Techcrunch & last.fm

Techcrunch, eine Seite die mich manchmal an die Bild-Zeitung im IT/Web-Bereich erinnert, hat sich am Freitag einen großen Bock geleistet, der ein Unternehmen allerdings unter massiv Druck gesetzt hat. Was war passiert? Da muss man etwas ausholen:

Das neue Album von U2 ist von Universal wohl aus Versehen geleakt worden. Wie üblich reichten auch hier ein paar Minuten aus, und das Ding landete in den verschiedenen Torrent-Netzwerken. So weit, so normal und die spannende Frage wäre hier vielleicht noch gewesen, ob das nicht Absicht war, denn auch die Industrie hat ja durchaus gelernt, dass ein wenig Buzz im Netz ja immer gut für die Verkaufszahlen ist. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.

Die geleakten Songs tauchten auch in den Playlisten von Usern bei last.fm auf. Nur schnell zur Erklärung, wie das geht: last.fm bietet einen sogenannten Scrobbler an. Das Programm kann man installieren oder als Plugin zum Beispiel bei Mediamonkey einbinden. Hört man dann Musik auf seinem Rechner, wird der ID-Tag des Songs (Band/Titel) an last.fm übermittelt. Diesen Stream kann man dann wieder mittels eines kleinen Widgets in sein Blog einbauen, oder, so mache ich es, den RSS-Feed zu friendfeed schicken und darüber ins Blog einbinden. Was man sich jetzt merken muss ist nur die Tatsache, dass der gehörte Song im Profil auftaucht, und das bedeutet halt, das man es sehen kann. So tauchte also ein U2 Song in etlichen Playlists auf, den es noch gar nicht geben sollte.

Techcrunch berichtete dann am Freitag, dass Universal erzürnt über den Leak, nun Userdaten von last.fm eingefordert hätten, damit die User, die das Album offensichtlich illegal gezogen hatten, identifiziert werden können. last.fm hätte diese Daten auch weiter gegeben. Nun hat Techcrunch dafür keine Quelle, ausser wohl einer Mail, in der stand, dass ein Freund, der bei CBS (denen last.fm gehört) arbeitet, gesagt habe, dass CBS die Daten habe. Also ungefähr die „gut unterrichteten Kreise“, wie man das aus den Holzmedien von früher kennt.

Logischerweise ging es sofort rund, denn die Zutaten für einen sofortigen 180er Puls waren ja alle da. Böse, blöde Plattenfirma, die einen Fehler gemacht hat, plus bisher „gutes“ Unternehmen, dass Daten einfach weitergibt = Panik!!!!11einself!!!

Last.fm dementierte (fast) umgehend und hartnäckig, aber die Sache war schon in der Welt. last.fm User drohten die Kündigung des Accounts an, Verschwörungstheorien machten die Runde. Der Musikdienst konnte noch froh sein, dass die Meldung an einem Freitag Nachmittag rein kam, als in Europa schon alle in der Kneipe waren. Nur mal angenommen, die hätten das erst am Samstag bemerkt und es wäre kein Dementi gekommen – die Katastrophe wäre da gewesen, denn in 24 Stunden hätte sich das Ding verselbstständigt. Selbst jetzt, drei Tage später, findet man bei Twitter noch Äußerungen zu dem Thema, was zeigt, wie ernst die Sache ist.

Das Problem in diesem Fall ist nicht mal die unfassbar langsame Reaktion von Techcrunch, mit der sie auf die Dementis reagiert haben und die Sämigkeit, mit der man sich um ein „Sorry, war nicht ok“ bis heute rum drückt, sondern einfach, dass das Misstrauen die Woche eh geweckt war, nachdem Facebook ein Debakel mit den neuen TOS erlebte. Die Meldung fiel also in eine etwas aufgeheizte Stimmung.

last.fm macht die Kombination der Umstände zu schaffen. Das ehemals „gute“ Unternehmen aufgekauft werden, ist nicht neu, und noch weniger, dass es danach oft zu Problemen kommt. Bestes Beispiel ist flickr, die nach der Übernahme durch Yahoo erst alle flickr User zu einer Anmeldung bei Yahoo zwangen, und dann im Sommer 2007 in vorauseilenden Gehorsam eine strikte Jugenschutzpolitik eingeführt hatten. last.fm gehört nun schon länger einem großen Medienunternehmen, dass zufälligerweise auch Teil der Msuikindustrie ist. Warum sollten sich die Eigentümer nicht Daten nehmen können, die ihnen eh gehören, um sie den Kollegen von Universal zu geben?

