Vom Aufräumen

Der Mensch sortiert ja gerne Dinge in Schubladen ein. Schubladen sind auch praktisch. Man stopft Sachen rein, die sonst sinnlos rumliegen und vergisst dann, dass es diese Sachen gibt. Es existiert vielleicht ein leichtes Erinnerungsglimmen im Hinterkopf, dass man diese eine Sache in irgendeiner Schubalade irgendwann mal untergebracht hat, aber welche war das? Dennoch  – Schubladen sind enorm hilfreich, weswegen wir sie nicht nur beim Aufräumen einsetzen, sondern auch beim Denken. Das ist nämlich genauso praktisch, es erspart einem lästiges Nachdenken, Differenzieren und andere Dinge, die einem von angenehmen Dingen abhalten.

Ich für meinen Teil nutze Schubladen ungern. Zum Beispiel beim Aufräumen. Sehe ich einen sehr hohen, bedrohlich wankenden Papierstapel, kann ich mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass sich dort die ungeöffnete Post der Kalenderwochen 5 bis 8, zwei ungelesene Ausgaben einer Zeitung, ein paar Rezensionsexemplare und diverse, vermutlich sehr wichtige Steuerbelege befinden. Würde ich diesen Stapel nehmen und eine Schublade werfen, ich wäre verloren, denn ich würde vermutlich innerhalb von Sekundenbruchteilen vergessen, dass dieser Stapel jemals existiert hat. Damit wären dann alle Unterlagen für die nächsten Jahre hoffnunglos verloren und tauchen erst wieder auf, wenn ich versuche, den nächsten Stapel unterzubringen. Wenn bei mir riesige Papier-, Bücher und DVD-Stapel in der Gegend rumstehen, dann hat das also einen gewissen Sinn für mich. Ohne diese Stapel wäre ich quasi verloren, denn es gilt sehr klar die Devise „Was ich nicht sehe, existiert auch nicht.“ Zumindest gilt das für Sachen in meiner Wohnung.

Die Stapel-Neigung hatte ich schon immer, ganz schlimm war es im Studium. Mittlerweile habe ich mir angewöhnt viele kleine Stapel in der Wohnung zu verteilen, was die meine Stapel-Verwirrung allerdings erhöht. Auf der anderen Seite zwingt es mich dazu, bei Besuch aus den vielen kleinen Stapeln einen Großen zu machen, den ich dann, bei Gelegenheit, auch mal abarbeite.

Ich bewundere Menschen, die zu Hause eine Ablage beherrschen. Ich frage mich ernsthaft, wie die das schaffen. Komplizierte String-Theorien scheinen mir leichter zu bewältigen, als Sachen ausdrucken, abheften, eintüten und wegräumen. „Aber das ist doch ganz einfach,“ erklären mir manche Menschen freudestrahlend, „man muss es nur einfach machen und dann geht alles wie von selbst.“ Das ist natürlich in meinen Augen Unfug. Nichts geht „von selbst“, das wäre ja dann auch leicht, dann würde man der Ablage einfach befehlen, dass sie sortieren soll, zum Beispiel in „müsste ich anschauen, aber wenn ich lange genug warte, hat es sich vielleicht von alleine erledigt“ und „Sollte man anschauen, jetzt wirklich“ und „Also das ist echt wichtig, das lege ich mir mal nach oben.“

So ist es bekanntermaßen aber nicht, stattdessen muss man alles selber machen. Aber mit zunehmenden Alter wird man ja auch ein wenig klüger. Mittlerweile ist mein häusliches Chaos bei weitem nicht mehr so schlimm, wie früher. Das liegt zum einen an einer klaren Verweigerungstrategie, was Neuankäufe angeht. Die meisten Anschaffungen kann ich mit einem „Und dann? Wohin damit? Und der Karton ist auch zu klein, als dass man in ihn wochenlang auf Erde stehen lassen kann und als Entschuldigung ‚Die Katzen spielen damit‘ gelten lässt.“ Gedanken abwehren. Viele Dinge kaufe ich einfach nur Digital (Bücher, Musik, Zeitungen).

Zum anderen helfen zwei weitere Dinge ungemein. Menschen, die man nicht sooo gut kennt in die Wohnung einzuladen und eine Putzfrau. Letztere ist die wahre Heldin meines Alltags. Vor ca. 12 Jahren habe ich meine erste Haushaltshilfe bestellt. Es war ein Frühlingstag, vom Sonnenlicht erreichten mich ca. 12%, Staub hatte sich quasi über Nacht zentimeterdick in der Wohnung verteilt, dazu die üblichen Stapel, Flaschenansammlungen, Kartonagensiedlungen und Klamottenberge. Ich betrachtete das Chaos und beschloss, dass ich alt genug sei um einzusehen, dass es in meinem Leben Dinge gibt, die mich nicht interessieren, niemals interessieren werden und mein Leben viel leichter sei, wenn ich diese Dinge in kompetente Hände lege. Man vertraut bei Zahnschmerzen ja auch einem Arzt und greift nur dann zur Zange, wenn man mitten in Patagonien von einem eiternden Zahn überrascht wird, den dann ein runzeliger Bergführer aus dem Kiefer zieht. Auch den Blinddarm lässt man von Fachkräften wegschnippeln und nicht von Tante Susanne, die früher mal Hühner ausgenommen hat. Warum also sollte man sein Chaos nicht von jemanden eingrenzen lassen, der sich damit auskennt?

Eine unfassbare glückliche Entscheidung, denn zumindest sind so die größeren Probleme verschwunden. Natürlich nicht die Papierberge. Aber dafür gibt es zur Not ja Schubladen.

6 Antworten zu „Vom Aufräumen“

  1. In dem Geschriebenen konnte ich unheilvoll meine Natur wiederentdecken. Obgleich mein Bemühen stets der Versuch nach Veränderung entsprach, musste ich dem Eingeständis der von dir ausgeführten Unveränderbarkeit der Umstände Zuspruch gewähren. Ein möglicher Wandel seiner Selbst scheint genauso deletantisch wie der Versuch sich Ordnung durch Schubladen zu erklären. Denn wie heißt es so schön: „aus den Augen, aus dem Sinn.“

  2. Verdammt! Das kenne ich. Aber im neuen Haus wird das sicher anders. Da gibt es mehr Platz für Schubladen und so. Und ein Kind macht ja auch nur Häufchen. Keine Stapel… :P

  3. Stapelpics or it didn’t happen!

  4. Yeah, Stapelpics!

  5. Was zahlst du für deine Putzfrau? Ich hab mir auch mal überlegt eine zuzulegen. Ich kann mich absolut nie dazu aufraffen aufzuräumen, aber bis jetzt hab ich es gescheut, ne komplett fremde Person ins Haus zu lassen.

  6. […] seiner Wohnung geschaffen hat, weiß ich bereits, bevor ich seine Wohnung betrete – seinem Blog Irgendwas ist ja immer sei dank. Tagsüber ging es ihm nicht gut, er hat das Vitello Tonnato vom Vorabend im Verdacht. […]