex aus den 50ern.

  5. Du sprichst mir aus der Seele. Und am Käsestand sieht es nur marginal besser aus.
    Allerdings gehen die besseren Läden wie der Schlachter ums Eck oder der Fleischer auf dem Markt, bei Edeka oder Butter Lindner schon dazu über, die Fleischberge drastisch zu reduzieren und frisch aufzuhobeln. Daß diese Einkaufsquellen teuer und auf Dauer unbezahlbar sind, ist klar. Andererseits ist dieser billige Fleischabfall beim Discounter oder im normalen Supermarkt eigentlich die teurere Variante: Man wird krank von dem billigen Mist Marke Quälfleisch. Und Berge davon werden abends weggeworfen, weil sie niemand abtragen wollte. Ein Trauerspiel.

  6. kroec

    Das ist aber auch regional unterschiedlich. Ist mir in Berlin auch schon aufgefallen, während es in Karlsruhe bspw. vollkommen unüblich ist, so große Mengen vorzuschneiden. Sowas gibts höchstens bei Supermarkt-Metzgern, dort aber auch nur in begrenztem Umfang.

    Zusätzliches Problem: was, wenn ich meine Salami dünner will, als vorbereitet?

  7. Ich konnte beobachten wie die Wurtstthekenfachverkäuferinnen die oberste Wurstscheibe immer wieder wie eine Art Abdeckung auf den Wurststapel zurücklegten und nur bei sichtbaren Zeichen des Alterns oder mechanischer Beschädigung tauschten.

    Eine Theke weiter – beim Käse – wird immer frisch aufgeschnitten. Es liegt in der Tat nahe an eine Erwartungshaltung von Kunden und Anbietern zu glauben und nicht an Personalmangel.

  8. Was ein Glück macht der Lieblingsmetzger hier alles frisch vom Stück, gibt die erste Scheibe in die Hundefuttertonne falls der Anschnitt nicht mehr makellos ist und schneidet den Knochenschinken mit dem Messer vom Stück, egal wie lang die Schlange ist. Die aufgeschnittenen Stapel sind maximal gefühlte 10 Scheiben hoch und sehen immer taufrisch aus. Von „Den Rest leg ich ihnen so dazu, gell?“ fang ich gar nicht erst an. ;)

    Franken ist allerdings auch eine Wurschthochburg, die sich was einbildet auf ihre regionalen Spezialitäten, metzgermäßig kann man hier durchaus wählerisch sein und die Wurstturmstapler ihr Zeug alleine essen lassen.

  9. Ich kauf nur noch das abgepackte Zeug neben der Milchtheke, das sieht immer so schön frisch aus.

    Aber im Ernst: Warum nicht die Fertigtheke für die Scheibchenliebhaber und der Rest für die Freunde am Stück?

    Und „das muss doch auch gegessen werden“ merke ich mir dafür, wenn ich mal Kellner bin.

  10. gleiches problem ähnlich abscheulich gelöst. realo mio feat. meistermetzger verschweisst die frische scheibenware nun in plastikfolie und drappiert das ganze in einer kühlkiepe neben den großen fleischbrocken. wursttürmchen gibts hier nicht mehr. schlecht wird es mir trotzdem dabei.

  11. Ralf

    Wenn ich solche Theken sehe, könnte ich auch immer Kotzen. Da lobe ich mir meinen Metzger. Da liegt die Wurst am Stück in der Auslage. Wenn ich dann etwas von ihr will, kommt die erste Scheibe weg und ich kann dann sagen wie viel ich frisch aufgeschitten haben möchte. Das ist Qualität und frisch!

  12. Alles so wahr. Schon vor sechs Jahren hatte blue sky exakt dieselben Gedanken:

    „Mal ehrlich, wovon würdet ihr mehr kaufen? Seit Stunden herumliegende, aneinander klebende dicke Scheiben, lieblos in zu kleines Papier geklatscht, das zuhause nach dem ersten Öffnen schon seinen Zweck versagt? Oder frisch aufgeschnitten, hauchdünn, appetitlich zurechtgelegt und so eingeschlagen, dass man sie darin bis zum letzten Fitzel aufbewahren kann?“

    http://bluesky.blogger.de/stories/516141/

  13. Benny

    Ich muss zugeben, das ich da noch nie draufgeachtet hab.
    Aus zwei Gründen. noch!! kann ich es mir leider nicht leisten regelmäßig meine Wurst- und Fleischerzeugnisse an der Theke zu kaufen und wenn ich es dann mal tue, gehe ich nicht zu Kaufland oder so, sondern zu unseren Dorffleischer (ja Fleischer und nicht Metzger!!^^) und da wird seit jeher alles Frisch aufgeschnitten.