Dass im Web 2.0 nicht mehr alles so ganz unschuldig scheint, ist keine Neuigkeit. last.fm mag in diesem Fall unschuldig sein, aber am Ende bleibt eben die Möglichkeit im Hinterkopf hängen, dass sie es machen könnten, und sei es nur deswegen, weil man sie gerichtlich dazu zwingt. Ich hätte mir aber auch eine stärkere Reaktion gewünscht. Man hat zwar alle Kommunikationskanäle genutzt, aber noch besser wäre es gewesen, wenn man auf der Startseite geschrieben hätte, dass man personalisierte Userdaten einfach nicht rausrückt. Bei dem leisesten Verdacht drohen die User schneller mit Liebesentzug, als man Lysistrata sagen kann. Und das wäre für Unternehmen, die als Geschäftsgrundlage nichts anderes haben, als die Userdaten ein Todesurteil.

Das man Unternehmen, die sich vom Paulus zum Saulus wandeln, abstraft, ist die eine Seite. Dass Problem ist aber vielschichtiger, denn es geht auch (mal wieder) darum, wann man über so eine Sache schreibt. Die meisten Newsseiten schielen mit eindreiviertel Augen auf die Google Position. Gerade bei „breaking news“ muss man extrem schnell sein, damit man bei Google auf der ersten Seite unter „News“ aufgeführt wird. Da geht es tatsächlich um Minuten. Der Automatismus ist also, dass man eine Meldung raus haut und dann mal schaut, was passiert. Eine Philosophie, die gerade bei Techcrunch verfolgt wird, aber in so einem Fall Misstrauen schafft, wo es bisher nicht angebracht war.

Was lernt man daraus?
1. Man sollte die ID-Tags von Musik, die aus nicht ganz astreinen Quellen stammt (Madonna – blabla – ripped by fucktheindustry) bearbeiten, wenn man den Scrobbler benutzt.
2. Sollte man sich überlegen, ob man den Scrobbler überhaupt einsetzen will. Gilt besonders in diesen Fällen.
3. Weniger Techcrunch lesen.
4. Das hübsche Wort „Medienkompetenz“ mal wieder aus der verstaubten Ecke kramen. Aber zu letzterem folgt die Woche noch ein eigener Artikel.

2 Antworten zu „Techcrunch & last.fm“

  1. Habe mich als last.fm von CBS gekauft wurde direkt abgemeldet.

  2. ruebe

    hmm, bin nicht ganz einverstanden mit dem „was lernt man daraus?“ insbesondere der reihenfolge der punkte. an punkt vier kommt eigentlich das wichtigste, nämlich medienkompetenz. und diese muss in zeiten von blogs und twitter eine ganz anders geschärfte sein als zu zeiten der holzmedien. selbst wenn techcrunch seine meldung schnell zurückgezogen hätte, wäre das gerücht durch twitter schon so weit verbreitet worden (und in stiller post manier immer schlimmer weitergegeben) worden, dass eine rücknahme kaum noch effekt gehabt hätte. „weniger techcrunch lesen“? nützt nix, denn wahrscheinlich haben die meisten den artikel gar nicht gelesen, sondern sind dummblind ihrem twitter leader gefollowed, haben die sache weiter verbreitet ohne prüfung.
    das ist ne enorme gefahr: du kannst heute einfach irgendwas in die welt setzen, was nicht völlig unglaubwürdig ist, und damit weit mehr schaden in kürzerer zeit anrichten als je zuvor. prüfen, nachdenken, dann posten? flötepiepe. warum über 140 zeichen nachdenken? ist doch nur ein twit.