    Generell machen die noch möglichst viel. (jeden Donnerstag gibts frische Wurstsuppe, da Mittwochs geschlachtet wird :)

  14. Simon

    Da gebe ich dir vollkommen Recht, ich mag es auch lieber frisch vom Stück, als schon vorgeschnitten und mit der Ungewissheit, wie lange die Scheibe dort schon liegt. Deswegen fände ich es auch viel cleverer wenn die Wurstindustrie mit so was werben würde und nicht mit vorbereiteten Scheiben.

  15. […] Geschnitten oder am Stück? – Irgendwas ist ja immer – Reloaded Gegen die Aufschnittpraxis an deutschen Wursttheken. […]

  16. Klasse Beitrag. Besonders die Kommentare vom Verkäufer. Aber die traurige Wahrheit. Darauf sollten Menschen echt viel mehr schauen, sonst könnte ich ja gleich das abgepackte Zeug vom Discounter nehmen.

  17. Thomas Cedric

    Servus,

    Der letzte Kommentar ist schon ein bisschen her aber mir fallen positive und negative sachen auf.

    Positiv und ich gebe da allen recht, ich würde es ebenfalls schöner finden wenn stücke in der theke wären, vllt wenige stapel was geschnitten wird ( schinkenwurst wo 1 stapel nach 30 min schon weg ist, aber überweiegend stücke) finde ich vollkommken richtig.

    Ich arbiet ebenfalls im Einzelhandel, Abteilung Wurst und bin mit 2 anderen dafür zuständig. Bei uns ist das Problem das einzige Zahel stark gesunken sind und ich weiß woran es liegt. Ich habe schon viele vorschläge gemacht für eine Verbesserrung aber ich komme nicht durch damit. Es wird gesagt ich bin zu jung ( bald 25) aber ich finde es ebenfalls grässlich 1 meter lange hohe berge wurst zu haben. einfach nur schrecklich.
    Aber auf mich hört leider keiner und ich gebe jedem hier recht.
    Auch ein Problem sind viele chefs, die hören sich nix an, denken sind was besseres und automatisch auch dadurch wirken viele mitarbeiter dann genervt, gestresst oder was auch immer.
    Ich denke viele Kollegen / in sind in wirklichkeit ganz anders spiegeln aber nur das leiden von der Theke mit, und die Aussagen vom Chef.

    ( sorry für rechtschreibfehler, schreibe fix von Handy aus)

  18. Matthias Barz

    Ich denke das es hier in Deutschland auch möglich wäre alles frisch für den Kunden aufzuschneiden. Also ich gehe mein Frischfleisch, Wurst und Käse immer beim gleichen Einzelhändler einkaufen. Das Personal ist immer sehr freundlich und wenn ich etwas frisch aufgeschnitten haben möchte, dann machen sie das ohne mit der Wimper zu zucken. Ich muss aber auch zugeben, das ich die Verkäufer freundlich begrüße so wie sie es bei mir auch jedes Mal tun. Ich denke so wie man in den Wald rein ruft, so schallt es zurück.
    Allerdings erlebe ich des öfteren das viele Menschen, es immer wieder eilig haben und schnellstmöglich bedient werden möchten.
    Sollte das nicht der Fall sein können sie sich sogar bei einer bestimmten Wartezeit von ca. 5 Min. einen Geldbetrag auszahlen lassen ( z.B. bei Kaufland ).
    Ich denke wir sind in unserer Gesellschaft alle ganz schön verwöhnt. Es muss immer das Beste und Schönste sein …darf aber nichts kosten und muss zügig gehen.
    Wenn der Schinken fett ist …um Gott des Willen den möchte man ja dann auch nicht aber gepresst darf er auch nicht sein. Ich würde vorschlagen wir setzen unsere Schweine alle mal auf Diät, damit die Wurst etwas fettärmer wird und es besser zu unserem Gewissen passt.
    Ach ja…… und den Verkäufern sollte man doch mal ein Dauer-grinsen ins Gesicht tätoowieren und ein paar Inlineskater unter die Füßen schweißen…das passt dann besser zu unserer Gesellschaft, die eh schon hektisch und immer unzufrieden wird !